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Disney-Doku „Unter den Sternen“: Wie eine RWTH-Werkstatt eine Nasa-Mission rettet

Disney-Doku „Unter den Sternen“ : Wie eine RWTH-Werkstatt eine Nasa-Mission rettet

In einer Disney-Doku spielen die mechanischen Werkstätten der RWTH Aachen eine bemerkenswerte Rolle: Sie stehen als Retter einer Weltraummission der Nasa im Rampenlicht. Die Abteilung am 1. Physikalischen Institut reagiert bescheiden und erzählt, wie es dazu kam.

Üblicherweise werden die wissenschaftlichen Geniestreiche der RWTH Aachen öffentlich herausgestellt. Entwicklungen wie das neue Kühlsystem für ein ISS-Modul zur Weltraumbeobachtung etwa. Doch in einer Dokumentation über genau diese Nasa-Mission bleibt die wissenschaftliche Leistung der RWTH-Physiker um Professor Stefan Schael unerwähnt. Stattdessen stehen darin plötzlich und unerwartet die Industriemechaniker und Fertigungstechniker der Universität als die Retter der Mission im Rampenlicht. „Na ja“, sagt Michael Wlochal, Leiter Konstruktion und Fertigung am 1. Physikalischen Institut, „das hätten andere auch geschafft.“

„We Have a Problem“ (Wir haben ein Problem), heißt die zweite Folge der sechsteiligen TV-Dokumentation „Unter den Sternen“, die auf der Disney-Streaming-Plattform zu sehen ist. Es geht um die Rettung von 1,5 Milliarden Euro. So teuer war das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS), das von der ISS aus in die Weiten des Weltraums schaut. Mit ihm suchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Dunkler Materie und versuchen zu verstehen, wie sich Teilchen im All ausbreiten. Das Kühlsystem des Moduls aber ist defekt.

Kurz vor der terminierten Reparatur im Weltraum wird es im Jahr 2020 spannend: Das Kühlsystem, das an der RWTH zusammen mit der Nasa und dem Massachusetts-Institut für Technologie (MIT) entwickelt wurde, ist fertig. Die Astronauten, die es anbringen sollen, sind schon auf der ISS. Doch ein Werkzeug, mit dem die alten und neuen Kühlleitungen absolut dicht verbunden werden können, gibt es immer noch nicht. Monatelange Versuche auf der Erde scheitern. Kein Prototyp funktioniert.

 Arbeiteten mit an der Entwicklung des Werkzeugs für die Nasa: RWTH-Werkstattleiter Michael Wlochal (rechts), der das Werkzeug in Händen hält, und Mechaniker Fabian Kochanowski.
Arbeiteten mit an der Entwicklung des Werkzeugs für die Nasa: RWTH-Werkstattleiter Michael Wlochal (rechts), der das Werkzeug in Händen hält, und Mechaniker Fabian Kochanowski. Foto: MHA/Harald Krömer

Der Projektleiter der Nasa, Ken Bollweg, verzweifelt. Er, der Sohn eines Klempners, tüftelt in der Disney-Doku in seiner heimischen Garage herum und kommt mit der Idee zu einer Crimpzange heraus, die zwei Dinge durch Verformung miteinander verbindet. In der nächsten Einstellung der Doku sieht man die Türme des Aachener Doms, eine Glocke läutet. Aus dem Off sagt jemand „Der erste Prototyp wurde in Deutschland gefertigt“. Schnitt, eine Werkstatt mit alten, grün lackierten Maschinen aus dem letzten Jahrhundert, eine Schublade mit Bohrfuttern und Bohrern wird aufgezogen, „RWTH Aachen University“ wird eingeblendet. „Die wissenschaftliche Werkstatt der RWTH ist einfach großartig“, sagt Bollweg und strahlt, „ich habe beschrieben, was ich brauchte – und: Boom!“

„Dieses Lob freut uns natürlich“, sagt Wlochal, „wir haben hier eine schlagkräftige Werkstatt, gute Mechaniker, kurze Wege und die nötige Erfahrung.“ Er gibt das Lob aber gleich zurück: „Hut ab vor den Konstrukteuren der Nasa!“ Zehn Ingenieure – also nicht der einzelne Projektleiter in seiner Garage – und Wissenschaftler der RWTH hätten an dem Konzept für das Werkzeug mit integrierter Dichtigkeitsprüfung mehrere Monate gearbeitet.

