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Schulministerin Yvonne Gebauer: „Wir brauchen ein Deutschland-Abitur“

Schulministerin Yvonne Gebauer : „Wir brauchen ein Deutschland-Abitur“

Die Schulministerin fordert ein bundesweit vergleichbares Abitur, lobt Hilfen für ukrainische Schüler und verteidigt die Lockerungen.

Frau Gebauer, jetzt sind die Osterferien vorbei, in den Schulen gibt es keine Maskenpflicht. Werden die Coronazahlen explodieren?

Gebauer Ich gehe nicht davon aus, aber man kann es nicht mit Sicherheit ausschließen. Als wir im vergangenen Herbst die Maskenpflicht aufgehoben haben, war das auch nicht der Fall. Die Pandemieentwicklung hat sich in den letzten Wochen zum Positiven verändert, von daher sind Lockerungen angemessen.

Müssten Sie die Lehrkräfte nicht besser schützen?

Gebauer Überall in der Gesellschaft wurden die Corona-Maßnahmen zurückgenommen, da darf Schule keine Ausnahme sein. Auch die Kinder und Jugendlichen, wie auch die Lehrkräfte müssen an den Lockerungen teilhaben. Im Übrigen gibt es ja kein Masken-Verbot. Wer eine Maske tragen möchte, kann dies überall und weiter tun. Zudem sind unsere Lehrkräfte fast alle vollständig geimpft und geboostert.

Aber Sie stellen es den Schulgemeinschaften nicht frei, selbstständig eine Pflicht einzuführen.

Gebauer Ich kann das den Schulgemeinschaften nicht freistellen, weil ein Beschluss, zum Beispiel von einer Schulkonferenz, nicht über einem Infektionsschutzgesetz des Deutschen Bundestages stehen kann. Dieses Gesetz sieht für Schulen keine Maskenpflicht mehr vor, deshalb darf auch eine Schule keine selbstständig einführen.

Dürfen Schulen denn zum Start nach den Osterferien verpflichtend Corona-Schnelltests durchführen lassen?

Gebauer Für Nordrhein-Westfalen hat die Landesregierung entschieden, dass bis zum letzten Schultag vor den Osterferien die schulischen Testungen in allen Schulen und Schulformen fortgesetzt und nach den Osterferien nicht wieder aufgenommen werden. Wie in fast allen Bundesländern werden bis Anfang Mai die anlasslosen Testungen in den Schulen nicht wieder aufgenommen. Bei Anlässen und Symptomen gibt es nach wie vor genügend Testmöglichkeiten im Land.

Ein Blick auf die Abiturprüfungen: Dürfen corona-positiv getestete Schüler sie in diesem Jahr mitschreiben, zum Beispiel in abgesonderten Räumen, oder müssen sie Nachholtermine wahrnehmen?

Gebauer Hier gelten die normalen Regelungen wie bei jeder anderen Erkrankung auch und zwar schon seit Jahrzehnten. Wenn jemand krank ist, werden die Prüfungen nachgeschrieben, egal ob es Corona oder eine andere Krankheit ist. Alle notwendigen Informationen dazu haben die Schulen bereits erhalten.

Die Legislaturperiode endet. Welche Schulnote geben Sie sich?

Gebauer Ich glaube, man wäre schlecht beraten, wenn man sich als Schul- und Bildungsministerin selbst eine Note gibt, das müssten andere tun. Aber ich blicke zufrieden auf eine respektable Bilanz zurück. Corona war sicherlich insbesondere für die Schulen eine große Herausforderung und Belastung. Dennoch haben wir für unsere Schulen und für unsere Schülerinnen und Schüler Vieles erreicht. Die gelungene Rückkehr zu G9. Den Erhalt der Förderschulen bei gleichzeitigem Ausbau der Schulen des gemeinsamen Lernens. Wir haben die Fächer „Wirtschaft“ und „Informatik“ eingeführt. Für die grundlegenden Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen haben wir in den Grundschulen wieder mehr Zeit und Raum geschaffen. Die Schulen haben wir auch besser ausgestattet durch 10.000 neu geschaffene Stellen, 6000 erhaltene Stellen, die Rot-Grün hat abbauen wollen, und damit konnten wir über 13.300 Menschen zusätzlich an unsere Schulen bringen. Be i der Digitalisierung sind wir große Schritte vorangekommen.

