Aachen : Wie aus einem Printenbäcker ein Graffiti-Künstler wurde
Aachen Er ist karg eingerichtet, sehr karg: Bett, Regal, Couch, daneben an die Wand gelehnt große Pappen, auf denen exotische Blumen blühen, üppige Fülle herrscht. Was für ein Kontrast. Frank Schröter, der sich als Sprayer den Namen Rosco zugelegt hat, lebt in diesen Bildern, sie bieten ihm Zuflucht und Trost, wenn er mal wieder in einer Sackgasse steckt.
Der 1968 in Hannover geborene und in Aachen lebende Künstler ringt mit seiner wahren Bestimmung. Er ist hier, und es zieht ihn fort. Schon ganz früh ist das so, als er die Ausbildung zum Bäcker, Konditor und Printenbäcker absolviert, sogar im Show-Printenbacken eines großen Aachener Unternehmens erfolgreich ist. Doch irgendwann geht das nicht mehr, und er wendet sich der Kunst zu — konkret den Farbdosen, den sanften grünen, blauen, gelben, grünen und roten Nebeln, die nicht ungefährlich sind, wenn man sie zu intensiv einatmet.
Der Weg zum Aerosol-Junkie, wie sich einige Sprayer nennen, ist nicht weit. Graffiti — ja, das fasziniert den heute 47-Jährigen mit den blauen Augen und dem grauen Haar. Auch die Szene reizt, die Wildheit, das Prickeln des Verbotenen, Fabrikruinen und leerstehende Häuser. Stets ist man bereit zum blitzschnellen Einpacken der Utensilien, immer gibt es Konflikte mit Behörden.
Rosco will es anders, speziell, so speziell, dass jeder, der seine Arbeiten sieht, weiß, das diese Werke nur von einem sein können — Rosco. „Ich habe viele Ideen, die ich nicht immer sofort auf eine Wand bringen kann“, sagt er. Deshalb die Kartons in der Wohnung. „Ich weiß genau, wann das Altpapier abgeholt wird, dann gehe ich zu Geschäften wie etwa Möbelhäusern und finde dort schöne, große Pappen.“
Sein Stil unterscheidet sich deutlich von den üblichen „Tags“, den Signaturkürzeln der Sprayer. Rosco hat den Zeichner im Blut, den Ästheten mit der nie zu stillenden Sehnsucht nach Perfektion. Fotorealistisch bannt er seine lasziven Schönheiten im Großformat auf (inzwischen erlaubte) Flächen — verträumte Frauen mit vollen Lippen, großen Augen, traurig und stolz. Um sie herum blüht ein schillernder Dschungel, Lilien öffnen ihre Kelche, es gibt Rosen, Stiefmütterchen, Sterne und Ranken, göttliche Augen, Engelsfittiche, und manchmal taucht an einer Mauerkante sogar ein mächtiger Hirsch auf oder ein Urzeit-Dinosaurier öffnet das Maul.
Traumfrauen? Rosco lächelt. „Na ja, auch ich arbeite schon mal mit Vorlagen“, gesteht er und zieht einen kleinen Hochglanz-Katalog hervor: Frisurenmoden. Bei Rosco ist alles Kunst. Selbst das alte schwarze Ledersofa ist mit Ideenskizzen bedeckt, die weitläufige Terrasse hoch über Aachens Innenstadt ist ein guter Ort, um den Farbdämpfen zu entgehen. „Hier muss ich nur auf die Windrichtung achten, sonst fliegen mir Bilder weg“, sagt der Künstler.
Im Grill steht das Regenwasser, die grauen Möbel rosten, das Fahrrad ist schon älter, die Wandverkleidung hat ein paar Schäden — das stört ihn nicht. Hauptsache Raum zum Sprayen. Wie eine kleine Blech-Armee stehen zahlreiche Spraydosen aufgereiht — vom intensiven Benutzen etwas ramponiert . Der Sprühkopf („Cap“) wird erst aufgesetzt, wenn eine Dose in Betrieb ist, sonst entweicht der Lack.
Seit 1984, als er das erste Mal mit dem Sprayen aktiv wurde, hat sich im Leben des Frank Schröter nicht nur Schönes ereignet. Konflikte mit der Familie, Attacken anderer Sprayer, die ihn als Außenseiter empfinden. „Ich halte nichts von Leuten, die Schmierereien veranstalten oder Hakenkreuze und Parolen sprühen“, sagt er entschieden. „Manchmal fühle ich mich verfolgt, das tut nicht gut.“
Im Schaffensprozess bleibt er dennoch mutig. So hat ihn eine Firma beauftragt, ihren Container — sieben Meter lang, fast drei Meter hoch — zu gestalten. Ein dreidimensionales, gewaltiges Kunstwerk ist entstanden. Man stürzt sich mit dem Blick des Künstlers in die Häuserschluchten von New York, und an der Schmalseite gibt es eine seiner schönsten Traumfrauen. „Auf dem Bau arbeitet eine Multikulti-Gemeinschaft, das spricht alle an.“ Rosco fühlt sich ein. Sein Buddha im Yogastudio von Bekannten ist ein ergreifendes Andachtsbild in Violett-, Orange- und Goldtönen, wenn er einen Adler gestaltet, sind scharfer Blick und Kraft gegenwärtig.
Im Selbstporträt schaut er sich selbst stirnrunzelnd und übermächtig in Schwarz-grau-weiß-Tönen in die Augen. Sauber an die Sachen herangehen — das ist seine Devise. Und inzwischen gibt es viele Kunstwerke mit Wiedererkennungseffekt auf erlaubten Wänden, Engel mit weiten Schwingen, Gestalten, die gerade dort an indische Gottheiten im hellen Nirwana erinnern, wo die Straße besonders schmutzig ist. Der Illegal-Stress ist nichts für ihn, belastet unnötig. Sein Traum? Vielleicht Berlin, wo der Vater lebt, irgendwie das Weite suchen — einmal Rembrandts dunkle Kostbarkeiten, etwa den „Mann mit dem Goldhelm“, sehen. Es gab bereits kleine Fluchtversuche, ein Trip nach Japan. „Ich habe sogar in Tokio gesprüht“, erinnert er sich. Aber in der Riesenstadt holte ihn die Einsamkeit ein.
Und dann muss er los, noch ein paar Sozialstunden in einer Hilfseinrichtung ableisten, weil nicht immer alles im Leben so glatt geht…