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„People’s Ventilator“: RWTH-Professoren entwickeln günstiges Beatmungsgerät

„People’s Ventilator“ : RWTH-Professoren entwickeln günstiges Beatmungsgerät

Wissenschaftler an der RWTH Aachen haben innerhalb kurzer Zeit ehrenamtlich ein Beatmungsgerät entwickelt. Das Ziel war, ein einfaches und robustes Gerät zu entwickeln, das vor allem eins ist: preisgünstig. Die erste Kleinserie geht nach Kamerun.

In der Tagesschau waren wieder die schwer erträglichen Bilder der Intensivstationen in Bergamo gelaufen. Eine ganze Lkw-Flotte holte die Särge ab, die Pandemie war außer Kontrolle geraten. Lutz Eckstein hatte genug gesehen an diesem Abend im März 2020, er wollte handeln. Eckstein meldete sich bei Steffen Leonhardt, und der alarmierte Stefan Kowalewski.

Der Professor vom Institut für Kraftfahrzeugwesen (IKA) begann mit dem Professor vom Lehrstuhl für Medizinische Informationstechnik (MedIT) und dem Professor vom Lehrstuhl Informatik 11 (Embedded Software) Pläne zu schmieden. Die Wissenschaftler wollten ein Beatmungsgerät entwickeln, das einfach, robust und vor allem preiswert sein soll, um den verheerenden Mangel an Beatmungsplätzen in vielen Ländern beheben mindestens aber reduzieren zu können. Beatmungsgeräte sind Wundermaschinen. Sie übernehmen, wenn die natürliche Spontanatmung des Patienten nicht mehr ausreicht, um genügend Sauerstoff ein- und veratmetes Kohlenstoffdioxid auszuatmen. Es ist eine hochkomplexe Behandlungsmethode, um Leben zu retten.

Zum Jahreswechsel kann man nun die ersten beiden Prototypen am Lehrstuhl von Steffen Leonhardt besichtigen. Der Beatmungsexperte ist der Projektleiter für das neue Beatmungsgerät, made in Aachen, geworden. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt: Vom IKA kommt das Steuergerät, Bildschirme und die Bedienungssoftware bringen die Informatiker mit, für die Funktionalität sorgen die Medizinischen Informationstechniker mit ihrer Steuerungssoftware. Inzwischen sind weitere Lehrstühle eingestiegen wie der Lehrstuhl für Medizintechnik, die Klinik für Operative Intensivmedizin, das Institut für Kunststofftechnik und das Werkzeugmaschinenlabor (WZL).

 Der „People’s Ventilator“ – ein Beatmungsgerät für 2000 Euro. Üblicherweise kosten solche Geräte das Zehnfache.
Der „People’s Ventilator“ – ein Beatmungsgerät für 2000 Euro. Üblicherweise kosten solche Geräte das Zehnfache. Foto: MHA/HEIKE LACHMANN

Das neue Beatmungsgerät ist so zu einem Campus-Projekt herangewachsen, bei dem viele Wissenschaftler mitmachen. Ehrenamtlich. Zumeist an den Wochenenden haben etwa 30 Ingenieure und einige Mediziner in den letzten Monaten nach Lösungen gesucht und gefunden. „Innerhalb so kurzer Zeit lässt sich so ein hoher Reifegrad nur im Verbund von vielen Instituten an der Hochschule erreichen“, sagt Leonhardt. „Aber auch einige Partner-Unternehmen arbeiten ehrenamtlich mit. In der Pandemie wachsen mit solchen Herausforderungen alle zusammen.“

Das Projekt hat längst einen Namen bekommen: „People’s Ventilator – PV 1000.“ Ein Beatmungsgerät für die Allgemeinheit, nicht nur für Privilegierte. Die Zahl ist das Ziel: 1000 solcher Geräte sollen gebaut werden; mindestens. Etwa 2000 Euro wird der PV 1000 am Ende kosten, Geräte in deutschen Kliniken kosten etwa das Zehnfache. Zu den klinischen Beratern für das Projekt gehörte auch Professor Gernot Marx, der die Operative Intensivmedizin am Aachener Klinikum leitet. Das neue Gerät jedenfalls, so sehen es die Entwickler, entspricht allen Ansprüchen einer intensivmedizinischen Beatmung und kann bei Patienten über Wochen eingesetzt werden. Selbst unter schwierigen Bedingungen in entlegenen Teilen der Welt oder in Notlazaretten funktioniere der PV 1000. Der leicht bedienbare Alleskönner biete eine relevante Auswahl der von Intensivmedizinern gewohnten Beatmungsmodi inklusive der vorgeschriebenen Mess- und Alarmierungsfunktionen.

Die Aachener Pioniere haben eine gemeinnützige Gesellschaft gegründet, um Spenden für die Bauelemente einzusammeln. Es hat dann aber bis zum 17. Juli gedauert, bis das Finanzamt die Gemeinnützigkeit anerkannt hat. Als die Zusage kam, sanken die Infektionszahlen gerade – vorübergehend. Das Spendenaufkommen hat darunter gelitten. Die Professoren werden in den nächsten Monaten eine Entscheidung fällen müssen. Können sie die geplante Serienproduktion alleine mit Spenden finanzieren oder brauchen sie einen finanzstarken Partner, der aus dem altruistischen auch ein kommerzielles Vorhaben macht?

Dass die Campus-Leute weitermachen, ist längst entschieden. Zwar entstand die Idee nach dem Coronavirus-Ausbruch, aber inzwischen gehen die Pläne weiter. Die Geräte sollen auch verteilt werden, wenn dieses Virus eines Tages besiegt ist, sagt Kowalewski. Der Bedarf wird bleiben.

Erste Kleinserie für Kamerun

Gerade werden die ersten Geräte einem Dauertest unterzogen. Zeitnah entsteht nun eine Kleinserie, die im Frühjahr nach Kamerun geschickt werden soll. In dem afrikanischen Land existieren für 25 Millionen Einwohner derzeit exakt vier Beatmungsgeräte. Vor Ort arbeiten die Aachener mit der von einem deutschen Arzt gegründeten Hilfsorganisation RobinAid zusammen. „Es reicht nicht aus, dass die Geräte nur angeliefert werden. Wir müssen auch die Wartung und die Schulung des Personals sicherstellen“, begründet Kowalewski die Kooperation.

Der weltweite Bedarf an Beatmungsgeräten ist groß. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat sogar ein eigenes Programm dafür. Indes: die Behörde arbeitet nur mit professionellen Anbietern zusammen. Die Aachener Wissenschaftler müssen weiter ihren eigenen Weg gehen, um ihr günstiges Modell zu verteilen. „Überleben sollte nicht eine Frage des Geldes sein“, sagt Lutz Eckstein.

Weitere Infos: www.pv1000.de