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Kerpen: Umweltaktivistin Antje Grothus: „Hambacher Wald muss gerettet werden“

Kerpen : Umweltaktivistin Antje Grothus: „Hambacher Wald muss gerettet werden“

Dass die Kerpener Umweltaktivistin Antje Grothus (54) eines Tages mit darüber entscheiden würde, wann Deutschland aus der Braunkohle aussteigen würde, hat sie selbst nicht für möglich gehalten. Nun vertritt sie das Rheinische Revier in der Kohlekommission der Bundesregierung, die sich genau mit dieser Frage beschäftigt.

Grothus kämpft seit Jahren gegen RWE und für den Erhalt des Hambacher Forstes, der aller Voraussicht nach ab 15. Oktober gerodet wird, wenn kein Gericht etwas anderes entscheidet. Sie ist mitverantwortlich dafür, dass der Restwald zum Symbol für den Braunkohlewiderstand geworden ist. Warum dessen Erhalt wichtig ist, erklärt sie im Gespräch mit Marlon Gego, das, auch wenn es sich nicht an allen Stellen so liest, in freundlicher Atmosphäre in Grothus‘ Garten stattgefunden hat.

Der Tagebau kommt immer näher: Vor dem Tagebau liegt das Kerngebiet des restlichen Hambacher Forsts. RWE möchte dort ab 15. Oktober die Rodungen fortsetzen. Umweltschützer sind entsetzt. Archivfoto: Marius Becker/dpa
Der Tagebau kommt immer näher: Vor dem Tagebau liegt das Kerngebiet des restlichen Hambacher Forsts. RWE möchte dort ab 15. Oktober die Rodungen fortsetzen. Umweltschützer sind entsetzt. Archivfoto: Marius Becker/dpa

Frau Grothus, in der Kohlekommission sitzen viele im Politikbetrieb erfahrene Menschen. Ich stelle es mir so vor, dass Sie als im Politikbetrieb eher unerfahrener Mensch nach den ersten Sitzungen einigermaßen desillusioniert sind. Liege ich richtig?

Grothus: Ich würde nicht sagen „desillusioniert“. Es ist spannend zu beobachten, wie der Politikbetrieb auf dieser Ebene funktioniert. Aber ich stelle schon fest, dass es gute Sitten gibt, und dass es im Politikbetrieb gebräuchliche Sitten gibt, um es mal so zu sagen (lacht).

Nämlich welche?

Grothus: Ich darf ja nicht aus dem Nähkästchen plaudern, wie Sie wissen. Vielen Kommissionsmitgliedern eilt ein Ruf voraus, mir ja auch. Ich habe mir aber vorgenommen, offen und ohne Vorbehalte in die Kommission zu gehen, den meisten Mitgliedern begegne ich ja persönlich dort zum ersten Mal.

Und war das die richtige Herangehensweise, ober hat sich der Ruf, der manchen vorauseilt, als wahr bestätigt?

Grothus: Ich hatte natürlich leise Befürchtungen, die sich teilweise auch bestätigt haben. Aber Sie wissen ja, dass die Kommissionsmitglieder keine Interna ausplaudern dürfen. beschäftigt. Über mich darf ich aber sagen, dass mich die Frage, wie ich unter Beibehaltung meiner Werte in der Kommission weiter mitarbeiten kann, begleitet.

Fühlen Sie sich in der Kommission nicht ernst genommen?

Grothus: Doch, ich fühle mich ernst genommen, ich bin präsent.

Sind alle bereit und bemüht, Kompromisse zu finden, oder beharren alle auf Ihren Standpunkten?

Grothus: Ich glaube, Menschen, denen daran gelegen ist, einen Konsens zu finden, wozu wir ja in die Kommission berufen worden sind, die sind auch bereit, sich zu bewegen. Es geht um die Zukunft auch unserer Region. Wir haben als Kommissionsmitglieder die Gelegenheit, die zugezogenen Experten zu befragen, zum Beispiel zum Thema Versorgungssicherheit, wie Sie der letzten Pressemitteilung der Kommissionsvorsitzenden entnehmen konnten. Und diese Gelegenheit nehme ich auch wahr, um mir auf wissenschaftlicher Basis meine Meinung zu bilden.

