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Präses zur Corona-Krise: „Weihnachtsgottesdienste mit 2G-Regeln sind denkbar“

Präses zur Corona-Krise : „Weihnachtsgottesdienste mit 2G-Regeln sind denkbar“

Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, erklärt im Interview, wie die Gemeinden durch die vierte Corona-Welle kommen wollen – und worauf es aus Sicht der Kirche eigentlich in diesen Monaten ankommt.

Herr Latzel, vor einem Jahr wurde darüber gestritten, ob angesichts der Pandemie Weihnachtsgottesdienste sinnvoll sind. Jetzt steigen die Zahlen wieder dramatisch, was empfehlen Sie?

Thorsten Latzel: Wichtig war und ist, überhaupt Gottesdienste zu feiern. In welcher Form und unter welchen Bedingungen, muss sich im Einzelnen zeigen. Das Infektionsgeschehen entwickelt sich regional sehr unterschiedlich, daher sagen wir: Das können die Kirchengemeinden vor Ort am besten entscheiden.

Braucht es nicht trotzdem ein Signal von oben? Empfehlen Sie den Gemeinden die 2G-Regelung?

Latzel: Die Gegebenheiten unserer Landeskirche über vier Bundesländer hinweg sind sehr verschieden, sowohl die Infektionslage als auch die politischen Vorgaben. Bislang haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, auf die Kompetenz vor Ort zu setzen, das werden wir weiter tun. Wir empfehlen dringend die Corona-Schutz-Impfung – auch als Akt praktizierter Nächstenliebe. Gottesdienste sollten je nach Anlass und örtlichen Gegebenheiten mit 3G- oder 2G-Regeln oder den bislang bewährten Schutzkonzepten durchgeführt werden.

Wir sehen in diesen Tagen eine weitere Notlage – und zwar der Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus – was ist die Antwort der Evangelischen Kirche?

Latzel: Eine fertige Antwort haben wir nicht, aber fest steht: Wir müssen den Menschen vor Ort helfen. Es kann nicht sein, dass Menschen dort leiden und sogar sterben. Es braucht eine politische Lösung, es muss legale Zugangswege geben – damit sie nicht auf gefährliche illegale Routen ausweichen müssen.

Können Sie sich Patenschaften vorstellen für diese Menschen oder Kirchenasyl?

Latzel: Wir sind natürlich bereit, Menschen, die von egal wo zu uns kommen, zu helfen, zu unterstützen, zu versorgen. Wir lassen niemanden ertrinken oder erfrieren! Zunächst ist es aber Aufgabe der Politik, legale Wege zu schaffen, auch, damit Menschen nicht so skrupellos instrumentalisiert werden können.

In der katholischen Kirche streiten Christinnen um Gleichberechtigung und den Zugang zu allen Ämtern und Aufgaben. Die evangelische Kirche hat mit Annette Kurschus zum zweiten Mal eine Frau zur Ratsvorsitzenden gewählt. Ist die Wahl eine Selbstverständlichkeit?

Latzel: Glücklicherweise ist das für unsere Kirche selbstverständlich, dass drei Frauen in führenden Ämtern der EKD sind und ihre Kompetenz einbringen: Neben Annette Kurschus ihre Stellvertreterin Kirsten Fehrs, außerdem Anna-Nicole Heinrich, Präses der EKD-Synode. Darüber freu ich mich sehr.

Was unterscheidet Frau Kurschus von ihrer berühmten Vorgängerin Margot Käßmann?

Latzel: Sie ist eine tolle Predigerin, eine erfahrene Leitungsperson, kann Menschen zusammenbringen und diplomatisch vermitteln. Dass sie den Diskurs voranbringen kann, zeigt sich schon jetzt beim Thema Missbrauch innerhalb der Evangelischen Kirche, dessen Aufklärung sie zur Chefinnensache gemacht hat. Noch dazu hat sie als Westfälin eine besondere Nähe zur rheinischen Landeskirche.

Noch einmal zurück zu den Katastrophen Ihres Antrittsjahres: Neben Corona und Belarus gab es noch die Flutkatastrophe. Wie haben Sie die erlebt?

Latzel: Die Erlebnisse unmittelbar vor Ort mitzubekommen war eine tief prägende Erfahrung – sowohl was das Leid, als auch die überwältigende Hilfsbereitschaft angeht. Wichtig war und bleibt, nah bei den Menschen zu sein. Wir entsenden aktuell zusätzliche Mitarbeitende, um die Menschen weiter seelsorglich und diakonisch zu unterstützen. Auch wenn die mediale Aufmerksamkeit schwindet: Das Wasser steckt nicht nur in den Mauern, sondern auch in den Knochen der Menschen noch drin. Die Traumata müssen verarbeitet werden, die Menschen brauchen Hoffnung. Gerade jetzt in den dunkleren Monaten lassen wir sie nicht allein.

