Antwerpen : Schrulliger Brite lässt sich im Rolls-Royce begraben
Antwerpen Totgesagte leben länger, es ist das alte Lied. Wie an diesem buchstäblich todschicken Gala-Abend auf der Ballsaal-Bühne des noblen Hilton-Hotels in Antwerpen, 22 Uhr: Vor nicht weniger als 340 Beerdigungsunternehmern singen leibhaftig die legendären „Motown Divas” - ausgerechnet den Song „I will survive”.
Aber das kommt hier nur geschäftsfremden Beobachtern etwas skurril vor. Die Bestattungsbranche geht gemeinsam gegen Berührungsängste vor. In Smoking und Abendrobe schreiten und stöckeln die Damen und Herren beschwingt Richtung Tanzfläche und bejubeln ausgelassen die vier zwar erheblich gealterten, aber erstaunlich stimmgewaltigen Soulstars. Selig strahlt die Festgesellschaft. Hinter den US-Ladies funkeln dutzende Trophäen im Rampenlicht: die „International Funeral Awards” (IFA).
Im Leichenwagen angereist
Sie sind quasi die Oscars, Emmys oder Bären der Bestattungsbranche. Denn die emotionalen Höhepunkte dieser ungewöhnlichen Gala in der belgischen Luxus-Herberge stehen erst nach Motown-Auftritt und Fünf-Gang-Dinner auf dem Programm. Dann werden die renommierten IFA-Auszeichnungen - traditionell Ende Oktober - zum zehnten Mal verliehen.
Es sind begehrte Preise für die besten Innovationen und Leistungen der Profis für den letzten Weg. Nominierte aus den Niederlanden, Belgien, Deutschland, Luxemburg und England sind diesmal angereist - einige im eigenen Leichenwagen. Doch auch das irritiert Stockwerke tiefer in der Parkgarage des Hilton nur wenige Hotelgäste, die angesichts der aufgereihten schwarzen Kombis einen Massenexitus in der Nobel-Herberge befürchten müssen. Was natürlich fatal wäre.
Qietschfidel und quicklebendig ist die Branche im festlich geschmückten Ballsaal unter sich. Und Paul Peters, Bestatter und Erfinder der Preisverleihung, scheint ewig glücklich: „Nach zehn Jahren ist der International Funeral Award in Europa etabliert”, sagt der Holländer. „Ich bin stolz, wie hochwertig sich unsere Branche weiterentwickelt hat.”
Grenzen überschreitet die berufliche Begleitung „Vom Leben in den Tod” zwangsläufig, auch Richtung Bundesrepublik. Das deutsche IFA-Komitee leitet die Aachener Bestatterin Anne Moos. „Der IFA-Wettbewerb mag bei Außenstehenden Fragen aufwerfen”, räumt sie ein. „Der Umgang mit dem Tod ist ein besonders sensibles Thema. Und genau deswegen engagieren wir uns für die Qualität der Bestattungskultur.” Es gehe um sensible Enttabuisierung, um zukunftsweisende Sterbebegleitung, um seriösen Wandel bei der Gestaltung von Begräbnissen.
Im Spielcasino ihrer Heimatstadt hatte das Bestatterehepaar Anne und Rudolf Moos vor wenigen Wochen zur Präsentation der Kandidaten für den „International Funeral Award” geladen. Als Marketingexpertin organisierte die 24-jährige Tochter Mira den Jury-Event. Erstmals war auch fachfremdes Publikum bei der Ausstellung im Lenné-Pavillon zugelassen. Urnen im Partner-Look, Grabsteine mit Flachbildschirm, ökologische Wellpappesärge und mehr gab es da zu bestaunen. Alles kein leichtes Unterfangen: Der Grat zwischen Pietät und Popularität, zwischen Tradition und Trend ist schmal.
Zu echten Eyecatchern avancierten überdimensionale Gitarren- und Schuh-Modelle der Sargfirma Vic Fearn Co. Ltd aus dem englischen Nottingham. Die Schlagzeile „Crazy Coffins”, verrückte Särge, hatte das Boulevardblatt „Sun” vor einigen Jahren neben dem „Mädchen auf Seite 3” zu einer Story über den extravaganten Sargbauer in Großbuchstaben gedruckt. „Seitdem ist der Slogan unser Programm”, erzählt Inhaber David Crampton beim Bestatter-Treffen in Antwerpen.
Der 64-Jährige hat schon so ziemlich alles mit seinen verblichenen Kunden unter die Erde gebracht. Für einen schrulligen Millionär aus Buckingshire baute Crampton etwa dessen Lieblings-Rolls-Royce nach. „Bei der Trauerfeier haben wir den Rolls-Royce, ein exakter Nachbau des Silver Ghost aus dem Jahr 1913 in Eierschalen-Gelb, mit dem Verstorbenen darin in den Vorgarten seines Anwesens gerollt und in eine Grube abgeseilt”, erzählt er.