Bestätigen die Antworten, die Sie auf Ihre Fragen erhalten, Ihre bisherige Meinung über die Situation im Rheinischen Revier?

Grothus: Ich würde sagen, mein Horizont weitet sich, es finden Diskussionen auf ganz vielen verschiedenen Ebenen statt. Aber der Einfluss der fossilen Lobby ist natürlich deutlich spürbar, das nehme ich schon wahr.

Sind Sie argumentativ mit dieser Lobby auf Augenhöhe?

Grothus: Ich bin weder eine gewiefte Verbandschefin oder Politikerin, noch eine hochrangige Wissenschaftlerin oder Ex-Ministerpräsidentin, sondern eine ganz normale Bürgerin. Trotzdem empfinde ich meine Verantwortung als Kommissionsmitglied als eine große, und deswegen bringe ich mich in Diskussionen so ein, wie ich es eben kann und interveniere bei für uns relevanten Punkten.

Hilft Ihnen Ihre Fähigkeit, Menschen für sich einnehmen zu können?

Grothus: (lacht) Oh danke. Ich weiß nicht, ob meine Art bei jedem ankommt, ich bemühe mich aber, auf alle Kommissionsmitglieder gleich zuzugehen.

Vor zwei Jahren hatten Sie zusammen mit anderen Vertretern von Initiativen und Kirchen aus dem Kreis Düren die Möglichkeit, mit RWE an einen Tisch zu kommen. Im ersten Anlauf scheiterte der Versuch, weil Sie Maximalforderungen zur Bedingung dieser Gespräche gemacht hatten. Jetzt haben Sie erneut die Möglichkeit, die Zukunft des Rheinischen Reviers mitzugestalten, und wieder fällt auf, dass Sie und die Vertreter der Umweltschutzverbände in der Kohlekommission eine Forderung stellen: Rodungsstopp im Hambacher Forst oder Austritt aus der Kommission.

Grothus: Weil uns der Dialog wichtig ist, haben trotzdem zahlreiche Gespräche mit RWE stattgefunden. Ich habe nie gesagt: „Rodungsstopp oder ich trete aus“. Ich bin in der Kommission, um konstruktiv mitzuarbeiten. Wenn es Anlässe gibt, die aus meiner Sicht meine weitere Mitarbeit in Frage stellen, diskutiere ich das mit Betroffenen und dem Koordinierungskreis der Zivilgesellschaft

Aber Sie vertreten alle Menschen im Rheinischen Revier, nicht nur die von den Tagebauen Betroffenen.

Grothus: Ich vertrete die Region und die betroffenen Menschen im Rheinischen Revier, die sich von mir vertreten lassen wollen. Ich führe viele Gespräche, viele Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, rufen mich an und tragen ihre Anliegen vor. Ich habe gleich nach meiner Berufung in die Kommission gesagt, dass jetzt keine unumkehrbaren Fakten geschaffen werden dürfen, keine Menschen zwangsumgesiedelt oder zwangsenteignet, keine Dörfer und Kirchen zerstört werden dürfen ,weil das die Arbeit belastet.

Ist es nicht unfair zu suggerieren, dass der Hambacher Forst gerettet werden könnte, wenn RWE es nur wollte?

Grothus: Warum?

Menschen, die vom Bergbau etwas verstehen, halten dieses Szenario für ausgeschlossen.

Grothus: RWE suggeriert, dass es ausgeschlossen ist.

Auch Wissenschaftler sagen, dass, selbst wenn Deutschland noch heute aus der Braunkohleverstromung aussteigt, trotzdem die Tagebaue noch jahrelang weiterbetrieben werden müssen.