Wenn Sie sich in der Gesellschaft umsehen: Ist das Fach Wirtschaft wirklich wichtiger als Sozialwissenschaften?

Gebauer Nein, wir haben nie Fächer gegeneinander ausgespielt, sondern geschaut, wo wir einen Schwerpunkt setzen müssen und wo Fächer klug kombiniert werden können. Das Fach Wirtschaft in Kombination mit politischer Bildung ist heute wichtiger denn je. Die aktuelle Energie-Krise und deren komplexe Hintergründe zeigen, wie wichtig ökonomische Kenntnisse vor dem Hintergrund politischer Ereignisse sind.

Perspektivisch wollen Sie die Lehrpläne weiter verändern.

Gebauer Es geht dabei nicht um Veränderungen als Selbstzweck. Wir sollten aber einen gesellschaftlichen Diskurs führen über die Bildung im 21. Jahrhundert: Was müssen unsere Schülerinnen und Schüler fachlich lernen, welche Kompetenzen sind heute und in Zukunft wichtig? Auch bei der Umstellung auf G9 hat sich gezeigt: Viele Fachwissenschaftler hatten Wünsche, was denn alles in den Lehrplänen verstärkt werden oder an neuen Themen dazu kommen sollte. Notwendig ist dabei aber: Für mehr Vergleichbarkeit und Qualität der Schulabschlüsse braucht es ein bundeseinheitlich ausgerichtetes und vergleichbares Abitur - ein „Deutschland-Abitur“, was ich anstrebe.

In der Schulfinanzierung wollen Sie weg von Projekten und Programmen. Warum hat es bisher nicht geklappt?

Gebauer Es hat teilweise geklappt, der Bildungshaushalt ist in meiner Amtszeit um rund drei Milliarden Euro oder rund 17 Prozent angestiegen. Diesen Weg müssen wir weiter gehen. Corona hat gezeigt, wo in unserem Schulsystem weitere Anstrengungen erforderlich sind. Wir brauchen eine verlässliche, verstetigte Finanzierung im Bereich Bildung im Schulterschluss zwischen kommunalen Schulträgern, Land und Bund.

Wie viel Geld braucht das Schulsystem?

Gebauer Es ist schwierig eine konkrete Zahl zu nennen, weil das davon abhängt, was man umsetzen will. Ich möchte in der kommenden Legislatur beispielsweise 1000 Talentschulen schaffen, eine 1:1-Ausstattung mit digitalen Endgeräten bei den Schülern erreichen, die Lehrerausbildung reformieren und ein neues Investitionsprogramm „Schule 2030“ auflegen. Allein das wird einige Milliarden in den kommenden Jahren kosten.

Nun müssen ukrainische Kinder aufgenommen werden. Bringt das das Schulsystem an seine Grenzen?

Gebauer Unsere Schulen sind nach zwei Jahren Corona oft an ihre Grenzen gestoßen und insbesondere die Lehrkräfte und Schulleitungen sind manchmal über diese Grenzen hinaus gegangen. Jetzt stehen die Schulen wieder vor einer besonderen Herausforderung. Wir haben eine humanitäre Verpflichtung für die Ukrainer, und es gibt die Schulpflicht für die geflüchteten Kinder. Seitens des Ministeriums haben wir schnell gehandelt und alles getan, damit die Integration in den Schulen gelingt. Die finanziellen Ressourcen jedenfalls sind vorhanden, daran wird es auf keinen Fall scheitern. Wir sehen, dass sich unsere Schulen dieser Aufgabe stellen und mit Freude annehmen.