Reaktionen auf Corona-Beschlüsse : „Richtig“, „schmerzhaft“ und „keine Minute zu früh“
Aachen/Düren/Heinsberg 2G beim Shoppen, in Restaurants und Theatern, viele Beschränkungen für Ungeimpfte – Bund und Länder verschärfen die Corona-Maßnahmen. Wie kommen die Beschlüsse bei Entscheidungsträgern und Medizinern in der Region an? Wir haben uns umgehört.
Michael Ziemons hatte am Donnerstagmorgen einen Termin, der in diesen Tagen und Wochen keine guten Nachrichten verspricht. Der Gesundheitsdezernent der Städteregion Aachen bat zur Krankenhausrunde, und er war nach eigenem Bekunden „erschüttert“ darüber, dass die Verantwortlichen in den Kliniken ihre Situation durchweg als „prekär“ bezeichneten. „Es ist richtig und wichtig, dass jetzt strengere Maßnahmen beschlossen wurden“, sagt er deshalb am Nachmittag zu den Entscheidungen der Ministerpräsidentenkonferenz. „Und sie kommen keine Minute zu früh.“
Bloß: Just was die Zugangsregeln für Krankenhäuser angeht, habe er in den Beschlüssen nichts gefunden. In der Städteregion ist man deshalb schon mal vorgeprescht. „Wir haben hier als Zutrittsregel 2G+ vereinbart“, sagt Ziemons. „Es ist wichtig, dass die Situation dort geklärt ist, diese Einrichtungen brauchen einen besonderen Schutz.“ Ähnliches wünsche er sich auch für die Altenheime, doch könne die Städteregion dort nicht selbst tätig werden. Die logistischen Voraussetzungen für 2G+ – also Zutritt nur für Geimpfte und Genesene, die außerdem einen aktuellen negativen Test vorweisen könnnen – wolle man derweil nicht den Einrichtungen aufbürden. „Wir werden deshalb in den nächsten Tagen die Testinfrastruktur in der Städteregion noch einmal stark hochfahren“, kündigt der Dezernent an.
Insgesamt sei er mit den beschlossenen Maßnahmen „sehr zufrieden“, sagt Ziemons. „Es ist das richtige Signal, dass wir jetzt nicht alle zu Geiseln der Ungeimpften werden und es keinen neuen Lockdown für alle gibt.“
Das sieht Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen ähnlich. „2G im Handel halte ich für eine gute Lösung, um den nötigen Schutz herzustellen und gleichzeitig die Läden möglichst lange aufhalten zu können“, sagt sie. Bei den Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte sei sie „absolut mit im Boot“, so Keupen. „Das ist das wichtigste Instrument, das wir in der Hand haben, und es wird über die 2G-Regeln nun auch abgebildet.“
Grundsätzlich findet Aachens Oberbürgermeisterin es auch „positiv, dass sich Bund und Länder jetzt endlich auf weitgehend einheitliche Regeln verständigt haben“. Die Menschen bräuchten Orientierung, „wir müssen ihnen klare Rahmenbedingungen geben“, sagt sie. Kein Verständnis hat sie allerdings für die Zuschauerbeschränkungen bei Großveranstaltungen, die ihr längst nicht weit genug gehen. „5000 Besucher in Innenräumen ist immer noch eine stramme Zahl von Menschen, da kann man eigentlich nicht von Kontaktbeschränkungen sprechen“, sagt Sibylle Keupen. „Ich weiß nicht, warum man da nicht seiner Linie treu bleibt. Da hätte man mutiger sein müssen.“
Generell sei es außerdem wichtig, in Stadt und Städteregion noch mehr Impfangebote „auf die Straße“ zu bringen, so Keupen. Deshalb prüfe man in Aachen derzeit unter anderem auch, in Kürze in allen Bezirksämtern zusätzliche Impfstellen einzurichten.
Stephan Pusch, Heinsberger Landrat (CDU), begrüßt das Signal, das von den Beschlüssen ausgeht: „Die Menschen müssen wieder vorsichtiger werden!“ Ihn schockiert, dass es wieder Patientenverlegungen in Deutschland gibt, wie es sie in der ersten Welle auch im Kreis Heinsberg gegeben hat, als die Krankenhäuser überlastet waren. „Das muss man sich mal vorstellen.“
Der Lockdown für Ungeimpfte werde viel bewirken. Doch ohne generelle Impfplicht werde man die Pandemie nie besiegen. „Wir versuchen doch schon lange genug, die Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, zu überzeugen“, sagt Stephan Pusch. In einer Gesellschaft, sagt Pusch, habe der einzelne eben nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Viele seien dem solidarischen Gedanken gefolgt und hätten sich impfen lassen. „Für die, die die individuelle Freiheit in Anspruch nehmen, sich nicht impfen zu lassen, hat das jetzt Konsequenzen.“
Für den Dürener Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) sind die Beschlüsse ein „Schritt in die richtige Richtung“. Er sei optimistisch, dass damit die Welle gebrochen werden könne. Man müsse jetzt alles tun, um die zu belohnen, die sich impfen lassen, und Anreize zu setzen, die die Impfbereitschaft erhöhen. Der Beschluss, die Hilfen für die Unternehmen bis März zu verlängern, sei eine gute Maßnahme, „die nicht im Fokus steht, aber hilfreich ist.“
Wolfgang Spelthahn appellierte an die Ständige Impfkommission, dem Beispiel anderer Länder zu folgen und den Impfstoff für Kinder freizugeben. An dieser Stelle müsse schnell gehandelt werden. Im Kreis Düren liege die Inzidenz bei den Kindern und Jugendlichen bei über 500, bei den über 60-Jährigen dagegen nur bei unter 50. „Der beste Beweis für die Wirkung der Impfung.“
„Die Beschlüsse werden eine Hilfe sein“, sagt der Eschweiler Intensivmediziner Uwe Janssens, Mitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Es sei bekannt, dass durch strikte Maßnahmen, die die Kontakte beschränken, Infektionsketten unterbrochen werden können. Diese hätten etwa in Bayern viel früher ergriffen werden müssen. „Wenn Maßnahmen, die nachweislich helfen, von der Politik nicht ergriffen werden, kommt das für mich einer unterlassenen Hilfeleistung gleich“, sagt er.
