Kommentar zum Aus von Tihange 2 : Beeindruckende Proteste gegen belgische AKW
Meinung Region Die Proteste in Stadt und Städteregion Aachen haben mit dazu beigetragen, dass der umstrittene „Riss-Meiler“ am 1. Februar vom Netz geht. Warum die Bewegung so besonders war.
Dass der umstrittene belgische Atommeiler Tihange 2 um Mitternacht abgeschaltet wird, ist beruhigend für die Menschen in der Region. Und es ist zugleich ein Erfolg für den Kampf Tausender Menschen. Politiker, Schülerinnen, Schulleiter, Ärztinnen, Aktivisten, Hausfrauen, Kindergartenkinder, Studierende, Konservative, Linke, Reiche und Einkommensschwache, Akademiker und Handwerker. Sie alle haben gemeinsam demonstriert, Plakate aufgehängt, eine Menschenkette gebildet. Der Zusammenhalt über alle vermeintlichen Grenzen hinweg ist vielleicht das Beeindruckendste an diesem Protest.
Dass sich die Politik in der Region mit Belgien und dem riesigen Konzern Engie angelegt, demonstriert und sogar geklagt hat, war ein starkes Zeichen – zumal ausgerechnet CDU-Politiker im Fokus der Bewegung standen. Das wird sicherlich nicht jedem Parteifreund gefallen haben. Und es ist fraglich, ob heute, da die Sorge vor einer Energieknappheit wächst und die Mehrheit der Deutschen den Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke befürwortet, das Engagement aller Parteien noch genauso wäre.
Dass Jodtabletten verteilt wurden und Notfallpläne gemacht wurden, mag für Kritiker angesichts der Tatsache, dass ja „nichts passiert“ ist, im Nachgang überflüssig wirken. Vielleicht sogar als hysterisch. Und man muss ehrlich sagen, dass die Vorkehrungen bei manchen Kindern und Jugendlichen zu Ängsten geführt haben. Das hätte nicht passieren dürfen, auf die Jüngsten hätten alle mehr eingehen müssen.
Insgesamt allerdings ist es gut zu sehen, was regionale Politik und Verwaltung geschafft haben – auch gegen Widerstände vom Land und aus dem Bund. Angesichts sich häufender Krisen kann es zudem nicht schaden, dass der Ist-Zustand von Sirenen und Notfallplänen bekannt ist. Auch wenn eine perfekte Welt anders aussähe.
Die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg haben die Welt verändert. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus fraglich, ob heute der Zusammenhalt in der Bevölkerung so groß wäre wie 2015 bei der Menschenkette und über die vielen Jahre des Protestes hinweg seit Bekanntwerden der Risse in den Meilern Tihange 2 und Doel 3 im Jahr 2012.
Selbstgerechtigkeit ist grundsätzlich keine gute Eigenschaft, und Städte wie Berlin (Arm aber sexy) und Köln (Klüngel) zeigen, was passiert, wenn man sich selbst ein bisschen zu gut findet. Die Region, insbesondere die Städteregion Aachen und die Stadt Aachen, dürfen sich aber am 1. Februar ruhig mal auf die Schulter klopfen. Der Protest und die politischen Schritte haben zwar nicht dazu geführt, dass Tihange 2 früher als ohnehin geplant abgeschaltet wird. Aber der Protest hat sicherlich dazu geführt, dass das Bewusstsein in ganz Deutschland, aber auch in Belgien für die Problematik geschärft wurde.
Angesichts der zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft ist es beruhigend zu wissen, dass Menschen, die friedlich zusammengestanden haben, am Ende etwas Gutes bewirkt haben.