Grothus: Ich suggeriere nicht, dass der Hambacher Wald zu retten ist, ich setze mich dafür ein, dass der Versuch unternommen wird. Vielleicht erinnern Sie sich, dass RWE 2016 behauptet hat, dass auf keinen Fall auf Rodungen verzichtet werden kann, weil dann der Betrieb droht stillzustehen. Vergangenen Winter wurde nur marginal gerodet, und was ist passiert? Hat der Betrieb stillgestanden?

Nein.

Grothus: Unser Problem ist, dass wir den Bergbauingenieuren ausgeliefert sind, und dass es in Deutschland kaum neutrale Bergbauingenieure gibt, weil alle zumindest eine berufsbedingte Nähe zu RWE haben, wie die nordrhein-westfälische Bergbaubehörde auch. Deswegen fällt es mir schwer, alles zu glauben, was Bergbauingenieure in Bezug auf den Hambacher Wald äußern. In der Kohlekommission ist uns aufgetragen, auch die Klimaziele bis 2020 und 2030 zu berücksichtigen. Wenn die RWE-Verantwortlichen suggerieren, sie könnten nicht umplanen, dann ist es erstens ein Armutszeugnis für die hervorragend ausgebildeten Bergbauingenieure, die dort arbeiten, und zweitens würde das bedeuten, dass die Kohlekommission eine Jux-Kommission ist. Wenn wir entscheiden, dass Deutschland früher aus der Braunkohle aussteigen muss, um seine Klimaziele einzuhalten, aber RWE sagt, dass das technisch überhaupt nicht geht, warum sitzen wir dann in der Kommission und verwenden unsere Zeit darauf, einen Kohlekonsens zu erarbeiten?

Aber glauben Sie im Ernst, dass es einen abrupten Kohleausstieg geben wird?

Grothus: Es geht nicht darum, was ich glaube. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir jetzt einen ambitionierten Kohleausstiegsspfad beschreiten. Bis 2020 müssen die CO2-Emissionen mit einem Sofortprogramm massiv reduziert werden.

Wenn ich es richtig verstanden habe, soll die Kohlekommission die großen Linien erarbeiten, die zum Ausstieg aus der Braunkohle führen, sie soll nicht über Partikularinteressen streiten oder über Waldstücke.

Grothus: Was sind denn Partikularinteressen? Gehört Naturschutz dazu? Ich glaube nicht.

Die Frage des Naturschutzes hängt nicht am Hambacher Forst.

Grothus: Doch. Wenn es nach europäischen Richtlinien ein Naturschutzgebiet ist, dann schon. Aber diese Frage ist ja noch vor Gericht anhängig . . .

. . . aber auch schon des Öfteren höchstrichterlich entschieden worden.

Grothus: Und jetzt wird es eben noch mal entschieden. Wir wissen ja, wir müssen bis 2050 unsere Lebensweise dekarbonisiert haben. Das heißt, wir müssen die Klimaziele erfüllen. Die Ökologie bietet erst die Grundlage dafür, dass auf diesem Planeten Leben möglich ist. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel.

Den brauchen wir sehr sicher. Aber dieser Paradigmenwechsel ist eine globale Aufgabe, die sich keinesfalls im Rheinischen Revier und schon gar nicht im Hambacher Forst entscheidet. Jeden Tag kommen auf Tausenden Containerschiffen, die mit Schweröl betrieben werden, Tonnen von Waren aus Asien, die dann in Europa in Ein-Euro-Läden angeboten werden, jeden Tag kann jeder Mensch Flugreisen für zum Teil lächerlich wenig Geld zu jedem Ziel auf dem Planeten antreten. Geht es, gerade auch wegen der ständig wachsenden Weltbevölkerung, nicht um viel drängendere Probleme als um den Erhalt des Hambacher Forstes?

Grothus: Sie sprachen die Ein-Euro-Artikel an: Wir Verbraucher haben viel mehr Möglichkeiten, durch unsere Konsumentscheidungen Einfluss auf den Klimaschutz zu nehmen, als vielen bewusst ist. Wenn ich durch Kaufhäuser gehe, frage ich mich oft: Wer soll all dieses Zeug kaufen, und wo landet es?