Einen kompletten Lockdown hält Janssens zur Eindämmung des Infektionsgeschehens nicht für nötig. „Wir haben doch jetzt die Impfung“, sagt er. Diese wird ihre Wirkung aber nicht sofort entfalten. Die Beschränkungen für Ungeimpfte, 2G im Handel und die Reduktion der Besucherzahl plus 2G bei Veranstaltungen werde einen schnelleren Effekt haben. Nun ist er gespannt, ob der Quasi-Lockdown für Ungeimpfte ausreiche, um deren Impfbereitschaft zu erhöhen. „Die Impfung ist unsere stärkste Waffe“, sagt Janssens, „alle anderen sind schwächer.“ Von den 25,1 Millionen Deutschen über 60 Jahren seien 3,4 Millionen nicht geimpft. Von den 45,3 Millionen zwischen 18 und 59 Jahren zwölf Millionen. „Das ist schon viel.“ Er wünscht sich, dass die freiwillig Ungeimpften erkennen, dass das höhere Gut nicht ausschließlich das eigene Wohl ist, sondern das der Gemeinschaft. „Nur der gegenseitige Schutz schützt jeden einzelnen.“
Von der neuen Regierung erwartet er, dass sie jetzt schnell handelt. Die absehbare Situation mit 6000 Menschen auf den Intensivstationen um Weihnachten herum müsse jetzt vorbereitet und Krankenhäuser planvoll aus dem Regelbetrieb genommen werden. Es werde nicht zur Katastrophe für andere schwer kranke Menschen kommen, wenn dieses Problem jetzt von den zentralen Steuerungsstellen im Gesundheitssystem strukturiert angegangen und gelöst werde. Ob der angekündigte Krisenstab der Regierung rechtzeitig diese Arbeit leiste, sei fraglich. „Aber das darf nicht der untersten Ebene, jedem Krankenhaus selbst, überlassen werden“, sagt Janssens.
Eine generelle Impfpflicht begrüßt Janssens, eine ausschließlich für Gesundheitsfachberufe empfände er demgegenüber als „außerordentlich ungerecht“. Was sei denn mit Lehrern, Busfahrern, Kassiererinnen, Polizisten, die auch täglich mit einem großen Personenkreis und auch sogenannten vulnerablen Menschen Kontakt haben?
Von der Politik generell erwartet er eindeutige Signale an die Gesellschaft. Man könne nicht erst Fußballspiele mit 50.000 Zuschauern zulassen und sich ein paar Tage später wundern, dass die Menschen sorglos im Stadion ohne Maske laut jubeln. „Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Kommunikation“, sagt Janssens. Die Signale seien zuletzt zu widersprüchlich gewesen. Er hofft, dass nun bei den Menschen wieder ankommt, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei sei.
Jörg Hamel, Geschäftsführer des Handelsverbandes Aachen–Düren–Köln, reagiert mit gemischten Gefühlen auf die bundesweite 2G-Regelung in den Geschäften. Nach dem Beschluss von Bund und Ländern haben künftig nur noch Geimpfte oder Genesene Zutritt. „Das schmerzt natürlich“, sagt Hamel. Schon jetzt sei die Besucherfrequenz im wichtigen Weihnachtsgeschäft deutlich geringer als vor Ausbruch der Pandemie. Nun werden die Ungeimpften vom Einkauf – mit Ausnahme des täglichen Bedarfs, etwa im Supermarkt – ausgeschlossen – „und das ist ja keine kleine Gruppe.“
Hamel befürchtet, dass vor allem die Jüngeren noch stärker ins Internet abwandern könnten – zulasten des stationären Handels. Andererseits seien viele Händler gelassen und sagen: „Unsere Kunden sind sowieso schon alle geimpft.“ Mit 2G könne man den Käufern (und auch den Mitarbeitern) mehr Sicherheit beim Shoppen bieten. Schwierigkeiten bei der Kontrolle der Impfnachweise sieht Hamel eher in größeren Geschäften. „Die müssen dann Personal dafür abstellen.“
Probleme könnte es geben, wenn, wie manchmal in der Gastronomie zu beobachten, Kunden sich hartnäckig weigern, den Impfstatus gegen das Coronavirus offenzulegen. „Wie reagiert dann ein Geschäftsinhaber auf radikale Impfgegner?“ Die größte Sorge aber sei ein erneuter Lockdown. „Wenn man das vermeiden kann, wird der Handel auch die 2G-Regel schlucken“, sagt Jörg Hamel. „Bloß nicht wieder alles zumachen.“