Provinzwahlen : Stellen die Bauern die niederländische Politiklandschaft auf den Kopf?
Den Haag/Maastricht Die Niederländer wählen am Mittwoch die Parlamente aller zwölf Provinzen neu. Im Fokus: Die Protestpartei der Bauern-Bürger-Bewegung und einmal mehr Rechtspopulist Geert Wilders. In der Provinz Limburg könnte damit die langjährige Dominanz der Christdemokraten enden.
2019 hatte Caroline van der Plas genug. Jahrelang mahnte die Journalistin und Politikerin der niederländischen Christdemokraten (CDA), dass die Regierung in Den Haag und die etablierten Parteien einen Fehler machen, wenn sie die Interessen und Sorgen der Landbevölkerung und der Bauern ignorieren. Auch ihre eigene Partei kritisierte van der Plas dafür, dass sie ihre Stammwähler übersehe.
Daher habe sie mit Gleichgesinnten die Bauern-Bürger-Bewegung („BoerBurgerBeweging“, BBB) gegründet und sich den Interessen der Menschen verschrieben, die auf dem Land leben. So erzählt sie es derzeit in allen möglichen Talkshows und Zeitungsinterviews des Landes. „Die Stimme vom und für das Land“ ist das Motto ihrer Bewegung. Vor zwei Jahren ist die 55-Jährige ins nationale Parlament gekommen, aufgrund der fehlenden Sperrklausel reichte ein Prozent der Stimmen im März 2021 für einen Sitz. Es ist eine von vielen kleinen Klientelparteien der traditionell vielfältigen Parteienlandschaft des Königreiches.
Doch das Schattendasein ist vorbei. Die Partei hat den Anspruch, der parlamentarische Arm der Bauernproteste zu sein, die seit 2019 zum Dauerthema in der Politik und den Medien des Landes geworden sind. Aber sie sind ebenso ein Beispiel für das tiefe Zerwürfnis zwischen Stadt und Land.
Entzündet haben sich die Proteste an den Plänen von Ministerpräsident Mark Rutte und seiner Mitte-Rechts-Regierung, die Stickstoffemissionen bis 2030 zu halbieren. Die damit einhergehenden Umweltauflagen und die anvisierte Halbierung des Viehbestands hätten katastrophale Folgen für die Menschen in den ländlichen Gebieten der Niederlande, heißt es von seinen Gegnern.
Doch mittlerweile geht es um viel mehr, sagt Van der Plas mit dem ihr eigenen Pathos in einem Interview mit der überregionalen Zeitung „De Telegraaf“: „Menschen in normalen Vierteln, normalen Dörfern, die mit dem Wohnwagen in Urlaub wollen und das Gefühl haben, dass aus dem Elfenbeinturm über sie regiert wird. Lange hat man sie aus den Augen verloren. Die Bauern repräsentieren diesen Unmut.“
Vorwürfe, zum selben rechtspopulistischen Lager wie Geert Wilders und seiner PVV zu gehören, widerspricht sie. Man ordne sich selbst in vielen Fragen der konservativen Ecke zu, im sozialen Bereich sei man aber eher links, sagt Van der Plas, die in der BBB den Ton angibt. Zu ihren Kernforderungen gehören ein Ministerium für den ländlichen Raum, das seinen Sitz explizit auf dem Land haben soll, und eine Lockerung der Vorschriften für landwirtschaftliche Betriebe.
Wissend, dass viele dieser Vorschriften EU-Richtlinien entstammen, gehören auch Euro-skeptische Positionen zum Parteiprogramm, die jedoch etwas harmloser ausfallen als in den verbalen Frontalangriffen von Wilders. Van der Plas fordert eine Reform des Euros und eine Beschränkung der Macht der Europäischen Union auf ein Level, wie es „einst mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beabsichtigt war“. Dabei beschwört die Partei wiederholt einen drohenden europäisch-föderalen Superstaat. Für eine Konzentration auf die nationalen Belange wirbt nicht nur Van der Plas, vielmehr liefert sich die Partei auch über die Sozialen Medien regelmäßig einen Schlagabtausch mit den Parteien des grün-linken Spektrums, allem voran den Tierschutzparteien.
Am Mittwochabend wird feststehen, welchen Einfluss Van der Plas’ Partei in Zukunft haben wird. Die Niederländer wählen die Parlamente aller zwölf Provinzen neu, diese bestimmen wiederum die Zusammensetzung des Oberhauses in Den Haag, der Ersten Kammer. Besonders in den ländlichen Provinzen und auch in unserer niederländischen Nachbarprovinz Limburg zeichnet sich eine Schlappe für die etablierten Parteien um Van der Plas’ Ex-Partei CDA und Ruttes nationalliberaler VVD, seit zwölf Jahren stärkste Partei im Parlament, ab. Bereits bei den Gemeindewahlen im März 2022 machten viele Niederländerinnen und Niederländer ihr Kreuz bei einer der lokalen Bürgerinitiativen und nicht bei den bekannten Parteien.
