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Regionalen Pflegebranche: Großkonzern Alloheim kauft sechs Altenheime

Aachen : Regionalen Pflegebranche: Großkonzern kauft sechs Altenheime

Die Geschichte klingt geradezu aberwitzig. Und doch ist sie Fakt. Anderthalb Jahre ist es her, da setzte die städteregionale Heimaufsicht den Betreibern der Altenpflegeeinrichtung in Simmerath wegen schwerer Mängel den Stuhl vor die Tür. Binnen fünf Tagen sollten 58 pflegebedürftige Bewohner des Hauses evakuiert werden.

Die Behörde fragte beim Aachener Pflegeheimbetreiber Itertalklinik an, ob dieser die Betroffenen Senioren unterbringen könne. Doch der verneinte — und bewahrte dennoch das Simmerather Haus vor der Schließung und die alten Menschen vor dem Umzug in unbekannte Gefilde.

Die Itertalklinik, die mittlerweile sechs und bald sieben Einrichtungen in der Städteregion — das Stammhaus in Walheim sowie Häuser in Roetgen, Breinig, Stolberg-Innenstadt, Kornelimünster und eben Simmerath, im Bau befindet sich noch eine Einrichtung in Weisweiler — betreibt, übernahm in jenem Herbst 2016 Knall auf Fall das Simmerather Pflegeheim.

Und zwar vom Großunternehmen Alloheim aus Düsseldorf, das sich auch ohne großes Getöse oder Gegenwehr vom Acker machte. Jetzt, nur 18 Monate später, kommt Alloheim zurück. Und schluckt nicht nur Simmerath, sondern gleich die gesamte Itertalklinik-Gruppe. Zu ihr gehören die Betriebsgesellschaft „Itertalklinik Seniorenzentrum GmbH & Co. KG“, die Beteiligungsgesellschaft „Cosmas“ und die Verwaltungs- und Servicegesellschaft „Gourmed“ mit insgesamt über 500 Mitarbeitern und rund 700 Hausbewohnern und Patienten.

Was fast unglaublich klingt, wird aller Voraussicht nach bereits zum 1. Juni Realität. Bis dahin soll die Tinte unter die Verträge. Das Bundeskartellamt hat dem Geschäft schon am 2. Mai zugestimmt. Dr. Christoph M. Kösters, der früher in Aachen eine Geburtsklinik betrieb und Mitte der 1990er Jahre in Walheim sein erstes Seniorenzentrum aufmachte, bestätigt die Geschichte auf Anfrage unserer Zeitung.

Und erklärt, wie es dazu kam und was das bedeutet: Kösters selber besitzt 75 Prozent der Anteile an den Gesellschaften. Diese Anteile will er an Alloheim — Betreiberin von fast 170 Einrichtungen bundesweit mit mehr als 14.000 Beschäftigten — verkaufen. Sein bisheriger Kompagnon veräußere indes seine Anteile an die „RIAG Beteiligungsgesellschaft“ in Bad Honnef. Was geschäftlich ganz gut passt. RIAG ist ein Unternehmen, das bundesweit Altenheime oder Teile davon aufkauft und sie dann von Dritten betreiben lässt oder später weiterverkauft. Mit Alloheim wurden bereits zahlreiche solcher Projekte realisiert. Und laut Kösters berät RIAG die Itertalklinik schon lange.

Aber: In keiner der Einrichtungen soll auch nur ansatzweise der Name Alloheim auftauchen, betont Kösters. Es handele sich um einen reinen Anteilskauf. Alles werde wie gehabt unter dem Signet Itertalklinik weiterlaufen. Und: Kösters bleibt Geschäftsführer. „Das gilt zunächst für drei Jahre, aber es gibt auch eine Verlängerungsoption“, so der gelernte Gynäkologe. Mehr noch: Selbst bei der Auswahl eines Nachfolgers, der dann aus eigenen Reihen stammen soll, habe man ein Wörtchen mitzureden. Für die Mitarbeiter und die Bewohner werde sich rein gar nichts ändern. Alloheim bestätigt all dies — abgesehen von der Frage der Nachfolge — auf Anfrage unserer Zeitung. Man wolle die Itertalklinik als „verantwortungsvoller Miteigentümer“ und „partnerschaftlicher Investor“ unterstützen, heißt es aus Düsseldorf.

