Entwicklung der Innenstädte im Vergleich : Was Maastricht hat und Aachen nicht
Aachen Was hat Maastricht, was Aachen nicht hat? An der Maas gibt es eine kleinteilige, aufgeräumte, einladende, lebendige, kompakte und attraktive Kulisse. An der Aachener Pau dagegen: Tristesse selbst in vielen Fußgängerstraßen, Leerstände, endlose Hängepartien bei wichtigen Projekten, chaotische Verkehrsgestaltung.
Wie kann aber der Stillstand in Aachen überwunden werden? Mit der Frage „Wie kann eine Reaktivierung der Innenstadt gelingen?“ beschäftigten sich Menschen, die es wissen müssen, im „Reiff-Museum“ an der Schinkelstraße.
Schon der Veranstaltungsort war ein Zeichen dafür, dass der Aufbruch in Aachen gelingen könnte. Das Reiff wird ja schon lange nicht mehr als Museum genutzt, sondern ist Sitz der Architekturfakultät der RWTH. Mehr als 100 Bürger bewiesen durch ihr Erscheinen, dass es sich um ein virulentes Thema handelt – wenngleich die Stadt, etwa in Form der Kommunalpolitik, nur spärlich vertreten war.
Revolution notwendig?
„Braucht es nicht eine kleine Revolution“, fragte Hausherrin und Moderatorin Prof. Christa Reicher, Leiterin des Instituts für Städtebau und Europäische Urbanistik der RWTH, provozierend zu Beginn. Sie sprach von einer Zeitenwende im Einzelhandel und wies darauf hin, dass es sich nicht um ein lokales, sondern ein internationales Problem handele: „Man sieht, dass es einen Umbruch, und zwar einen relativ radikalen, geben wird.“ Die eine, einfache Strategie, wie dieser gelingen soll, gebe es aber nicht.
Mit Spannung wurde deshalb der Vortrag von Hans Hoorn erwartet, seit Jahrzehnten in Maastricht an einer erfolgreichen Metamorphose beteiligt. Humorvoll führte Hoorn, gelernter Soziologe, in das weite Themenfeld. Maastricht hat freilich einige natürliche Vorteile. Gelegen an einem Fluss, im Krieg nicht bombardiert wie Aachen, eine wertvolle historische Substanz, bekannt als Wiege des Euro.
Doch Maastricht hat seit Jahrzehnten auch viel unternommen, um attraktiv zu bleiben. Nach dem Wegfall der Keramikindustrie wurden und werden ganze Stadtviertel neu gestaltet, unter Hinzuziehung international anerkannter Architekten und unter Einbeziehung und Bevölkerung, eine ganze Autobahn und eine Uferstraße wurden unter die Erde gelegt, darüber Platz für Wohnen oder Flaniermeilen geschaffen, leerstehende Kirchen etwa zu Wohnzwecken oder Büchereien umgestaltet, eine Kaserne zum stadtnahen Viertel umgewandelt, am Bahnhof ein Fahrradparkhaus mit 3000 Plätzen gebaut. Autos wurden aus der breiten Zufahrtsstraße verbannt, die zur Allee umgewandelt wird, 750 Wohnungen über Geschäften im Erdgeschoss gebaut – die Liste ließe sich fortsetzen.
Autos in die Parkhäuser
Autos wurden konsequent an die Peripherie verbannt, von allen Zufahrtsstraßen gelangt man in unterirdische Parkhäuser, die Innenstadt ist konsequent abgepollert und Radfahrern und Fußgängern vorbehalten. Viele Dinge erforderten einen langen Atem und wurden zwischen allen Beteiligten abgestimmt. Von Bedeutung, so Hoorn weiter, seien auch die Events im historischen Zentrum. Wenn der Stadtplaner seine Erfolgsgeschichte in ganz Europa erzählt, sei die Reaktion bei den Politikern oft: „Das ist unmöglich, das ist doch alles so schwierig.“
Auf einen Nenner gebracht, und in der Selbstdarstellung auch selbstbewusst so formuliert: Maastricht bietet eine Bühne für Menschen, nicht für Autos. Und das nutzen immerhin 4,5 Millionen Menschen, jedes Jahr – Maastricht kann sich des Touristenandrangs kaum erwehren. Hoorn: „Es gibt in Europa einen Wettkampf um Attraktivität“. Doch oft genug glichen Städte eher Outlet-Zentren und seien verwechselbar mit immer den gleichen Filialisten und immer der gleichen Werbung.
Was macht Maastricht besser?