Die BBB hat sich auf die Wahlen akribisch vorbereitet. Der Vorstand habe mögliche Kandidaten für die Provinzwahlen langfristig geprüft und aufgebaut. Mögliche Unruhestifter, wie es sie so oft in jungen Protestbewegungen gibt, sollen ausgeschlossen werden. Das auf den ersten Blick überraschend gut geplante Vorgehen ist kein Wunder: Van der Plas ist bestens vernetzt, eine Marketingagentur für Landwirtschaft wirkte bei der Gründung der Bauern-Bürger-Bewegung mit.
Sie organisierte und plante die ungewöhnlich starke mediale Präsenz, Plakate der Partei zieren neben den umgedrehten Flaggen – dem Symbol der Bauernproteste – viele Höfe des Landes und waren auf den Protestfahrten in den Großstädten zu sehen. Die große Frage wird jedoch sein: Wäre die Bewegung auch imstande, Regierungsverantwortung zu übernehmen? Eine Koalition mit Ruttes VVD schloss sie kategorisch aus. Doch angesichts der üblichen Mehrparteienkoalitionen, die für eine Regierung notwendig sind, könnte der Schritt von der Protest- zur Regierungspartei schneller erfolgen als gedacht.
Wie schwierig diese Belastungsprobe sein kann, zeigte etwa das rechtspopulistische Forum für Demokratie (FvD). Vor vier Jahren wurde es in Limburg auf Anhieb zweitstärkste Kraft hinter den Christdemokraten. Doch die Partei vom damals medial omnipräsenten Thierry Baudet zerstritt sich in fast allen Provinzparlamenten. „Achtzig Prozent meiner Zeit als Abgeordneter habe ich damit verbracht, mich für die Äußerungen von Baudet zu rechtfertigen“, ärgert sich etwa der frühere FvD-Abgeordnete Marcel Thewissen (heute: „Gemeinsam für Limburg“) in einem aktuellen Gespräch mit der Tageszeitung „De Limburger“.
Von den sechs weiteren gewählten Abgeordneten in Limburg sind nur noch zwei in der Partei, zwölf Sitze in der Ersten Kammer schmolzen auf einen zusammen. Unterschiedliche Meinungen in der Corona-Pandemie, antisemitische Äußerungen und öffentlich ausgetragene Streitigkeiten führen am Mittwoch voraussichtlich zu einer herben Bruchlandung. Denkbarer Nutznießer wäre in Limburg vor allem Geert Wilders, der mit seinem Fokus auf EU-Skepsis und Islamfeindlichkeit um die rechtsoffenen Wähler der FvD wirbt. Der Anspruch in Limburg ist klar: die CDA als größte Partei ablösen.
Doch wer würde eine Regierung der PVV des umstrittenen Wilders, der selbst aus Venlo in Limburg kommt, mittragen? Die VVD und CDA schließen eine Zusammenarbeit nicht mehr kategorisch aus, aber fraglich ist, ob sie den Führungsanspruch der rechten Partei akzeptieren würden. Unvergessen bei den etablierten Parteien bleibt, dass die PVV bereitwillig zum Sturz der Provinzregierung 2021 beitrug. Ein natürlicher Koalitionspartner wäre die FvD-Abspaltung JA21 – und auch die BBB?
Diese suchte in Form der Limburger Listenführerin Annetje Schoolmeesters bei einer emotionalen Wahldebatte im regionalen Fernsehen die Flucht nach vorn. Mit bis zu sieben Sitzen rechne sie für ihre Partei in Maastricht, so viele, wie bei den vergangenen Wahlen das FvD ebenfalls als Newcomer erreichte. Die BBB hätte dann auf einen Schlag massives politisches Gewicht im Maastrichter Parlament.
Die Debatte zeigte, dass auch in Limburg das Thema Stickstoff-Regelungen verfängt. Kein Thema erhitzte bei der Diskussion derart die Gemüter – trotz Problemen wie der steigenden Kriminalität und der sozialen Ungleichheit. Die CDA bemühte sich um eine vermittelnde Rolle und machte sich damit zur Zielscheibe des pro-landwirtschaftlichen Lagers. „Es geht nicht um die Schweine, sondern um lächerliche Regeln“, entgegnete PVV-Spitzenkandidat René Claassen.
Die Wilders-Partei ist damit offensiv im Fahrwasser der BBB unterwegs, will an beiden Rändern ihres politischen Programms fischen. Damit wird die Bauernbewegung zeitnah zu einer Entscheidung gedrängt, wie sie ihren politischen Kompass auch über die Belange der Bauern hinaus ausrichten will. Und das nicht nur in Limburg. Caroline van der Plas braucht einen guten Plan, wenn die Partei den Ritt auf der Erfolgswelle bis ins Den Haager Parlament fortsetzen will. Bis zum März 2025 muss sie solange alleine die – umgedrehte – Fahne der Bauern in der ungeliebten Großstadt hochhalten.