Der Verkauf sei mit Blick auf die Zukunftssicherung der Itertalklinik-Einrichtungen nötig, sagt auch der bisherige geschäftsführende Gesellschafter Kösters. Er ist mittlerweile 70 Jahre alt. „In einem solchen Alter wird es schwierig, das nötige Geld für Investitionen von den Banken zu bekommen, die dann persönliche Sicherheiten verlangen“, erläutert er. Und so habe er sich schon vor einiger Zeit auf die Suche nach einem Käufer gemacht. Gerüchten, die Itertalklinik sei in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, tritt er allerdings entgegen: „Das ist schlicht falsch.“

Bei seiner Suche sei Alloheim nicht der einzige Ansprechpartner gewesen, doch gerade mit den Düsseldorfern hätten sich die Gespräche vor etwa zehn Monaten konkretisiert — also nur acht Monate nach den Vorgängen in Simmerath. Man könnte auf die Idee kommen, dass im Hintergrund schon damals entsprechende Pläne geschmiedet wurden. Schließlich übernahm die Itertalklinik das dortige Heim binnen weniger Tage. Der Großkonzern Alloheim habe einen guten und fairen Vertrag vorgelegt, sagte Kösters damals — und heute auch. Doch Zusammenhänge zwischen der damaligen Übernahme und dem jetzigen kompletten Rückkauf bestreitet der Geschäftsführer auf Nachfrage vehement.

Aber wird sich in den Seniorenzentren unter einem Mehrheitseigner Alloheim für Bewohner und Beschäftigte wirklich nichts ändern? In Bezug auf Alloheim hatte Kösters Ende 2016 in einem Interview mit unserer Zeitung gesagt: „Wir sind aus der Region, und wir sind einfach näher dran. Ich bin in 20 Minuten in Simmerath. Die Alloheim GmbH mit fast 130 Häusern steht unter ganz anderen Kapitalinteressen, die muss Rendite liefern. Als Familienbetrieb ist unsere Rendite niedriger angesetzt.“ Und: „Man darf sich nicht durch Sparmaßnahmen schlechte Pflege erkaufen.“

Spielball der Investoren

Jetzt wird der Mediziner als Geschäftsführer quasi Angestellter von Alloheim. Mithin steht er nun wohl unter ebenjenem Renditedruck. Zumal: Alloheim ist bei Renditeerwartungen von rund sechs Prozent in der Branche wie offenkundig jede Senioreneinrichtung eine heiß begehrte Ware.

Im Dezember kaufte der Investor Nordic Capital — Sitz ist das Steuerparadies Jersey — Alloheim für 1,1 Milliarden Euro von der amerikanischen Carlyle Group, die Alloheim ihrerseits 2013 vom Investor Star Capital gekauft hatte. Muss Kösters sich also jetzt selber durch Sparmaßnahmen schlechte Pflege erkaufen? „Auf keinen Fall“, sagt er. Denn weil die Itertalklinik „seit vergangenem Jahr selber eine Rendite von um die fünf Prozent erwirtschaftet“, drohe gar kein verschärfter Renditedruck. „Wir sind deshalb interessant für Alloheim, weil wir so gut sind“, sagt Kösters.

Die Auslastung seiner Häuser liege meist zwischen 96 und 100 Prozent, rechnet er vor. Und auch in Simmerath könne man jetzt wieder hochfahren, nachdem es zunächst seitens der Behörden nach Bekanntwerden des dortigen Skandals einen Aufnahmestopp und eine beschränkte Auslastungsquote gegeben habe. Doch dort habe man nun insbesondere im Hinblick auf Fachpersonal die Verhältnisse wieder zurechtgerückt. Als Alloheim gehen musste, habe es in Simmerath dagegen noch eine Quote von 50 Prozent Leiharbeitskräften gegeben.

Dabei nimmt Kösters seinen künftigen Haupteigner Alloheim, der bundesweit schon mehrfach wegen unhaltbarer Zustände in einzelnen Einrichtungen heftig in der Kritik stand, nun in Schutz. Es sei generell unglaublich schwierig, das nötige Fachpersonal zu finden, sagt er. Aus diesem Mangel heraus habe es damals in Simmerath Fehler in den Patientendokumentationen gegeben, die schließlich zu den Zwangsmaßnahmen der Heimaufsicht geführt hätten. Die Heimaufsicht sah das allerdings anders. Die Behörde sprach damals von „massiven Mängeln in der Pflegequalität, die bereits über einen längeren Zeitraum festgestellt wurden“.

Kösters räumt indes auch ein, dass ein Großkonzern wie Alloheim „andere Usancen im Umgang mit dem Personal“ habe. Dies wolle man in der Itertalklinik jedoch nicht so haben, sagt er. Insofern sei es auch ein Zeichen für ein Umdenken bei Alloheim, dass man in Aachen von der Geschäftsführung bis zum Namen alles beim Bewährten lassen wolle. „Das ist auch ein Zeichen völligen Vertrauens uns gegenüber“, sagt Kösters.