Mit ersten Entwürfen sei Bollweg an das 1. Physikalische Institut herangetreten, weil er wegen der Arbeiten am neuen Kühlsystem ohnehin am Institut gewesen sei. Reiner Zufall also, sagt Wlochal. Er betont, dass jede RWTH-Werkstatt das geschafft hätte, andere sogar einen weltweiten Ruf besäßen – und modernere Maschinen. „Am WZL und IPT sind Weltmeister unterwegs.“

Wissenschaftliche Werkstätten sind dazu da, Verfahren mitzuentwickeln und Prototypen herzustellen, die eigentlich für unmöglich gehalten werden. Wlochal und sein Team haben zum Beispiel ein Verfahren für gekühlte Montagepunkte auf einer Kohlefaserplatte mitentwickelt und aktuell eines für Matten aus winzig kleinen Kunststoff-Lichtleiterfasern, die den Weg jedes Teilchens am Teilchenbeschleuniger CERN aufzeichnen sollen. „Auf dem Weg zum Ziel müssen alle Beteiligten maximal flexibel sein und mitdenken“, sagt Wlochal.

Menschen wie er, Ingenieur und Industriemechaniker, dienen als Übersetzer. „Physiker forschen in einer Welt unvorstellbar kleiner Teilchen. Mechaniker arbeiten in der Welt der Materie“, sagt Wlochal. Einen Bohrer für ein 0,03 Millimeter großes Loch, das einmal verlangt wurde, gibt es einfach nicht. Gemeinsam wurde eine andere Lösung gefunden.

Das Verbindungswerkzeug für die Nasa: Im Hintergrund zeigt das Computerbild, wo die Werkzeuge außen an dem maßgeblich an der RWTH entwickelten Ersatz-Kühlsystem für ein Modul an der Internationalen Raumstation ISS befestigt waren.
Das Verbindungswerkzeug für die Nasa: Im Hintergrund zeigt das Computerbild, wo die Werkzeuge außen an dem maßgeblich an der RWTH entwickelten Ersatz-Kühlsystem für ein Modul an der Internationalen Raumstation ISS befestigt waren. Foto: MHA/Harald Krömer

Der Industriemechaniker Fabian Kochanowski, der in der Disney-Doku an einer RWTH-Maschine zu sehen ist, hat mit seinen Kollegen an der Entwicklung des Nasa-Werkzeugs mitgearbeitet. Mechanische Problemlösungen und extrem genaue Einzelanfertigungen sind sein Berufsalltag. Aber etwas für die Nasa, das Astronauten im Weltraum einsetzen, war noch nicht dabei. „Das war schon etwas Besonderes.“ Ken Bollweg hat neben ihm an der Drehmaschine gestanden und die Passmaße selbst kontrolliert. „Er war einfach ein Kollege.“ Ein „ehrgeiziger“, aber auch „ein sehr netter“. Einer, der mit Staunen zur Kenntnis nahm, wie Ingenieure und Mechaniker in der Werkstatt noch im Entstehungsprozess gemeinsam nach der besten Lösung suchen.

Wenn es denn überhaupt eine Lösung gibt. Diese Unwägbarkeit ist einer der Gründe, warum es wissenschaftliche Werkstätten gibt. „Die Industrie stößt bei solchen Projekten an Grenzen“, sagt Wlochal. Im Fertigungsprozess fehle die nötige Flexibilität und das finanzielle Risiko sei nicht planbar. „Wer weiß schon, ob die Idee am Ende funktioniert?“

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Im Fall des Dichtungswerkzeugs etwa wurden die Toleranzen von über 1000 verschiedenen Dichtungsringen gemessen. Mit dieser Präzision hatte das noch nie zuvor jemand getan. Das Messverfahren dafür musste erst entwickelt werden. „Eine Heidenarbeit. Die Industrie würde sagen: Seid Ihr noch zu retten?“, sagt Wlochal. Jede Maßabweichung beim Dichtungsring – in Bruchteilen von Millimetern hinterm Komma (!) – nahm schließlich Einfluss auf das Fräsmaß des Edelstahls drumherum. Aber nur so stimmte am Ende im Zusammenspiel aller Werkstücke die Gesamtqualität der Verbindung, die im Weltraum bei extremer Kälte von minus 150 Grad Celsius ebenso dicht sein muss wie bei extremer Hitze von plus 60 Grad.

Funktioniert der Prototyp, ist die Aufgabe einer wissenschaftlichen Werkstatt zunächst erfüllt. Die Alsdorfer Firma Haku übernahm für 150.000 Euro die Serienproduktion der über 1000 Einzelteile für 45 Exemplare des Werkzeugs, die dann wieder an der RWTH zusammengebaut und auf Herz und Nieren getestet wurden. Die Nasa hat sich bei der RWTH-Werkstatt mit einer besonderen Auszeichnung bedankt: Wlochal erhielt stellvertretend für sein ganzes Team den Team-Award 2021.