Aachen : Willibert Pauels: „Tod, du hast nicht das letzte Wort!“
Aachen Der Tod ist überhaupt nicht lustig. Oder vielleicht doch? Willibert Pauels, Theologe, Diakon und gefeierter Büttenredner, hat da so seine ganz eigene Sicht aufs Jenseits. Ein Gespräch mit unserem Redakteur Georg Müller-Sieczkarek über Himmel und Hölle, Seidenwürmer und Grabsteine, geröstete Heilige und eine Döner-Bude in Wuppertal.
Herr Pauels, haben Sie einen guten Witz über den Tod für uns?
Pauels: O ja, jede Menge! Ein Ehepaar liegt auf der Intensivstation, die Frau stirbt vor ihrem Mann und kommt in den Himmel. Wer nicht kommt, ist ihr Mann. „Furchtbar“, sagte sie, „immer kommt der Kerl zu spät.“ Nach Stunden ist dann endlich auch der Ehemann da. „Sag mal, wo bleibst Du denn nur“, schimpft sie. Und er sagt: „Tut mir leid, Liebchen, mein Arzt hat mich so lange aufgehalten.“
Für den Arzt war das wohl die Katastrophe der Woche: Hilfe, wir verlieren ihn, wir verlieren ihn! Aber wenn man im Tod nicht einen bloßen Übergang, einen Fall ins Nichts sieht, dann ist das Bemühen des Arztes ein bloßes Hinauszögern, und das gibt dem Ganzen eine unglaubliche Gelassenheit und Heiterkeit. Der Witz erzählt übrigens mehr über Ostern als zehn theologische Vorlesungen.
Darf man über den Tod lachen? Muss man es vielleicht sogar?
Pauels: Man muss über alles lachen können. Wenn einer etwa sagt, über Türken oder Schwarze oder Juden macht man keine Witze, entscheidet er patriarchalisch: Die können das nicht aushalten. Und das ist die sublimste Form der Diskriminierung. Das einzige Tabu für mich lautet: Du darfst dein Gegenüber nicht demütigen.
Kann man dem Tod durch den Humor seinen Schrecken nehmen?
Pauels: Aber sicher, mit dem Galgenhumor gibt es sogar eine eigene Gattung dafür. Die Botschaft lautet: Tod, du hast nicht das letzte Wort! Das findet man auch in vielen Heiligen-Legenden wie etwa beim heiligen Laurentius, bekanntlich der Schutzpatron der Köche. Schon das ist an sich ja makaber, wenn man bedenkt, dass Laurentius auf einem Gitterrost zu Tode geröstet worden ist. Da fällt mir ein: Gegenüber der Wuppertaler Laurentiuskirche hat ein Türke einen Döner aufgemacht, und der heißt tatsächlich — „Laurentius-Grill“... (lacht)
Wusste der Mann, was er da tat?
Pauels: Ich weiß es nicht. Aber der Heilige soll ja tatsächlich im Sterben seinem Henker gesagt haben: Ihr könnt mich umdrehen, von dieser Seite bin ich gar.
Wenn Willibert Pauels eines hoffentlich fernen Tages an die Himmelspforte klopft, was passiert denn dann?
Pauels: Ich halte es da mit einem Liedtext von Reinhard Mey: Ich stelle mir das Sterben vor so wie ein großes, helles Tor, durch das wir einmal gehen werden. Dahinter liegt der Quell des Lichts, oder das Meer, vielleicht auch nichts.
Ich hoffe, dass die sogenannten Nahtoderfahrungen, die es ja seit Beginn der Menschheitsaufzeichnungen gibt, kein Drogentraumerlebnis des Gehirns schildern, sondern die Realität. Und dann ist es tatsächlich so, dass wir von geliebten Menschen empfangen werden — für mich die schönste Vorstellung, die es überhaupt gibt.
Das ist dann Ihre ganz persönliche Idee vom Paradies?
Pauels: Ja, natürlich. Das Paradies ist der Zusammenfall aller Gegensätze, das Aufheben und Vergessen der Zeit, wie spielende Kinder oder Verliebte es erleben. Das ist da auch ein Schlüsselsatz in Goethes Faust: „Werd’ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! Du bist so schön!“ Ewiges Leben, so hat es Papst Benedikt XVI. einmal formuliert, bedeutet keinesfalls endloses Leben. Ein Leben, das nicht aufhört, ist nicht der Himmel. Sondern die Hölle.
