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Gutachten: NRW lässt Möglichkeiten zur Abschiebung in Risikoländer ausloten

Gutachten : NRW lässt Möglichkeiten zur Abschiebung in Risikoländer ausloten

Eine tödliche Kette mutmaßlich islamistischer Terroranschläge hat in den vergangenen Wochen Europa geschockt. NRW-Flüchtlingsminister Stamp will mehr Spielraum, um Gefährder abzuschieben und dafür die Grenze des Rechtsstaats möglichst ausdehnen.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung sucht nach rechtlichen Möglichkeiten, Gefährder auch in sicherheitskritische Länder abzuschieben. Er habe den renommierten Konstanzer Völkerrechtler und Asylexperten Daniel Thym mit einem entsprechenden Gutachten beauftragt, sagte NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde des Düsseldorfer Landtags zu islamistischen Gefährdern.Anlass waren mehrere mutmaßlich islamistische Terroranschläge in den vergangenen Wochen mit Todesopfern in Dresden, Paris, Nizza und Wien. „Wir sind den Opfern verpflichtet, alles zu tun, um den islamistischen Terror zu stoppen“, unterstrich Stamp.

Deshalb müsse alles daran gesetzt werden, Möglichkeiten auszuloten, unter welchen Voraussetzungen solche Personen auch in Länder wie Syrien oder Libyen abgeschoben werden könnten. Dabei werde das Gutachten, das bereits in wenigen Wochen vorliegen werde, helfen. Generell gilt in Deutschland ein Abschiebestopp in Länder, wo Gefahr für Leib und Leben droht.

Die Innenminister der Union werben seit längerem dafür, den Abschiebestopp bei syrischen Gewalttätern zu beenden. Die Ressortchefs der SPD bremsen, das Auswärtige Amt verweist auf die unsichere Lage in Syrien. Die Innenministerkonferenz wird sich voraussichtlich im Dezember mit dem Thema befassen.

NRW sei bei Abschiebungen von Gefährdern bundesweit vorne, sagte Stamp. Die Hälfte aller Rückführungen aus Deutschland sei in diesem Jahr aus NRW erfolgt. Seit Amtsantritt der schwarz-gelben Landesregierung 2017 wurden aus NRW nach Zahlen des Flüchtlingsministeriums insgesamt 27 Gefährder sowie 23 weitere sicherheitsrelevante oder als bedenklich eingestufte Personen abgeschoben. Zudem sind demnach drei freiwillig überwacht ausgereist.

CDU-Vizefraktionschef Gregor Golland sprach von einem „Paradigmenwechsel“ im Vergleich zur rot-grünen Vorgängerregierung, die in ihren sieben Amtsjahren nur auf einen Bruchteil dieser Zahlen gekommen sei. Die AfD-Opposition sieht hingegen keine schwarz-gelbe Erfolgsbilanz, sondern sprach von „skandalösem Abschiebungsversagen“. AfD-Fraktionschef Markus Wagner forderte, den Rechtsrahmen für Abschiebungen zu erweitern und den Zufluss von Gefährdern zu stoppen.

„Das ist kein Kinderspiel, mal so eben ausländische Gefährder „ausreisefähig“ zu machen“, entgegnete Stamp. Bei denen, die ausländerrechtlich eigentlich raus müssten, sei noch lange nicht gegeben, dass sie auch einen Pass hätten und ihr Herkunftsland bei der Rückführung mitspiele. Oft müsse noch ein Mindestmaß an Strafhaft in Deutschland verbüßt werden, bevor eine Abschiebung möglich werde. „So naiv und einfach ist es in der Praxis nicht“, hielt er der AfD entgegen.

Ähnlich äußerten sich SPD und Grüne. Immerhin habe etwa die Hälfte der rund 620 den deutschen Sicherheitsbehörden bekannten islamistischen Gefährder eine deutsche Staatsbürgerschaft. „Viele sind in Deutschland aufgewachsen und haben sich hier radikalisiert“, stellte Grünen-Fraktionschefin Verena Schäffer fest. Auch wenn islamistische Attentäter meist männlich seien, dürften die Mädchen und Frauen dabei nicht aus dem Blickfeld geraten. Sie spielten eine wichtige Rolle als Netzwerkerinnen und Übermittlerinnen der Ideologie, warnte die Grüne.

CDU, FDP, SPD und Grüne bekannten sich im Kampf gegen den Islamismus zu einer „Doppel-Strategie“ aus Repression und Prävention. AfD-Fraktionschef Wagner unterstrich dagegen: „Wir geben unsere Kultur nicht auf.“ Die Gesellschaft dürfe nicht zurückweichen vor Terror und Bomben, aber auch nicht, „wenn in der Kita an Sankt Martin plötzlich "Lichterfest" gefeiert wird und keine Weihnachtsmänner mehr gebastelt werden“.

Der SPD-Abgeordnete Ibrahim Yetin erwiderte auf die Rede: „Das hat mich erinnert an: Deutschland den Deutschen.“ Er warf der AfD vor, Hass zu schüren. Sie machen sich zum Stichwortgeber für Rechtsradikale und Islamisten.“ Auch der FDP-Abgeordnete Stefan Lenzen nannte den Vorstoß der AfD „überflüssig, einseitig und latent fremdenfeindlich“.

Stamp versicherte, er werde notfalls bis „an die Grenze des Rechtsstaats gehen“, um Gefährder abzuschieben. „Deshalb ist Sami A. in Tunesien und er bleibt auch da.“ Der mutmaßliche Islamist war 2018 rechtswidrig aus NRW nach Tunesien abgeschoben worden. Später hatte die Justiz aber die Rechtmäßigkeit eines zehnjährigen Wiedereinreiseverbots bestätigt.

„Wenn man bei Gefährdern Abschiebungen erreichen will, dann muss man sich eben auch etwas zutrauen“, unterstrich Stamp. Das sei die Lehre aus dem Fall des Attentäters vom Berliner Weihnachtsmarkt, Anis Amri. Damals habe niemand versucht, den tunesischen Gewalttäter abzuschieben, „weil man Angst hatte, vor einem Gericht zu unterliegen“, kritisierte Stamp. Die Grünen-Abgeordnete Berivan Aymaz warnte hingegen davor, in „Grauzonen“ zu agieren.

(dpa)