So bleibe es dabei, dass er einfach „näher dran“ sei an den Einrichtungen als „ein Regionaldirektor aus Düsseldorf, der im Fall der Fälle erstmal anreisen muss und die Lage vor Ort gar nicht so gut einschätzen kann“. Alloheim wolle im Übrigen sogar 2,5 Millionen Euro für neue Küchen in die Itertalklinik-Standorte investieren. Ihm selber habe der Konzern, wie er auf Nachfrage bestätigt, für seine Anteile ‚„einen einstelligen Millionenbetrag“ gezahlt.

Beim Gespräch unserer Zeitung mit Christoph M. Kösters sitzt die Betriebsratsvorsitzende Gabriele Koch mit am Tisch. Der Chef hat sie zu dem Termin mitgebracht. Erbaut sei man von der Nachricht der Übernahme nicht gewesen, sagt sie. Insbesondere aus Simmerath habe es — was wenig überrascht — besorgte Anrufe von Kollegen gegeben. Insgesamt aber sei die Situation in den Itertal-Einrichtungen zurzeit „entspannt“ — und die Gründe für den Anteilsverkauf seien auch verständlich, so Koch. Wobei Kösters hinzufügt, dass „eine Zerschlagung des Unternehmens sicher die schlechtere Alternative gewesen wäre“. Schließlich habe es auch Interessenten gegeben, die nur Teile der Itertalklinik hätten herauskaufen wollen.

Dass für die Mitarbeiter künftig alles beim Alten bleiben soll, ist übrigens, wie sich auf Nachfrage herausstellt, durch keinerlei schriftliche Vereinbarung zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat fixiert. Müsse es aber auch nicht, meint Kösters. Schließlich sei das Ganze kein Betriebsübergang nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, weshalb auch keine neuen Verträge mit den Mitarbeitern abgeschlossen werden müssten. Und ein Personalabbau sei nicht zu befürchten. „Der Personalbestand errechnet sich durch die Abrechnung mit den Pflegekassen“, sagt Kösters. „Da kann man gar keinen Arbeitsplatz abbauen.“

Wenn Harald Meyer solche Sätze hört, kann er nur mit dem Kopf schütteln. Der Mann ist Gewerkschaftssekretär und bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im Fachbereich Gesundheit und Soziales tätig. Was Kösters da sage, stimme einfach nicht, sagt Meyer. Denn: „Es ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, wie viel Pflegepersonal eine bestimmte Anzahl von Menschen betreuen muss.“ Im Gegenteil verlange Verdi dies seit Jahren und wolle es in Kürze auch noch einmal bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und seinem NRW-Kollegen Karl-Josef Laumann bei der Gesundheitsministerkonferenz im Juni — ausgerechnet in Düsseldorf — einfordern. Und auch zum Aachener Alloheim-Deal findet Meyer deutliche Worte. „Wer immer noch glaubt, dass es in der Pflege und im Gesundheitswesen um Menschlichkeit geht, liegt falsch“, sagt er. „Es geht nur ums Geld, und das sieht man auch an den aktuellen Vorgängen in der Itertalklinik, wo sich einzelne Personen und Konzerne an Bewohnern und Beschäftigten bereichern.“

Angehörige informieren Aufsicht

Was die Übernahme der Anteile durch Alloheim angeht, bekundet Kösters im Gespräch zunächst, er habe frühzeitig unter anderem den Betriebsrat, die Bürgermeister und die Heimaufsicht der Städteregion über die Entwicklung informiert. Später schränkt er das insofern ein, als dass diese Mitteilungen erst erfolgten, als erste Informationen im Internet durchsickerten. Und so erklärt denn auch die Heimaufsicht auf Anfrage unserer Zeitung, zunächst von Angehörigen informiert worden zu sein.

Für die Kontrollbehörde ist der reine Anteilsverkauf indes kein Anlass, in irgendeiner Art besonders tätig zu werden. Dort heißt es jedoch auch: „Die Heimaufsicht kann die Ängste und Sorgen der Bewohnerinnen und Bewohner und deren Angehörigen nachvollziehen. Die Itertalklinik Seniorenzentrum GmbH & Co KG wird weiterhin — wie jede andere Einrichtung in der Städteregion Aachen — im Rahmen der behördlichen Qualitätsprüfungen durch unangemeldete Begehungen überprüft!“ Beschwerden werde „im Einzelfall nachgegangen“.