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Jülicher Forscher: Wie die Böden dem Klima helfen können

Jülicher Forscher : Wie die Böden dem Klima helfen können

Mehr Windräder, weniger Kohle – die Klimapolitik dreht sich vor allem um grüne Technologien. Doch es geht auch darum, der Atmosphäre wieder verstärkt CO2 zu entziehen. Wie das gehen kann, wird auch am Forschungszentrum Jülich untersucht.

Ein Schlüssel dazu, wie der Atmosphäre Kohlendioxid (CO2) entzogen werden kann, liegt in den Ozeanen, vor allem aber in unseren Wäldern und Böden. Denn der Boden speichert, wenn man die Permafrostböden hinzurechnet, etwa viermal so viel Kohlenstoff wie die Atmosphäre. Jülicher Wissenschaftler waren am jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC beteiligt, der Anfang April vorgestellt wurde und die Bedeutung des Bodens als natürlicher CO2-Senke unterstrich. Prof. Nicolas Brüggemann vom Institut für Bio- und Geowissenschaften am Forschungszentrum Jülich beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. Im Gespräch erklärt er, warum der Boden eine gute Klimaanlage ist, weshalb kein Feld im Winter mehr brachliegen sollte und was beim Aufforsten von Wäldern immer noch schiefläuft – auch vor unserer Haustür.

Herr Prof. Brüggemann, glauben Sie eigentlich noch an das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens?

Nicolas Brüggemann: Nein. Das 1,5 Grad-Ziel war von Anfang an eine politische Botschaft. Rein physikalisch gesehen ist es nicht realistisch. Wir haben eine globale Temperaturzunahme von 1,1 Grad gegenüber dem Zeitraum 1850-1900 ja bereits heute erreicht, liegen also nur noch 0,4 Grad unter dieser Zielmarke. Und das Klimasystem der Erde reagiert sehr träge.

Was wäre denn im besten Fall möglich?

Brüggemann: Zwei Grad – wenn man denn die Anstrengungen beibehält.

In der Klimadebatte standen bislang der Ausbau erneuerbarer Energien und die Vermeidung von Emissionen im Vordergrund. Nun wird vermehrt über den Einfluss und die Potenziale von natürlichen CO2-Senken wie Böden und Wäldern diskutiert.

Brüggemann: Das ist auch richtig. Angenommen, alle fossilen Energieträger werden durch erneuerbare Energiequellen ersetzt. Dann gelangen – aus diesem Bereich – zwar keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre. Aber das reicht nicht. Wir müssen bis Mitte des Jahrhunderts zu negativen Emissionen kommen, wenn wir den Klimawandel abmildern wollen.

Was heißt das genau?

Brüggemann: Eine Netto-Aufnahme von Kohlenstoff in die Böden und die weltweiten Ökosysteme. In diesem Jahrhundert muss der Atmosphäre möglichst viel Kohlenstoff entzogen werden, der danach für viele Jahrzehnte im Boden gespeichert wird.

Der Jülicher Wissenschaftler Prof. Nicolas Brüggemann erforscht den Einfluss der Böden auf das Klima.
Der Jülicher Wissenschaftler Prof. Nicolas Brüggemann erforscht den Einfluss der Böden auf das Klima. Foto: Sascha Kreklau

Wie lässt sich das erreichen?

Brüggemann: Ein Weg ist zum Beispiel, den Anteil an Humus, also stabilisierter organischer Substanzen, in den landwirtschaftlich genutzten Böden zu erhöhen. Viele Flächen haben heute durch die intensive Bewirtschaftung zu wenig davon. Dafür müsste allerdings die Düngeverordnung geändert werden. Denn es gibt strenge Grenzwerte für das Aufbringen von organischem Material, und die Landwirte sind da sehr zurückhaltend.

Warum?

Brüggemann: Die Verordnung sieht vor, dass man in einem Zeitraum von drei Jahren so viel organisches Material – zum Beispiel Kompost oder Mist – auf einem Acker ausbringen darf, das 510 Kilogramm Stickstoff pro Hektar entspricht. Auf ein Jahr umgerechnet sind das 170 Kilogramm Stickstoff. Das ist die Untergrenze dessen, was man etwa in klassischen Weizen-Kulturen düngen muss. Anders gesagt: Es gibt im Moment gar keine Möglichkeit, wirklich großflächig größere Mengen organischer Substanzen auf die Äcker zu bringen, weil es die Verordnung verhindert.

Was könnte man noch machen?

Brüggemann: Mehr Pflanzenkohle einsetzen, die deutlich stabiler ist als normaler Humus und daher noch langsamer abgebaut wird. Oder die gezielte Aufforstung von Brachflächen. Oder die Wiedervernässung von Mooren.

Haben wir denn in Deutschland noch genügend Moore, die man für den Klimaschutz renaturieren könnte?

Brüggemann: Ja, vor allem in Norddeutschland. Das ist ein wichtiger Punkt: Die größte CO2-Quelle in der Landwirtschaft sind nämlich Böden, die früher einmal Moore waren und heute landwirtschaftlich genutzt werden.

Welchen Effekt hätte das?