Auf dem Müll, oft früher als später.

Grothus: Wir produzieren über Gebühr. Sie haben Recht, die Braunkohlekraftwerke produzieren nur einen Teil der weltweiten CO2-Emissionen, aber ich finde, Deutschland hat als Industrie- und Wachstumsland eine historische Verpflichtung, auch eine historische Schuld.

Warum?

Grothus: Weil die Energiekonzerne die Erdatmosphäre als kostenloses Endlager für ihre CO2-Emissionen missbrauchen.

Nirgendwo wird so viel Braunkohle gefördert wie in Deutschland, trotzdem wird in Dutzenden anderen Ländern ebenfalls Braunkohle gefördert und verstromt.

Grothus: Sie wollen darauf hinaus, dass nur die Weltgemeinschaft Lösungen herbeiführen kann, und das stimmt ja auch. Aber Deutschland hat eine Vorreiterrolle: Wenn die Industrienation Deutschland beweist, dass der Umstieg auf regenerative Energien gelingt, dann kommen vielleicht auch andere Länder zur Überzeugung, es schaffen zu können.

Den deutschen Sonderweg in der Kernenergie ist jedenfalls kein Land mitgegangen.

Grothus: Die Atomfrage hat aber nichts mit dem Klimawandel zu tun.

Die atomare Bedrohung und die ungeklärte Frage der atomaren Endlager sind also kein Problem?

Grothus: Doch natürlich, beides beunruhigt mich sehr. Die Technikgläubigkeit vieler Menschen, dass die Probleme irgendwann schon irgendwie geregelt werden, ist besorgniserregend. Ich muss trotzdem sagen, dass es nicht weitergehen kann wie bisher und wir bei jeder Weltklimakonferenz einerseits mit Unterstützungszahlungen die Länder, die massiv unter dem Klimawandel leiden, abspeisen, aber gleichzeitig mit Braunkohlestrom die Klimakrise weiter anheizen.

Ich bin in den großen Linien völlig Ihrer Meinung. Ich finde es nur hysterisch, den Eindruck zu erwecken, die Zukunft des Weltklimas werde am Hambacher Forst entschieden.

Grothus: Sie kritisieren die Symbolik, oder?

Sie erwecken den Eindruck, als fiele mit dem Hambacher Forst jede zivilisatorische und klimapolitische Errungenschaft.

Grothus: Ich denke, wir stehen an einer Weggabelung. Entweder machen wir weiter wie bisher, oder wir entscheiden uns, dass wir jetzt mal etwas zukunftsweisend anders machen. Und ich glaube, an dieser Frage entzündet sich die Diskussion um den Hambacher Wald.

Schade ist, dass Sie mit dieser Zuspitzung marginalisieren, was Sie alles erreicht und bewegt haben.

Grothus: Was haben wir denn erreicht?

Sie haben erreicht, dass es eine Kohlekommission gibt, und Sie werden aller Voraussicht nach erreichen, dass es einen früheren Ausstieg aus der Braunkohle geben wird. Dazu haben Sie beigetragen, das ist großartig.

Grothus: Ach, Herr Gego! Als ich vergangenes Jahr zusammen mit Bewohnern Pazifischer Inseln, deren Heimat durch den Anstieg des Meeresspiegels akut bedroht ist, am Tagebau Hambach stand, wissen Sie, was ich da gedacht habe?

Was denn?

Grothus: Dass es sich lohnt, für jede Tonne Braunkohle zu kämpfen, die in der Erde bleibt. Und je mehr Bäume im Hambacher Wald stehen bleiben, desto mehr Kohle bleibt in der Erde. Und deswegen muss der Hambacher Wald gerettet werden. Wenn ich daran nicht glauben würde, würde ich diese Auseinandersetzung nicht durchstehen. Ich möchte in niemandem falsche Hoffnungen wecken, aber ich selbst habe die Hoffnung noch nicht verloren.