Brief an Premierminister : Tihange-Betreiber fordern Atomausstieg in Belgien
Aachen Das Hin und Her über das Ende der Kernkraft in Belgien nimmt kein Ende. Nun schaltet sich der Energie-Konzern Engie in die politische Debatte ein.
Die Anti-Atomkraft-Szene bekommt prominente Unterstützung von ungewohnter Stelle: Jean-Pierre Clamadieu und Catherine MacGregor, Chefs des Energiekonzerns Engie, haben die belgische Regierung darum gebeten, am geplanten Atomausstieg 2025 festzuhalten. Engie (einst Electrabel) betreibt die beiden Kernkraftwerke in Belgien an den Standorten Tihange und Doel. In dem Brief an den belgischen Premierminister Alexander De Croo betonen die beiden Engie-Chefs, dass eine Laufzeitverlängerung der beiden jüngsten Meiler, Tihange 3 und Doel 4, nicht möglich sei.
Tatsächlich ebbt die Debatte über diese Option immer noch nicht ab, obwohl der Atomausstieg für Belgien schon lange beschlossen ist und die belgische Energieministerin Tinne Van der Straeten (Grüne) erst Anfang des Monats einen Bericht vorgelegt hat, aus dem hervorgeht, dass die Versorgungssicherheit in Belgien auch ohne Kernkraft gewährleistet ist. Eigentlich hätte die Politik nach Vorlage des Berichts entscheiden sollen, dass der Atomausstieg wie geplant umgesetzt wird. Doch das ist auch beinahe drei Wochen nach Bekanntwerden des Berichts nicht geschehen.
Und so sieht sich offensichtlich der AKW-Betreiber höchstselbst dazu genötigt, darzulegen, dass es mit ihm keine Verlängerung der Laufzeiten geben wird. Oder genauer: Clamadieu und MacGregor erklären, warum eine kurzfristig beschlossene Laufzeitverlängerung nicht machbar ist.
„Eine Laufzeitverlängerung von Doel 4 und Tihange 3 wäre überhaupt nur vorstellbar, wenn die Laufzeit der beiden Meiler um zehn bis 20 Jahre verlängert würde. Solch ein Projekt würde aber einen Vorlauf von mindestens fünf Jahren benötigen“, heißt es in dem Brief. Schließlich müsste es dann Arbeiten an den Reaktoren geben, es müssten Gesetze geändert und Genehmigungen eingeholt werden. „Unsere Erfahrungen zeigen uns, dass dieser Prozess kaum verkürzt werden kann“, heißt es weiter. Und dann der Satz der Sätze: „Unter diesen Umständen erscheint es uns unmöglich, die Laufzeit der beiden Reaktoren zu gewährleisten.“
„Selbst wenn man das belgische Gesetz ändert, gibt es europaweite Gesetze, die sich nicht so einfach ändern lassen“, sagte Nele Scheerlink, Engie-Sprecherin, im Gespräch mit unserer Zeitung. Eine grenzüberschreitende Umweltveräglichkeitsprüfung sei beispielsweise verpflichtend vorgeschrieben. „Auch wenn man die Regeln etwas verschiebt, gibt es viel zu hohe Hürden“, sagte Scheerlink unserer Zeitung.
Engie hatte der belgischen Regierung ein Ultimatum für eine Entscheidung mitgeteilt. Das Untenehmen hatte bis Herbst 2020 wissen wollen, ob die Meiler vom Netz gehen sollen oder nicht. Nach der Parlamentswahl 2019 hatte es aber Monate gedauert, bis sich im September 2020 endlich die sogenannte aus vier Parteien bestehende Vivaldi-Koalition zusammengefunden hatte. Die musste sich dann erstmal um Corona kümmern und wollte mutmaßlich das heiße Eisen Kernenergie nicht direkt anpacken. Denn: Die vier Parteien sind sich uneins in der Frage. Die Liberalen etwa sprechen sich für eine kurze Laufzeitverlängerung aus.
Engie konzentriert sich auf andere Energiequellen. Das Unternehmen stellt erneut einen Antrag für den Bau eines Gaskraftwerks in Vilvorde, das essenziell für die Versorgungsstrategie in Belgien nach dem Aus der Kernenergie ist.
Der belgische Premierminister Alexander De Croo reagierte nun auf den Brief. Das sei doch alles nicht neu, sagte er. „Der Atomausstieg wurde 2003 beschlossen und keine Regierung hat dieses Gesetz geändert. Wir führen aus, was in der Vergangenheit beschlossen wurde“, sagte er, wie die belgische Nachrichtenagentur Belga schreibt. Doch das sehen offensichtlich nicht alle Regierungsmitglieder so wie er.