Kampf gegen Corona : Und, lassen Sie Ihr Kind impfen?
Aachen Seit Montag können Kinder ab fünf Jahren gegen Corona geimpft werden. Offiziell empfohlen wird es aber nur bei ernsten Vorerkrankungen. Und nun? Eine Entscheidungshilfe für Eltern.
Wie schätzen Mediziner das Gesundheitsrisiko von Kindern durch das Coronavirus ein?
„Ernsthafte Erkrankungen von zuvor gesunden Kindern und Jugendlichen an Covid-19 sind sehr selten und haben nur zu wenigen stationären Behandlungen in unserer Klinik geführt“, erklärt Prof. Norbert Wagner, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der RWTH Aachen. Er stellt klar: „Covid-19 ist eine Bedrohung für den betagten und vorerkrankten Menschen, nicht für Kinder und Jugendliche.“ Nicht anders stellt sich die Situation in der Kinderklinik am Stolberger Bethlehem-Krankenhaus dar. Von vereinzelten Fällen berichtet Chefarzt Dr. Heiner Kentrup: „Wir haben mit ganz anderen Erkrankungen zu tun.“ Und Dr. Ulrich Pohlmann, Chefarzt der Kinderklinik am St.-Marien-Hospital Düren, sagt: „Wenn Kinder an Covid erkranken, landen sie nicht auf der Intensivstation. Wenn wir erkrankte Kinder bei uns behandeln, schicken wir sie nach zwei, drei Tagen wieder nach Hause.“
Es wird immer über die hohen Inzidenzen bei Kindern berichtet. Warum gibt es trotzdem keine generelle Empfehlung für die Impfung?
Das liegt an der Arbeitsweise der Ständigen Impfkommission (Stiko). Dieses unabhängige Expertengremium arbeitet nach einem Standardverfahren. Kurz gesagt werden alle verfügbaren Daten und Studien zusammengetragen. „Daher ist die Erarbeitung einer neuen Impfempfehlung zeit- und arbeitsaufwändig“, heißt es auf der Interseite der Kommission. „Während bei der Zulassung eines neuen Impfstoffs die Sicherheit, Wirksamkeit und Qualität des jeweiligen Impfstoffprodukts im Vordergrund stehen, entscheidet die Stiko, wie eine zugelassene Impfung am sinnvollsten in der Bevölkerung zur Anwendung kommt.“ Für den Fall des Biontech-Kinderimpfstoffs hat der Stiko-Chef Thomas Mertens es so zusammengefasst: „Es gibt zwar keinen direkten Hinweis auf ein Risiko der Impfung in dieser Altersgruppe, aber es gibt eben auch keine ausreichend sichere Datenbasis, um die Sicherheit abschließend zu bewerten.“ Hinzu kommt, dass Kinder im Unterschied zu Erwachsenen viel seltener schwer erkranken. Die Nutzen-Risiko-Abwägung ist also eine andere als bei Erwachsenen.
Auch wenn es keine generelle Empfehlung der Stiko gibt: Wie gut ist der Impfstoff für Kinder?
„Der Impfstoff ist super“, sagt Chefarzt Kentrup vom Stolberger Bethlehem. Er hält die Impfung für sicher. „Aber die Stiko braucht nun mal noch weitere Daten.“ In amerikanischen und israelischen Studien wurde erstmals berichtet, dass es nach einer Corona-Impfung mit einem mRNA-Impfstoff zu Herzmuskelentzündungen kam. Insgesamt wurde diese Komplikation seitdem nur sehr selten beobachtet – der Informationsdienst Wissenschaft (idw) berichtet von 1,3 Fällen pro 100.000 Zweitimpfungen. Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und das Deutsche Herzzentrum Berlin untersuchen in einer neuen Studie die Frage, wie häufig es nach einer Corona-Impfung bei Kindern und Jugendlichen zu einer Herzmuskelentzündung kommt. Der Dürener Chefarzt Pohlmann gibt zu bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit einer Herzmuskelentzündung als Nebenwirkung einer Covid-Erkrankung größer sei als bei der Impfung. „Das ist eine ganz typische Folge bei Viruserkrankungen, etwa bei der echten Grippe. Und die Herzmuskelentzündung heilt wieder“, gibt er zu bedenken. Es sei zu erwarten, dass Kinder eher besser auf die Impfung reagieren als Erwachsene, sagt Pohlmann. Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen der Impfung bei Kindern sind laut Robert Koch-Institut (RKI) Schmerzen an der Einstichstelle, Abgeschlagenheit und Kopfschmerz.
