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NRW tritt wegen Corona auf die Bremse

Eltern im Dauereinsatz : NRW tritt wegen Corona auf die Bremse

Im Kampf gegen das Coronavirus legt NRW Teile des öffentlichen Lebens lahm. Kitas und Schulen sind geschlossen. Für die Eltern hat somit ein Marathon begonnen.

Die Temperatur kratzt an der 17-Grad-Marke. Die Sonne scheint. Das Frühjahr gibt Gas, aber NRW tritt an diesem denkwürdigen Montagvormittag auf die Bremse. Es ist Tag eins, an dem einschneidende Maßnahmen der Landesregierung greifen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen: Bars, Clubs, Diskotheken, Spielhallen, Theater, Kinos und Museen sind geschlossen sowie Kitas und Schulen bis zum 19. April. Für die Eltern hat eine immense Herausforderung begonnen.

Auch für Jana Pietzsch. Sie ist mit ihren neun und elf Jahre alten Kindern am Vormittag in Aachen unterwegs. Ihr Arbeitgeber hatte ihr geraten, die Kinder von ihrem Mann betreuen zu lassen oder von den Großeltern. Ausgerechnet. Gerade die Großeltern sollten doch eben nicht ran, weil sie in der Regel besonders gefährdet seien, sagt sie. Und ihr Mann? Berufstätig.

Jetzt macht sie erst einmal Minus-Stunden, die sie irgendwann wieder aufholen muss. Und dann? Mal sehen. Das sei eine lange Zeit, sagt sie. „Wir werden jetzt noch mal durch die Geschäfte gehen. Ich gehe davon aus, dass die auch irgendwann schließen.“ Als die kleine Tochter am Freitag nach Hause kam, hatte ihr der Grundschullehrer „soo einen Stapel“ Aufgaben mitgegeben - die Mutter unterstreicht das mit ihren Händen.

Das schöne Wetter ist eigentlich prädestiniert für einen Morgenkaffee vor der beliebten Kneipe in der Nähe des Aachener Doms. Nur ein einziger Gast genießt das. „Gleich kommt die Sonne richtig auf den Platz, dann werden es vielleicht mehr“, meint der junge Mann, der bedient. Ein Stammgast an der Theke ist skeptisch: „An den letzten Abenden waren es auch weniger als sonst.“

Am Markt sitzen vereinzelt Besucher vor Cafés und Restaurants. Tische und Stühle dicht bei dicht. Die Ansage der Landesregierung kommt erst später an dem Tag: Mindestabstand von zwei Metern zwischen den Tischen, und Besucher müssen ihre Kontaktdaten hinterlassen.

Von der Schließung der Kitas und Schulen sind landesweit Zehntausende Arbeitnehmerhaushalte in NRW betroffen. Nach Daten des Statistischen Bundesamts sind von 365 000 Kindern bis 16 Jahren beide Eltern oder das alleinerziehende Elternteil in Vollzeit beschäftigt. Was also tun mit den Kindern?

„Vito!“, ruft eine Mutter auf einem Spielplatz im Kölner Agnesviertel, in dem viele Familien mit Kindern leben. „Du sollst die anderen Kinder nicht abknutschen!“ Typische Spielplatz-Sätze wie dieser erscheinen jetzt in einem anderen Licht.

Auf einer Bank, etwas entfernt, sitzt Großmutter Anke, die auf ihren Enkel aufpasst. Dass dieses Betreuungsmodell ausdrücklich nicht gewollt ist, ist der 59-Jährigen bewusst: „Ich bin eine illegale Oma.“ Aber ihre Tochter hat mit zwei weiteren Enkeln, die normalerweise in Schule und Kindergarten gehen, sowieso schon alle Hände voll zu tun. Da nimmt sie ihr den dritten nun mal ab.

Eltern solidarisieren sich in ihrer Not, passen abwechselnd auch auf andere Kinder auf, heuern gemeinsam Tagesmütter oder Babysitter an, die sich um Kindergruppen kümmern. Beschäftigungslose Lehrerinnen laden Kinder berufstätiger Eltern zu sich nach Hause ein, erzählen Eltern. Genau so sollte es nicht laufen, macht Familienminister Joachim Stamp (FDP) am Montag mit klaren Worten deutlich.

„Es ist nicht hilfreich, wenn zusätzliche Sozialkontakte dadurch entstehen, dass eine Mutter oder ein Vater sagt: Wir versorgen jetzt alle mal die Kinder aus der Nachbarschaft, weil da wieder neue Gruppen zusammenkommen“, sagt Stamp. Ziel aller Maßnahmen sei es, soziale Kontakte zu minimieren. Durch neue Netzwerke der Eltern würden die Infektionsrisiken steigen.

Schwierig ist der Zustand auch für Selbstständige. Dem Musiktherapeuten Michael Stawinski brechen gerade viele Aufträge weg, große Rücklagen habe er nicht. Auch wenn er gerne Zeit mit seinem Kind verbringe, so sei die Situation „gerade beschissen“.

Die angehende Abiturientin Emma hat ganz andere Sorgen. „Wir sind in ein paar Kursen einfach noch nicht durch mit dem Stoff, das wäre jetzt eigentlich die Zeit für wichtige Wiederholungen gewesen“, erzählt die 18-Jährige, die ein Gymnasium in der Nähe von Köln besucht. „Wir haben Whatsapp-Gruppen, in denen wir uns gegenseitig versuchen zu helfen. Manche Lehrer bieten an, dass wir ihnen Fragen mailen. Und es soll wohl auch geskypet werden.“

Sie versucht, möglichst entspannt zu bleiben. „Ich glaube nicht, dass mein Abi jetzt wesentlich schlechter wird. Wer es nicht packt, hätte es wohl auch ohne das Durcheinander nicht geschafft. Und vielleicht drücken die Prüfer ja auch ein paar Augen zu.“

(dpa)