5500 englische Pfund kostete der Oldtimer-Sarg. In einem anderen Fall hat sich eine glühende Verehrerin der berühmten Kunstflugstaffel Red Arrows sogar ein Flugzeug als letzte Ruhestätte gewünscht. „Beim Herablassen ins Grab haben wir einfach die Flügel eingeklappt, kein Problem”, sagt der Brite. Bei Bestatter-Messen zeigt Crampton gerne einen riesigen Ballettschuh aus Stoff, den er schon vor Jahren für die alternde Ballerina Pat Cox angefertigt hat. „Sie sagt immer, dass sie nur wegen ihres maßgeschneiderten Ballettschuh-Coffins noch lebt, weil sie strikte Diät halten muss, damit sie später noch schön und schlank in den Sarg schlüpfen kann”, lächelt der Mann aus Nottingham. Neben ihm sitzt Ehefrau Linda bei der IFA-Gala.
Ihr Lieblingssarg ist ein roter Waggon des Orient-Express, in den exakt ein „Fahrgast” passt. Ein Witwer will damit sein Eisenbahn-Hobby mit auf die letzte Reise nehmen. In einem Fenster des roten Waggons hat sich der Senior nebst verstorbener Gattin porträtieren lassen. „So sind sie im Tode wieder vereint”, sagt Linda.
Natürlich komme den „Crazy Coffins” entgegen, dass es auf der Insel keinerlei Material- und Größenbeschränkungen für Särge gebe, gibt Crampton zu. „Begraben darf man Metall, Glas, Holz - alles. Nur bei Feuerbestattungen muss man aufpassen, dass der Crazy Coffin noch durch die Ofenöffnung des Krematoriums passt.”
Beim IFA-Dinner plaudert die Branche zwanglos zwischen Entenleber, Schampus und gefüllter Poularde über weitere Trends im Bestattungswesen: Immer mehr Menschen lassen sich etwa in ihrer Lieblingskleidung, viele in Jeans beerdigen. Und bei den beliebtesten Liedern, die Angehörige bei Begräbniszeremonien abspielen lassen, wurde Frank Sinatras „My Way” nach einer englischen Bestatter-Umfrage jüngst von Rockbarde Meat Loaf und seinem Titel „Bat out of Hell” vom ersten Platz verdrängt, heißt es. Ob´s am britischen Humor liegt? Egal.
Crampton freut sich über frischen Wind in der vormals leicht angestaubten Branche, dabei hilft auch der International Funeral Award. Am Ende tritt er mit einem 2. Preis die Heimreise an. Und dies mit der Gewissheit, dass er als einer der wenigen seiner Zunft schon vor dem Dahinscheiden des Kunden profitiert. Denn Cramptons Klienten leben in der Regel noch Jahre mit ihrem Wunschsarg, bevor beide im Ofen oder Grab verschwinden. Und dies todsicher zu schön zum Sterben.
Bestes Bestattungsangebot Europas findet Jury in Bergisch Gladbach
Für das beste Bestattungsangebot der vergangenen zehn Jahre im internationalen Vergleich wurde das Unternehmen Pütz-Roth (Bergisch Gladbach) geehrt. Die Trauerbegleiter eröffneten den ersten Privatfriedhof Deutschlands unter dem Namen „Gärten der Bestattung”.
Das Haus Camps in Grefrath wurde in der Kategorie „Besondere Dienstleistungen” ausgezeichnet. Das Bestattungshaus überzeugte die Jury vor allem mit einem sehr individuellen Raumkonzept - für Trauerfeiern, Aufbahrungen und Abschiedszeremonien.
Der Award in der Kategorie „Großhändler im Bestattungssektor” wurde an die Reischauer GmbH in Idar-Oberstein verliehen. Die Schmuckmanufaktur fertigt unter dem Namen „Golden Fingerprint” unter anderem Fingerabdrücke von Verstorbenen, die Hinterbliebene dann auf einem Ring oder Amulett tragen können. Der „Einzelhändler-Award” ging an die Firma Grenzstein-Art in Essen, die spezielle Holzgrabmale entwirft.
Die deutschen Nominierungen hat das Aachener Bestattungsunternehmen Schmitt-Moos federführend für das IFA-Komitee organisiert. Mira Moos hatte auch den Kontakt zu „Crazy Coffin”-Chef David Crampton hergestellt, der daraufhin erstmals seine Spezialsärge beim 10. IFA-Wettbewerb vorstellte.
Insgesamt musste die internationale Fachjury dieses Jahr mehrere hundert Bewerbungen zum IFA 2008 bewerten.