Aachen, Düren, Heinsberg : Über 20.000 Sparern steht Zinsnachzahlung zu
Aachen/Düren/Heinsberg Besitzer von langfristigen Sparverträgen sollten sich die Klauseln ihres Vertrages einmal genau anschauen. Dort versteckt sich bares Geld. Bei Angeboten wie jetzt von den Sparkassen in der Region raten Verbraucherschützer zur Vorsicht.
Viele langfristige Sparverträge bei Banken und Sparkassen haben eine unzulässige Vertragsklausel. Wer so einen Vertrag mit einer variablen Verzinsung plus einer jährlichen Prämienzahlung hat, dem stehen teils hohe Zinsnachzahlungen zu. Allein bei den Sparkassen im Raum Aachen, Düren und Heinsberg sind rund 20.000 Kunden betroffen, die vor 2005 solch einen Sparvertrag abgeschlossen haben. Bei den Sparkassen heißen die Verträge „Prämiensparen“ oder „Vorsorgesparen“, bei den Volks- und Raiffeisenbanken meist „Bonusplan“.
Die Sparkasse Düren und die VR-Bank Region Aachen warten noch auf ein Urteil, das im Mai fallen soll, bevor sie entscheiden, wie sie vorgehen. In der Städteregion und dem Kreis Heinsberg erhalten die betroffenen Kunden nun ein Angebot über eine Zinsnachzahlung von ihrer Sparkasse. Verbraucherschützer raten zu einer kritischen Prüfung dieser Angebote.
Zuletzt hatte der Bundesgerichtshof am 6. Oktober 2021 im Rahmen einer Musterfeststellungsklage geurteilt (XI ZR 234/20), dass eine Sparkasse in Sachsen die Verzinsung von langfristigen Sparverträgen nicht einseitig „nach Gutsherrenart“ anpassen dürfe. Diese Gutsherrenart versteckt sich in Sätzen wie „Der jeweils gültige Zinssatz wird durch Aushang bekanntgegeben“. Manchmal ergänzt durch die Angabe „Seine Höhe beträgt derzeit x,xx%.“
Für den Kunden bedeutet die Klausel: Die Bank kann den Zins nach eigenem Ermessen anpassen. Es gibt keinen nachvollziehbaren Index oder Referenzzins, an dem sich die Anpassungen zu orientieren haben. Da in den letzten Jahren die Marktzinssätze erheblich gefallen sind, haben die Kreditinstitute die Sparzinsen der Verträge regelmäßig nach unten angepasst, in manchen Fällen auf bis zu 0,01 oder 0,001 Prozent.
Bei der Sparkasse Aachen geht es nach eigenen Angaben um rund 13.000 Verträge mit der Bezeichnung „S-VorsorgesparenFlexibel“, die bis 2004 abgeschlossen wurden und heute noch laufen. Das sei knapp ein Drittel der insgesamt vorhandenen Prämiensparverträge. Im Kreis Düren gibt es laut dortiger Sparkasse rund 5000 solcher Altverträge, im Kreis Heinsberg knapp 2000. Die Sparkasse Aachen will den Kunden in den nächsten Wochen einen Zinsausgleich anbieten.
Die Kreissparkasse Heinsberg hat nach Angaben des stellvertretenden Vorstandsmitglieds Arnd Schürmann ihren Kunden bereits ein Vergleichsangebot unterbreitet. Nach Informationen unserer Zeitung ist es bis zum 29. April befristet. Angeboten wird einmalig eine doppelte Jahresprämie. Wer also 1200 Euro im Jahr spart, würde bei der Maximalprämie von 50 Prozent genau diese 1200 Euro erhalten – zwei Mal 600 Euro. Die Verzinsung bleibt bei der Berechnung dieses Angebots völlig außen vor. Die Sparkasse Aachen rechnet nach Angaben von Sprecher Erich Timmermanns auf der Basis einzelner Verträge eine pauschalisierte Zinsnachzahlung für vergleichbare Verträge hoch. „Das ist eine vereinfachte Rechnung“, sagt Timmermanns, „die tatsächliche individuelle Zinsnachzahlung kann höher oder niedriger liegen.“
David Riechmann von der Verbraucherzentrale NRW rät zu gesunder Skepsis: „Man sollte ein solches Angebot nicht vorschnell unterschreiben. Schließlich weiß man nicht, worauf man verzichtet.“ Wichtig sei, dass die Kunden eine fundierte Entscheidung träfen. Dabei helfen könne die Verbraucherzentrale Sachsen, die gegen eine Gebühr von 90 Euro eine Berechnung der Zinsnachzahlung vornimmt.
Eile sei nicht geboten. Selbst nach einer Kündigung des Vertrages durch die Bank – was derzeit in unserer Region bei keinem der befragten Institute geplant ist – bestehe noch für drei Jahre ein Nachberechnungsanspruch. Die von der Kreissparkasse Heinsberg gesetzte Frist habe darauf keinen Einfluss. Und wer lediglich für eine Prüfung der Zinsberechnung mehr Zeit als bis zum 29. April brauche, könne ja um eine Fristverlängerung bitten.
Auch die hiesigen Banken wissen, dass ihre Kunden nicht nur Anspruch auf eine pauschalisierte, sondern eine individuelle Berechnung haben. „Wer unser Angebot nicht annimmt, kann eine individuelle Einzelberechnung der Zinsnachforderung verlangen“, sagen Timmermanns und Schürmann auf Anfrage quasi wortgleich. Die Verbraucherzentrale NRW bietet für die Bitte um eine solche Einzelberechnung einen Musterbrief an.
Doch die Verbraucherzentralen wissen derzeit genauso wenig wie die Banken, welcher Referenzzins tatsächlich für eine Nachberechnung zugrunde gelegt werden sollte. Das wird gerade erst in mehreren Verfahren nach Musterfeststellungsklagen an Oberlandesgerichten geklärt. Das erste Urteil ist jenes im Mai, das in Dresden fallen soll und auf das die Sparkasse Düren und die VR-Bank Region Aachen warten wollen. Doch die Verbraucherzentrale NRW geht davon aus, dass eine endgültige Entscheidung dazu am Ende wieder eine Instanz höher beim BGH fallen wird – sie also noch einige Zeit auf sich warten lassen wird.
Die Verbraucherschützer halten einen günstigeren Maßstab für angemessen, als in einem Einzelverfahren in der vorigen Woche am OLG Dresden entschieden wurde. Diesen günstigeren Maßstab legen sie bei ihrer Berechnung zugrunde. So kommen sie zu der Auffassung, dass betroffene Kunden durchschnittlich 4000 Euro zu wenig Zinsen erhalten haben. Dirk Strobe, Leiter interne Revision bei der VR-Bank Region Aachen, hält diese Summe für aus der Luft gegriffen. Sein Institut kommt mit dem Maßstab, den es anlegt, zu deutlich geringeren Summen. Doch klar ist: Jeder Kunde wird am Ende eine Zinsnachzahlung erhalten.