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Corona-Regeln im Bistum Aachen: Sollen die Kirchen für alle offen bleiben?

Corona-Regeln im Bistum Aachen : Sollen die Kirchen für alle offen bleiben?

Die Frage, welches Sicherheitskonzept angesichts steigender Infektionszahlen gelten soll, betrifft auch das Bistum Aachen und die Gottesdienste in den Gemeinden. Dompropst Rolf-Peter Cremer erläutert die Strategie.

Während für Kultur, Handel, Gastronomie, Sport und nahezu alle Dienstleistungen und gesellschaftlichen Bereiche die coronabedingten Regeln verschärft worden sind, werden in katholischen Kirchen nach wie vor Gottesdienste gehalten, in denen selbst die 3G-Regel nicht gilt und dementsprechend auch keinerlei Kontrollen der Besucher stattfinden. Der Aachener Dompropst Rolf-Peter Cremer, als stellvertretender Generalvikar des Bistums zuständig für Corona-Regelungen, beantwortet dazu Fragen unseres Redakteurs Peter Pappert.

Herr Cremer, in Paragraph 2, Absatz (7) der geltenden Corona-Schutzverordnung heißt es: „Die Kirchen und Religionsgemeinschaften stellen für Versammlungen zur Religionsausübung eigene Regelungen auf, die ein dieser Verordnung vergleichbares Schutzniveau sicherstellen.“ Die aktuelle Corona-Schutzverordnung macht für Publikumsveranstaltungen strengste Auflagen. Halten Sie Gottesdienste ohne 3G-Regel für vereinbar mit diesem Passus der Verordnung?

Rolf-Peter Cremer: Das Sicherheitskonzept der Kirchen ist von der NRW-Staatskanzlei geprüft und vereinbar mit dem Schutzstandard der Verordnung. Wir gewährleisten seit eineinhalb Jahren mit unseren Regeln für Abstand, Maske und Hygiene die Sicherheit der Gottesdienstbesucher. Die Landesregierung hat das nie infrage gestellt, weil katholische Kirchen auch nie Corona-Hotspots waren.

Das ist die Praxis über viele Monate. Jetzt gibt es aber eine hochdramatische Infektionslage, übervolle Intensivstationen und deshalb neue strengste Corona-Auflagen für alle gesellschaftlichen Bereiche. Kann sich die Kirche in dieser Situation Gottesdienste ohne 3G-Regel und entsprechende Kontrollen leisten?

Cremer: Wir halten uns an das Gesetz.

Aber reicht das? Sind Gottesdienste wirklich vereinbar mit den in der aktuellen Corona-Schutzverordnung verschärften Regelungen?

Vor- und nachsichtig: Dompropst Rolf-Peter Cremer.
Vor- und nachsichtig: Dompropst Rolf-Peter Cremer. Foto: Bistum Aachen

Cremer: Wir halten es für vereinbar, sonst würden wir es nicht machen. Es gibt keine Anzeichen, dass es im gesamten Zeitraum im Bistum Aachen bei Gottesdiensten zu Infektionen gekommen ist.

Das gilt auch für Theater und klassische Konzerte, für die jetzt sogar die 2G-Regel gilt. Warum tun Sie nicht mehr, um das Infektionsrisiko zu senken?

Cremer: Wir halten uns an die vereinbarte Regelung. Wir wollen in den Gottesdiensten jeden in seiner Religionsfreiheit möglichst wenig beeinträchtigen. Derzeit sind in der Regel sowieso rund 70 Prozent weniger Gläubige als vor Corona in den Gottesdiensten. Wenn Sie die 3G-Regel vorgeben, müssen Sie es natürlich auch in allen Gottesdiensten kontrollieren. Und das ist zusätzlich ein Riesenaufwand. Das muss eine Pfarrei erst einmal schaffen. Können das alle? Und unter 3G-Bedingungen können zudem mehr Menschen an den Gottesdiensten teilnehmen, was neue Probleme nach sich zieht. Mit dem Konzept „Abstand-Maske-Hygiene“ beschränken wir die Zahl der möglichen Teilnehmer massiv. Letztlich können dann in der Regel nur ein Drittel der ansonsten üblichen Besucher an Gottesdiensten teilnehmen.

Eine Pfarrei, die für ihre Gottesdienste 2G praktizieren will, könnte das tun?

Cremer: Erstens: Grundsätzlich wollen wir nicht, dass sich Menschen an der Kirchentür ausweisen müssen, ob sie geimpft sind oder nicht. Zweitens: Unsere Empfehlung als Bistum heißt bei großen Gottesdiensten 3G – mit der Konsequenz einer sichergestellten Kontrolle. Drittens: Wenn eine Gemeinde 2G vorgibt, werden wir sie nicht daran hindern, auch wenn es nicht unsere Empfehlung ist.

Das heißt: Die Gemeinden haben zum jetzigen Zeitpunkt in dieser heiklen Frage viel Entscheidungsfreiheit. Auf diese Freiheit würden manche gerne verzichten; denen wäre es lieber, das Bistum würde die Verantwortung übernehmen und klare Vorgaben machen.

Cremer: Unsere eben genannten Vorgaben sind ganz klar und berücksichtigen die Möglichkeiten vor Ort in den Gemeinden. Die Religionsfreiheit des Menschen darf – wie zum Beispiel auch das Demonstrationsrecht – auch in der aktuellen Situation nicht beeinträchtigt werden.

Wo ziehen Sie denn die Grenze der freien Religionsausübung? Ist das ein über allen anderen Rechten stehendes Recht?

Cremer: Nein – natürlich nicht. Die Grenze wäre erreicht, wenn andere Grundrechte verletzt würden. Uns kommt es vor allem darauf an, dass die Religionsausübung und die Kirche als Raum für jeden offen bleibt, der ihrer bedarf. Und dies gilt nicht nur für die christlichen Kirchen.

Über die Gläubigen hinaus richtet sich die katholische Kirche aber auch an die Gesamtgesellschaft, in der sie seit langem ein miserables Image hat. Wer in Kultur, Handel oder Dienstleistungen jetzt strengste 2G-Auflagen einhalten muss, könnte sich – salopp formuliert – fragen, ob die Kirche noch alle Tassen im Schrank hat, wenn sie in ihren Gottesdiensten nicht einmal auf 3G besteht.

Cremer: Ich bin froh, dass die Deutsche Bischofskonferenz jetzt klipp und klar zum Impfen aufgerufen hat. Unsere Haltung im Kampf gegen Corona ist eindeutig. Ich bin froh, dass sich Pfarrkirchen – wie jetzt zum Beispiel in Aachen – als Impfzentren zur Verfügung stellen. Aber die Religionsfreiheit gebietet nun einmal andere Vorgehensweisen als in denen von Ihnen genannten Bereichen. 

Weihnachtsgottesdienste sind in der Regel sehr voll. Wie wollen Sie das in den Griff bekommen?

Cremer: Da ist unsere klare Empfehlung, 3G anzuwenden, wo immer es geht. Aber es muss auch Weihnachtsmessen geben für Menschen, die sich nicht als geimpft oder ungeimpft ausweisen wollen. Das muss jeweils auf der GdG-Ebene (Gemeinschaft der Gemeinden) abgestimmt werden. Im Dom werden wir nach heutiger Planung am ersten Weihnachtstag Gottesdienste ohne 3G-Regel durchführen. Am Heiligen Abend wird wie zum Jahresabschluss an Silvester nach derzeitiger Planung der Besuch nur mit Zugangskarten möglich sein. Es werden, so vermute ich, sehr viel weniger Menschen im Dom sein, als es sonst an diesen Festtagen üblich war.