Brüggemann: Die Renaturierung sämtlicher Moore in Deutschland entspräche einer Verringerung der Emissionen von rund 53 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Deutschland verursacht aber jährlich zwischen 700 und 800 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Emissionen. Selbst die Wiedervernässung aller verfügbaren Moorflächen würde also bei weitem nicht ausreichen, um klimaneutral zu werden oder sogar der Atmosphäre CO2 wieder zu entziehen.

Ist die Bedeutung der Böden als Kohlenstoffsenke der Politik ausreichend bewusst?

Brüggemann: Die Bedeutung der Böden ist allmählich auch in der Politik angekommen. Zum Beispiel gibt es dazu aktuelle Projektausschreibungen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die die Erhöhung der Kohlenstoffspeicherung in landwirtschaftlich genutzten Böden zum Thema haben. Allerdings muss sich auf der politischen Seite noch viel bewegen, z.B. bei der Düngeverordnung.

Eine weitere Möglichkeit, Kohlenstoff langfristig zu binden, sind die Wälder. Wie sollte solch ein klimagerechter Wald aussehen?

Brüggemann: Der Bedeutung der Wälder für die Kohlenstoffspeicherung ist immens. Wir brauchen allerdings keine anfälligen Monokulturen aus Fichten – eine Baumart, die in den meisten Gebieten Deutschlands natürlicherweise gar nicht vorkommt. Diese Holzplantagen haben mit einem naturnahen Wald so viel zu tun wie ein Weizenfeld mit einer Wildblumenwiese. Ein Wald, der stabil sein soll gegen Sturm, Trockenheit oder Borkenkäfer muss möglichst verschiedene Baumarten haben in verschiedenen Altersstufen, damit es keinen Totalausfall auf einer Fläche gibt. Denn das ist doppelt schädlich: Wenn Fichtenbestände absterben, nehmen sie nicht nur kein Kohlendioxid mehr auf, es gelangt für zehn bis 15 Jahre sogar noch zusätzlich CO2 in die Atmosphäre. Aber es gibt selbstverständlich auch ein ökonomisches Interesse. Wir brauchen Holz in guter Qualität für den Bau zum Beispiel oder die Möbelindustrie. Wenn man den Wald sich selbst überlässt, kann man allerdings nicht sicher sein, in 70 oder 80 Jahren die geeigneten Baumstämme in der benötigten Menge ernten zu können.

Auch in der Eifel werden derzeit viele Kahlstellen aufgeforstet. Sind Sie damit zufrieden?

Brüggemann: Nein, leider wiederholt man häufig die alten Fehler. Es wird oft nur eine Baumart gepflanzt – vielfach wieder Nadelbäume wie Fichten, Tannen oder Kiefern, und dann noch nicht einmal die heimische Kiefer. Der Wald der Zukunft sollte ein widerstandsfähiger Mischwald aus heimischen Baumarten sein. Allerdings gibt es auch nicht-heimische Baumarten wie die Amerikanische Roteiche oder die Esskastanie, die gut mit Trockenheit zurechtkommen und daher insbesondere im Wirtschaftswald eine Alternative darstellen können.

In Ihrem Beitrag zum jüngsten Klimabericht heißt es, nicht nur der sichtbare Teil des Baumes sei wichtig, auch die Wurzeln binden jede Menge Kohlenstoff.

Brüggemann: Ja, in einem alten Wald sind etliche hundert Tonnen pro Hektar gespeichert – ein Drittel des CO2 steckt in den Wurzeln. Auch deswegen braucht es vielfältige, gut durchwurzelte Wälder. In dem Moment, in dem ein Baum abstirbt oder gefällt wird, werden die Wurzeln auch nicht mehr versorgt. Ein Großteil dieser Biomasse verrottet und wird zu CO2, ein kleiner Teil zu stabilem Humus, der Kohlenstoff langfristig bindet. Kahlschläge oder Borkenkäferbefall beschleunigen diesen Prozess, weil weniger organisches Material nachgeliefert als abgebaut wird.

Sehen Sie Zeichen für ein Umdenken?

Brüggemann: Es ist erfreulich, dass die Humus-Wirtschaft auch in der konventionellen Landwirtschaft stärker ins Blickfeld rückt – in Biobetrieben gibt es das ja schon lange. Es dürfte im Winter, nach der letzten Ernte, eigentlich gar keine Brachflächen mehr geben. Einmal, weil unbestellte Äcker sehr große Nitrat-Quellen sind, das am Ende das Grundwasser belastet. Und zweitens verpasst man die Chance, auf diesen Flächen zusätzlich organisches Material zu produzieren.

Was zum Beispiel?

Brüggemann: Man sollte die Wintermonate nutzen, um auf allen Brachflächen eine Winterbegrünung zum Beispiel aus Gras, Ackersenf oder Rübsen anzubauen. Im Weinbau wird das schon lange so gemacht, zwischen den Rebstöcken wachsen Wicken, Malven, Roggen oder Weidelgras. Die Winzer wissen: Mehr Humus macht den Boden lockerer und erhöht die Fähigkeit, Wasser zu speichern. Das hilft den Reben in heißen Sommern, wirkt der Erosion der Böden entgegen – und verbessert nebenbei auch die Qualität der Trauben.