Das Impfen ist die wichtigste Maßnahme gegen die Corona-Pandemie. Welche Rolle spielen die Kinder dabei?
„Ich glaube nicht, dass auch nur ein Intensivbett frei wird, weil wir jetzt die Kinder impfen“, sagt Dr. Christiane Thiele, Kinderärztin aus Viersen und Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Nordrhein. Wer glaubt, mit den Kinderimpfungen die Lücke zu der angepeilten 85-Prozent-Impfquote zu schließen, für den hat Thiele eine klare Botschaft parat: „Es sollen sich gefälligt die Erwachsenen impfen lassen.“ In dieselbe Richtung geht die Aussage von Heiner Kentrup: „Eins muss man natürlich noch mal deutlich klarstellen: Die Kinder sind die Leidtragenden dieser Pandemie.“ Dr. Ulrich Pohlmann hofft, dass Eltern sich nicht unter Druck gesetzt fühlen, ihre Kinder impfen zu lassen, „weil Erwachsene aus irgendwelchen Gründen meinen, die Impfung verweigern zu können“.
Welche nicht-medizinschen Argumente für eine Impfung gibt es?
„Ich kann mir vorstellen, dass es vertretbar und sinnvoll ist, ein Kind zu impfen, wenn es in einer Familie lebt, in der ein Mitglied aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden kann. Dann würde man das Kind nicht primär zu seinem Schutz, sondern zum Schutz des Familienmitglieds impfen. Eine solche Entscheidung der Sorgeberechtigten ist nachvollziehbar“, sagt Norbert Wagner von der Aachener Uniklinik. Kinderärztin Thiele denkt an Familien, in denen ein Elternteil eine Chemotherapie macht. In solchen Fällen ist das Immunsystem so geschwächt, dass auch eine dreifache Impfung eine Infektion oft nicht verhindern kann. „Diese Menschen haben wahnsinnige Angst, dass ihr Kind das Virus mit nach Hause bringt.“ Heiner Kentrup sagt: „Ich halte es für eine wichtige Motivation, dass die Impfung das Leben einfacher macht.“ Ist die Impfung nicht medizinisch angezeigt, sei die sorgfältige Prüfung durch die Stiko umso verständlicher. „Bei diesem Grund muss der Impfstoff sehr, sehr sicher sein“, meint Kentrup.
Und was machen Eltern von gesunden Kindern nun? Impfen oder nicht impfen?
Christiane Thiele impft in ihrer Praxis in diesem Jahr nur noch die Hochrisikopatienten. Für die gibt es eine Warteliste, mehr Impfstoff hat sie nicht bestellt. Und überhaupt: Wie viele Dosen und wann sie tatsächlich für ihre Praxis erhält, weiß sie nicht. „Das nervt“, gibt sie zu. Aktiv anbieten will sie die Impfung nur bei einem medizinischen Grund. Ulrich Pohlmann sieht einen „Overflow“ an Informationen. „Die Eltern sind irritiert und wollen keinen Fehler machen“, sagt der Dürener Chefarzt. Er empfiehlt: Mit dem Kinderarzt zusammensetzen und persönlich die Informationen austauschen. Wie alle anderen Gesprächspartner betont Heiner Kentrup, dass die Impfung derzeit bei so gut wie jedem Gespräch mit Eltern angesprochen werde. Deshalb freut sich der Stolberger über die Stiko-Empfehlung, denn „das macht uns Kinderärzten das Leben viel leichter“. Und so übersetzt er die Empfehlung der Experten in die Realität: „Wenn Eltern eines gesunden Kindes die Impfung wünschen, kann man das guten Gewissens machen.“