Ein Rationalist, oder „armer Atheist“, um Willibert Pauels zu zitieren, sagt: Mit meinem letzten Atemzug ist alles zu Ende. Was entgegnen Sie?
Pauels: Ich wünsche dir viel Kraft, mit dieser Trostlosigkeit glücklich zu werden.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Pauels: Klar, jedes Geschöpf ängstigt sich. Der letzte Satz der Heiligen Bernadette Soubirous lautete: „Ich habe Angst.“ Das ist so menschlich und sympathisch und jenseits aller falschen heroischen Glaubenszuversicht!
Haben Sie für einen Menschen, der sein Ende vor Augen hat, einen tröstlichen Gedanken?
Pauels: Der Kern jeder gesunden Religion, die sich nicht nur auf Geund Verbote gründet, ist die Zusage, dass der Mensch mehr ist nur Biochemie. Er hat eine Seele, die kostbarer ist als das gesamte Universum. Und nichts kann die Seele zerstören, selbst der Tod hat darüber keine Macht. Deshalb konnte Michelangelo sagen: Wenn wir sterben, gehen wir nicht ins Nichts, sondern wechseln nur die Räume. Das ist die Botschaft. Aber wichtiger als Worte ist es, dem Sterbenden die Hand zu halten, zu zeigen: Ich lass Dich nicht allein!
Können Sie als etwas mit der hinduistischen und buddhistischen Vorstellung von der Wiedergeburt anfangen?
Pauels: Nein. Es muss nach meiner Überzeugung einen Urgrund jenseits aller Materie geben, den man nicht erklären kann, einen Raum bei Gott. Die Seelenwanderung ist für mich keine plausible Vorstellung: Wo sollen denn all die Körper bloß herkommen? Und es werden ja immer mehr! (lacht) Die Rechnung geht ja schon rein mathematisch nicht auf! Aber das ist mir wurscht, wenn es einem hilft, weiß ich, dass er im Grunde das Gleiche glaubt wie ich.
Also: Wer heilt, hat recht, und wer tröstet, hat auch recht.
Pauels: Ganz genau.
Wie passt die Erzählung von der Wiederauferstehung Christi dazu?
Pauels: Paulus sagt ja, sinngemäß: Wenn wir nicht an die Wiederauferstehung glauben, ist unser Glaube hohl, und dann können wir ihn gleich in die Tonne treten. Den auferstandenen Christus haben die Jünger ja nicht erkannt. Das bedeutet: Er hat sein Wesen behalten, aber er ist verwandelt. Wir kommen noch einmal zu Goethe. Sein „Torquato Tasso“ beobachtet eine Raupe, einen „Seidenwurm“ — was für ein schöner Name! Der Lebenszweck dieses Seidenwurms scheint absurderweise darin zu bestehen, seinen eigenen Sarg, den Kokon zu spinnen.
Eigentlich reichlich existenzialistisch.
Pauels: Absolut. Angesichts des Todes, hat Thomas Bernhard geschrieben, hat alles keinen Sinn. Aber „Torquato Tasso“ alias Goethe erkennt, dass diese Raupe nichts anderes ist als reine Verwandlung. Denn am Ende wird sie zum Schmetterling. Deshalb soll einmal dieser Satz aus Goethes Schauspiel auf meinem Grabstein stehen: Ach, dass ein guter Gott uns gebe, Gleich dem Seidenwurm, an einem neuen Sonnentag, die Flügel auszubreiten.
Wie schön.
Pauels: Nicht wahr? (singt) Goethe war guuut, ja der konnte reimen...
Kritiker werfen der Kirche häufig vor, sich zu häufig wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verschließen. Zu Recht?
Pauels: Wenn man das nachweisen kann, ist die Kritik mehr als berechtigt. Kirche muss sich mit dem aktuellen Erkenntnisstand auseinandersetzen. Sonst haut sie sich selber weg. Ich kann da den Nobelpreisträger Werner Heisenberg zitieren: „Der erste Schluck aus dem Becher der Wissenschaft macht mich zum Atheisten. Aber am Grund dieses Bechers erwartet mich Gott.“