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Rechtsstreit: Wenn eine Fortbildung vor dem Amtsgericht landet

Rechtsstreit : Wenn eine Fortbildung vor dem Amtsgericht landet

Die Teilnehmerin eines Workshops wird zwei Tage später positiv auf Corona getestet. Eine andere Pädagogin, die deswegen in häusliche Isolation muss und ihr Wellness-Wochenende verpasst, verklagt sie nun auf Schadenersatz.

Anfang März fuhr Helga Prief zur Fortbildung nach Köln. Auf dem Programm beim eintägigen Workshop stand das „musikalische Kita-Jahr“. Die Musikerin aus Heinsberg-Randerath reiste mit einem mulmigen Gefühl an. Ein paar Tage zuvor waren ein paar Autominuten entfernt im Kreis Heinsberg die ersten Coronavirus-Fälle in NRW bestätigt worden. Das Virus hatte Deutschland endgültig erreicht.

Prief fragte vorsichtshalber beim Verlag nach, ob ihre Teilnahme noch erwünscht sei. Es sprach nichts dagegen. Die Musikpädagogin stellte sich dennoch gleich zu Beginn des Workshops als Bewohnerin des kurzfristig berühmt gewordenen Kreises Heinsberg vor, um die übrigen Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu informieren. Vorbehalte gab es nicht, das Virus war damals noch ein Randthema.

Jedenfalls gab es keine besonderen Vorkehrungen. Und so kamen sich TeilnehmerInnen durchaus nahe bei ihren Übungen, wie bei allen Fortbildungen zuvor. Prief hielt sich im Hintergrund, gab niemanden die Hand, achtete wie sonst niemand auf Abstand an diesem Dienstag in einer Kölner Jugendherberge. Es ging um „Lieder und Ideen für den Morgenkreis, um Entspannungsübungen und Bewegungstänze für jede Jahreszeit“. Es wurde konzentriert gearbeitet. Die Fortbildung hat sich gelohnt, dachte sie auf der Heimfahrt.

Zwei Tage danach wurde Helga Prief positiv getestet. Sie selbst hatte auf den Test gedrängt, weil ihr Mann Symptome hatte und ein guter Freund, den sie einige Tage zuvor getroffen hatte, auf einer Intensivstation gelandet war. Die Musikpädagogin erkrankte nicht schwer, und sie informierte natürlich das Gesundheitsamt des Kreises, wen sie alles in den vergangenen Tagen getroffen hatte.

So setzte ein Verfahren ein, das damals noch exotisch war. Die behördlichen Fahnder informierten die Kontaktpersonen, und so bekam auch der Veranstalter der Fortbildung Kenntnis von der Erkrankung. So wurden rund 60 Männer und Frauen aus der ganzen Republik zu K1-Kontaktpersonen, die sich anschließend zwei Wochen in häusliche Quarantäne begeben mussten oder auch nicht – je nach Entscheidung der zuständigen Gesundheitsämter.

Infizierte sich im März mit dem Coronavirus: Helga Prief. Foto: Jill Brünker
Infizierte sich im März mit dem Coronavirus: Helga Prief. Foto: Jill Brünker

Hier könnte die Geschichte nun enden, aber die „Fortbildung plus“ hatte ein unerwartetes Nachspiel für den Verlag und auch für Helga Prief. Ein paar Tage nach der Veranstaltung meldete sich erst der empörte Lebensgefährte einer Teilnehmerin, die quarantänebedingt ein geplantes Wellnesswochenende absagen musste und auf 204 Euro Stornokosten sitzen geblieben war.

Der Verlag wurde zum Schadenersatz aufgefordert, bestätigt ein Sprecher. Er reagierte nicht – und wurde von der Pädagogin aus Düsseldorf verklagt. Ein Amtsgericht in Lüneburg am Sitz des Unternehmens konnte allerdings keine Pflichtverletzung erkennen. Der Verlag wurde allerdings per Urteil gezwungen, den Namen der Positiv-Patientin herauszugeben, damit die Klägerin weiterhin den Rechtsweg beschreiten konnte.

Und so kam es, dass nun auch Helga Prief Post von der verhinderten Wellness-Urlauberin erhielt. Kurz vor Weihnachten wurde sie von einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei aufgefordert, die 204 Euro plus nun weitere 80 Euro Bearbeitungsgebühren zu zahlen – bis Ende 2020. „Das ganze Verfahren ist grotesk“, sagt sie. „Ich habe mich seriös verhalten, um niemanden in Gefahr zu bringen, und soll jetzt Strafe zahlen, obwohl ich keinen Fehler gemacht habe?“ Und was wäre das für ein fatales Signal, wenn Corona-Patienten für eine Erkrankung, die bei ihnen nicht einmal diagnostiziert wurde, in Regress genommen werden könnten?

Seit Monaten kann die vielseitige Musikerpädagogin ihrem Beruf kaum nachgehen. Die musikalische Früherziehung in den Kindergarten und Grundschule, in denen sie unterwegs ist, ist einstweilen gestrichen. Der Einzelunterricht an den vielen Instrumenten, die sie spielt, ist kaum noch möglich. Die verordnete Tatenlosigkeit sorgt schon für ausreichend Sorgen. Den heraufziehenden Rechtstreit jedenfalls hätte sie nicht gebraucht, sagt sie. Sie nahm sich einen Rechtsanwalt.

Anwalt sieht die Sache gelassen

Anwalt Franz Klaßen aus Heinsberg sieht dem anstehenden Verfahren gelassen entgegen. „Man kann natürlich versuchen, alles Mögliche einzuklagen, selbst wenn die Erfolgsaussichten eher gering sind“, sagt er. „Meiner Mandantin kann man nichts vorwerfen. Schadenersatz setzt ein schuldhaftes, das bedeutet ein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten voraus. Das liegt hier aus meiner Sicht im Hinblick auf das Verhalten von Frau Prief nicht annähernd vor.“

Für weniger prozesserfahrene Menschen wie Helga Prief ist das Verfahren unnötig aufregend. Sie muss sich nun verantworten, obwohl sie sich ernsthaft an alle Vorgaben gehalten hat. Vor ein paar Tagen zündete die Gegenseite die nächste Stufe: Ein gerichtlicher Mahnbescheid kam an, ausgestellt vom Amtsgericht in Hagen. Die Kosten beliefen sich bereits auf 380 Euro. So ein Mahnbescheid ist ein vereinfachtes Verfahren, um Ansprüche geltend zu machen. Das Gericht überprüft die Berechtigung der Ansprüche nicht.

Helga Prief und ihr Anwalt werden nun Widerspruch einlegen, so dass sich in den nächsten Wochen also das Amtsgericht in Heinsberg mit der „Fortbildung plus“ und deren Folgen beschäftigen wird. Ob das Verfahren in Pandemiezeiten mündlich oder schriftlich geführt wird, ist noch offen. Feststeht dagegen, dass die Verliererin die Kosten zu tragen hat, die sich bis dahin weiter antürmen werden.