Was also macht Maastricht anders (und besser)? Hoorn nennt eine ganze Reihe von Punkten. Gute, kreative und tatkräftige Köpfe sind wichtig, in Politik und Verwaltung, die „Rückgrat haben und auch nein sagen können“. Die Klärung der Identität einer Kommune ebenso. Auch eine Vision, die in den Niederlanden zum Beispiel fest im Geschehen verankert ist. Kommunen von Vaals bis Amsterdam müssen alle zehn Jahre eine neue aufstellen (und tun das auch), befragen die Bürger, die Verwaltung rechnet deren Vorschläge durch, nach einem Jahr wird evaluiert.
Menschen besuchten eine Stadt, um einzukaufen, erläuterte Hoorn, wegen der Gastronomie, der Kultur, dem Grün oder interessanter Gebäude samt anziehendem Inhalt. Das Warenangebot in Aachen, so Hoorn weiter, sei offenbar noch ganz in Ordnung, es mangele der Stadt aber an Aufenthaltsqualität. Auch Maastricht habe manches abreißen und Fehler der Vergangenheit beseitigen müssen. Die Stadt sei von einem Ringsystem umgeben und für Autos weitgehend abgeschlossen: „Das kann jede Stadt machen.“
Schlechte Kritik für Aquis Plaza
Kein gutes Haar ließ Hoorn am Einkaufszentrum Aquis Plaza, das auch von Jens Imorde, Projektberater aus Münster, heftige Kritik einstecken musste: „Es ist ein Ufo. Es ist kein Bestandteil der Innenstadt, eine Anlage, die dummerweise da ist.“ Laut Hoorn handele es sich dabei um autistischen Städtebau: „Die Außenseiten sind tot.“
Schon bei der Planung seien veraltete Annahmen gemacht worden, die offenbar in den Köpfen mancher Politiker immer noch vorherrschten. Imorde: Gefragt sei inzwischen mehr das Rundlauf-Modell, der Spaziergang durch Straßen. Der Maastrichter Experte Hoorn lobte die besorgten Bürger, die die Stadtentwicklung in Aachen vorantreiben wollen.
Gemeint war damit beispielsweise Hans-Dieter Collinet vom Verein Aachen-Fenster, der für die weitere Diskussion Ehrlichkeit einforderte und sich dagegen wendete, als Nestbeschmutzer betrachtet zu werden. Collinet warnte davor, die Erreichbarkeit Aachens in den Vordergrund zu stellen, letztlich sei das auch Ausfluss überflüssiger Debatten in der Vergangenheit, als Aachen vor etwa 20 Jahren bundesweit negativ in die Schlagzeilen geriet, weil ein (unsinniges) Parkhaus in der Innenstadt samstags zugemacht wurde.
Dass die damaligen Vorstellungen noch nicht überwunden seien, habe sich jüngst gezeigt, als sich Protest aus der Politik erhob und ihm großer Raum eingeräumt wurde, weil wegen einer neuen Pedelec-Station zwei Pkw-Stellplätze am Kármán-Auditorium wegfielen: „Das ist doch ein Witz.“
Jens Imorde, Geschäftsführer einer Beratungsfirma, räumte auch mit dem „Märchen“ auf, dass das Internet den Einzelhandel kaputt mache. Dessen Umsatzvolumen in Deutschland liege nämlich bei etwa 500 Milliarden pro Jahr, Onlinehändler kämen bislang auf gerade mal 60 Milliarden. Allerdings: „Das Kaufverhalten hat sich extrem verändert.“ Deshalb könne ein Geschäftsmann einen Kunden auch nicht darauf vertrösten, einen gewünschten Artikel eine Woche später abholen zu können, wenn er diesen über das Internet am nächsten Tag zu Hause geliefert bekomme.
Dass die Krise in den Einkaufsstraßen auch noch viele andere Ursachen hat, etwa den demographischen Wandel, ein Überangebot von Flächen und komplizierte Eigentumsverhältnisse, darauf wies Dr. Hanna Hinrichs hin, Geschäftsführerin der vom Land finanzierten Gesellschaft Stadt-Bau-Kultur NRW.
Notwendig bei der Transformation, das zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussion, ist ein abgesprochenes und einheitliches, „konsensuales“ Vorgehen aller Beteiligten. So sagte Dieter Begaß, Leiter des städtischen Fachbereichs Wirtschaft, Wissenschaft und Europa, als Resümee am Ende: „Wir brauchen mehr Mut und wir brauchen mehr Geschlossenheit, dann können wir das auch hinkriegen.“
Der von Prof. Reicher zu Beginn angesprochenen kleinen Revolution wollte sich der Verwaltungsmann jedoch nicht anschließen. Begaß sprach sich gegen Schwarz-Weiß-Denken aus, zumal die Stimmung in Umfragen nicht schlecht sei. Immerhin gestand er ein Problem in Aachen ein und sei nachhaltiges Umsteuern gefordert. Allerdings habe sich die Stadt in vielen Bereichen auch schon auf neue Wege gemacht, etwa in der City-Logistik. Auch würden zusätzliche Stellen für ein City-Management geschaffen.