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Aachen/Eschweiler: Rachemord-Prozess: Richter liest SMS vor

Aachen/Eschweiler : Rachemord-Prozess: Richter liest SMS vor

Im Prozess um die Tötung von Christian L. (29), der am 14. August 2015 in Eschweiler brutal erstochen worden war, hat der Vorsitzende Richter Arno Bormann Freitagvormittag zu einem ungewöhnlichen Mittel der Wahrheitsfindung gegriffen.

Er las sämtliche Nachrichten, die vor der Tat zwischen den Angeklagten untereinander und mit dem Opfer auf Facebook, per Whatsapp oder SMS ausgetauscht wurden, der Öffentlichkeit vor.

Ein nach Meinung der Verteidiger fragwürdiges Vorgehen, doch die Absicht des Gerichts ist offensichtlich: die bisherigen Aussagen und Erklärungen der Angeklagten mit Tatsachen zu konfrontieren. Denn nach wie vor steht die Frage im Raum: War die Tötung von Christian L. geplant oder sollte er — wie die Angeklagten bisher glauben machen — nur eine „Abreibung“ bekommen, die dann außer Kontrolle geraten ist?

Zwei Stunden lang las Richter Bormann die einzelnen Nachrichten laut vor, und obwohl er zunächst nur bis zum 12. August 2015 kam, entstand das beeindruckendes Zeugnis einer perfiden Tatplanung, in die fast alle Angeklagten gleichermaßen verstrickt waren. Menschen wurden ausgenutzt, unter Druck gesetzt, bedroht und sprachen dennoch mit niemanden darüber. Es zeigte sich das erschütternde Bild von Rache- und Machtfantasien, aber auch von fehlgeleiteter Sehnsucht nach Nähe und Sex.

Dafür hatte das Gericht den dicken Sonderband „Auswertung Speichermedien“ minuziös durchforstet und daraus eine chronologische Auswahl der Nachrichten getroffen, die nach Auffassung des Gerichts eine sinnvolle Kommunikation der Beteiligten ergibt.

Erste tatrelevante Nachrichten hat es demnach am 27. Juli 2015 gegeben — und zwar zwischen den Angeklagten Nadine H. (31) und Sven L. (26). Kurz zuvor waren die Ermittlungen gegen Unbekannt, die das Ehepaar H. wegen der vermeintlichen sexuellen Belästigung der Tochter angestrengt hatten, eingestellt worden.

Nadine H. schreibt an Sven L.: „Kalle (der Angeklagte Karl-Heinz H. (39), Anm. d. Red.) will jetzt handeln, bevor Schlimmeres passieren tut.“ Tags drauf schreibt Karl-Heinz an Sven: „Hab‘ seine Adresse, fahr‘ morgen dahin, mach‘ den Rest klar.“ Antwort: „Komme mit, sag‘ mir wo, werde da sein.“ Karl-Heinz H.: „Okay. Mach‘ mal Messer klar, bis dann.“

Wenige Tage später, am 2. August, beginnt die Kommunikation zwischen Nadine H. und dem späteren Opfer über Facebook. Die Angeklagte macht sich an Christian L., der im Frühjahr des Jahres einen kurzen unverfänglichen Kontakt mit der Tochter gehabt hatte, ran, gaukelt ihm vor, sie sei Single und auf der Suche nach einem Partner. Seine Bitten um ein Treffen lässt sie geschickt ins Leere laufen. Gleichzeitig fordert sie ihn auf, die Sache mit der „Kleinen“ mit ihrem Ex zu klären. Der mache Palaver, und sie wolle keinen Stress haben.

In den folgenden Tagen wiederholt Christian L. mehrfach gegenüber Nadine H., dass er sich bei Karl-Heinz H. entschuldigt habe, dass er nicht wusste, dass die Tochter minderjährig war, und dass er diese nicht wieder anschreiben werde. Doch plötzlich schreibt Karl-Heinz H. selber: „Du Wurm, mit ‚Tut mir leid‘ ist es nicht getan. Ich weiß, wo du wohnst und wie du aussiehst, du Asi.“ Gleichzeitig setzt Nadine H. Christian L. emotional unter Druck.

Am 8. August schreibt Karl-Heinz H. seine Jugendfreundin, die ebenfalls angeklagte Marlene M. (38), auf Facebook an: „Hast eine Nachricht von mir, Maus“, er erzählt ihr von seinem vermeintlichen Problem. Er schreibt: „Ich will den haben.“ Bereitwillig lässt sich Marlene M. vor den Karren spannen und schreibt Christian L. an: „Huhu, na du, alles klar?“

In der folgenden Woche entwickelt sich ein reger Austausch zwischen Christian L. und Marlene M., bei dem es in erster Linie um ein Treffen und harten Sex geht. Ort und Zeit hat Karl-Heinz H. bereits vorgeschlagen.

Doch Christian L. ist die Sache nicht mehr geheuer, er hat Angst und blockt Marlene M., worauf Nadine H. wieder Druck macht. In der Nacht vom 11. auf den 12. August kommt es zu intensivem Sex-Geschreibe zwischen Marlene M. und Christian L. Nun hat sie gewonnen, er will sie treffen: Freitag Abend, 22 Uhr, am Angelweiher. Es ist der spätere Tatort.