Warum gilt der November als Totenmonat? Warum konzentrieren sich die Kirchen in diesen Wochen so sehr darauf, an die Verstorbenen zu erinnern?

Latzel: Es ist wichtig an Menschen zu erinnern, diejenigen nicht zu vergessen, die wir zu Lebzeiten wertgeschätzt haben. Es geht darum, der Trauer Raum zu geben. Trauer braucht Zeit, Orte und Riten. Deshalb zählten auch die Friedhöfe in den Flutgebieten zu den ersten Orten, die Menschen aufgeräumt haben. Außerdem geht es an diesen Tagen darum, Hoffnung über den Tod hinaus zu vermitteln. Wir glauben an den auferstandenen Christus, der den Tod besiegt hat.

Braucht es in der stark säkularisierten Gesellschaft noch Rituale des Abschiednehmens?

Latzel: Ja, die Menschen brauchen Riten, damit wir nicht nackt vor dem Tod stehen. Damit wir mit Trauer umgehen können. Es ist wichtig, die Menschen in der Zeit des Sterbens nicht allein zu lassen und die Trauernden nicht in der Zeit danach.

Die Pandemie erschwert die Arbeit in Hospizen, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern ungemein. Würde eine Impfpflicht in diesen Berufen nicht einiges erleichtern?

Latzel: Zunächst: Auch in der Pandemie darf es nicht sein, dass Menschen alleine krank sind oder sterben. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, dass Seelsorger zum Einsatz kommen können. Eine Impfpflicht für Berufsgruppen mit besonderer Verantwortung wäre sinnvoll. Grundsätzlich ist die Impfung aus Sicht der Kirche ein Akt der Nächstenliebe.

Verlangen Sie die Impfung auch von Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern?

Latzel: Es gibt keine Impfpflicht für Pfarrerinnen und Pfarrer. Wer aber in Bereichen mit vulnerablen Gruppen tätig ist, etwa in der Seelsorge in Altenheimen, darf niemanden gefährden und muss sich der Verantwortung und Fürsorgepflicht bewusst sein.

Aus Hamburg wird berichtet, dass nur noch jeder zweite evangelische Christ eine kirchliche Beerdigung erhält. Gibt es in der rheinischen Kirche eine vergleichbare Entwicklung?

Latzel: Bei uns sind es gut zwei Drittel, die kirchlich beerdigt werden. Ob das geschieht, hängt vor allem von den Angehörigen und ihrer Beziehung zur Kirche ab. Wir haben einen gewissen Abbruch an kirchlichen Traditionen und der Beheimatung gerade bei Jüngeren. Unseren Gemeinden ist es natürlich ein Anliegen, bis zuletzt Menschen auf ihrem Weg zu begleiten und Trauernde nicht allein zu lassen.

Sie sind im ersten Jahr ihrer Tätigkeit als Präses der evangelischen Kirche im Rheinland. Was unterscheidet die rheinische Kirche von den Gläubigen in ihren bisherigen Wirkungsstätten?

Latzel: Die rheinische Kirche besitzt eine große innere Vielfalt und Pluralität. Sie spiegelt unterschiedliche Traditionen, ist häufig politisch engagiert, verbindet tiefe Frömmigkeit und beeindruckende Weltoffenheit. Wir sind eine Kirche, die von jeher ein starkes soziales Gewissen hat und das in konkretem Engagement ausdrückt. Das zeigt sich aktuell nicht zuletzt in der Klimafrage.

Was ist Ihnen – auch mit Blick auf Pandemie und Flut – die wichtigste Botschaft in der an stehenden Advents- und Weihnachtszeit?

Latzel: Wir glauben an Jesus Christus als Licht und Hoffnung der Welt. Die Katastrophen haben eine neue Verletzlichkeit offenbart. Wir erleben in der Flutkatastrophe, dass das Thema Ökologie eine ganz neue Dringlichkeit für uns bekommt. Wir haben als Kirche einen Beitrag zu leisten für diese große Transformation der Gesellschaft. Da spielt das Thema Hoffnung eine ganz zentrale Rolle - nicht aufgeben, im Vertrauen darauf, dass Gott die Welt in seinen Händen hält. Gerade in der Pandemie haben wir zudem eine Vereinsamung von Menschen erlebt. Das ist Herausforderung auch für die Zeit danach. Wir müssen neu Kontakte suchen, Brücken bauen auch zu Menschen, die anders denken als wir selbst. Und wichtig wird es sein, die Jugend anzusprechen und sie auf die Kanzel zu holen.

Mit welchem Bibelwort antworten Sie auf die besonderen Herausforderungen dieser Zeit?

Latzel: Mache dich auf, werde Licht, denn dein Licht kommt. Denn die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir … (Jesaja 60,1). Das ist mir persönlich wichtig, gerade im Advent zu sagen: Wir leben in einem Licht, das kommt und das uns selbst in die Lage versetzt zu leuchten.