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„Impftourismus“ über die Grenze: Vor dem Skiurlaub zum Impfen nach Aachen?

„Impftourismus“ über die Grenze : Vor dem Skiurlaub zum Impfen nach Aachen?

Wer eine Booster-Impfung haben möchte, bekommt sie schnell und unbürokratisch. Das hat sich bis ins benachbarte Ausland herumgesprochen: Auch aus den Niederlanden kommen Impfwillige nach Aachen.

Den Start der Impfkampagne in Deutschland im Frühjahr empfanden viele Menschen als holprig, wenn man ungezählten wütenden Kommentaren in Sozialen Netzwerken glauben darf. Die nun angelaufene Verteilung der Booster-Drittimpfungen wird dagegen offenbar als deutlich reibungsloser wahrgenommen – und das nicht nur hierzulande. Auch etliche Niederländer nutzen die Möglichkeit, sich ihre Auffrischungsimpfung hierzulande zu holen, insbesondere in Aachen.

Mehrere niederländische Medien berichten über diese Form des „vaccinatietoerisme“, Impftourismus. Warum zieht es unsere Nachbarn über die Grenze? „In den Niederlanden dauert es manchen Leuten viel zu lange“, erklärt das regionale Nachrichtenportal 1Limburg.nl. „Deutschland ist beim Umsetzen von Boosterimpfungen erheblich weiter als die Niederlande.“ Für den schnellen Impfschutz nähmen viele Niederländer auch in Kauf, dass eine Anerkennung der ausländischen Impfung beim nationalen Gesundheitsdienst GGD kompliziert sei.

Auch die überregionale Tageszeitung NRC Handelsblad berichtet in einem großen Artikel über das Thema. Unter den zitierten Menschen, die sich im Impfzentrum der Städteregion Aachen in den Aachen Arkaden den „Booster“ geholt haben, waren zwei eigens aus den weit entfernten Städten Tilburg und Delft angereist. Sie bemängelten die in ihren Augen schleppende Verteilung der Auffrischungsimpfung in ihrem Heimatland.

Kritische Worte finden die zitierten Niederländer insbesondere an der im Sommer von der Regierung breit beworbenen Einmalimpfung mit dem Wirkstoff von Johnson & Johnson. Er wurde partyfreudigen jungen Leuten unter dem Werbespruch „Tanzen mit Janssen“ nahegelegt. Doch die Wirksamkeit der Einmalimpfung lässt laut neuesten Studien schneller nach als bei den Doppelimpfungen.

Und dann ist da noch ein ganz praktischer Nachteil. Wer nämlich über den Jahreswechsel in Österreich Skiurlaub machen möchte, muss dort ab dem 3. Januar eine Zweitimpfung nachweisen. Die nur mit Johnson geimpften Wintersportler können also nach der Silvesterparty schon wieder ihre Koffer packen, sofern sie keine Auffrischung bekommen. Und die ist im Nachbarland nicht so einfach zu bekommen. Die Tanzstimmung „mit Janssen“ ist verflogen. „Ich habe ausgetanzt“, zitiert das NRC Handelsblad einen frisch geimpften Niederländer an den Aachen Arkaden.

Auch Handelsblad-Redakteur Joep Dohmen lobte auf Twitter die unkomplizierte und freundliche Abwicklung: „Was für eine Organisation und Gastfreundschaft!“ Jeder sei willkommen, unabhängig von Nationalität und ohne Terminvereinbarung. „Lang lebe Europa.“

Was sagt die Städteregion Aachen zu diesem Phänomen? Dass die Impfungen niedrigschwellig und unbürokratisch ablaufen, sei absolut gewollt, betont Sprecher Detlef Funken. Zum Schutz der gesamten Bevölkerung in der Region sollen grundsätzlich so viele Menschen wie möglich das Impfangebot wahrnehmen können.

Das gilt auch für die zahllosen hier lebenden, arbeitenden oder einkaufenden Ausländer. Funken verweist auf die unzähligen Beziehungen im Dreiländereck zwischen Bürgern über Landesgrenzen hinweg – von Arbeitspendlern über multinationale Familien bis zu Kindern, die Schulen im Nachbarland besuchen. Es profitierten alle davon, wenn so viele Menschen wie möglich geschützt seien. „Da wollen wir auch ein Stück weit gute Nachbarn sein“, sagt Funken. Das dies funktioniere, bewiesen zahlreiche freundliche E-Mails aus den Niederlanden, die er bekommen habe.

Ohnehin seien die Gesundheitswesen beider Länder eng miteinander verknüpft. Sollte etwa in den Niederlanden die Zahl der schwerst erkrankten Covid-Patienten wieder ansteigen, würden im Rahmen der medizinischen Zusammenarbeit auch deutsche Krankenhäuser Kranke aufnehmen und umgekehrt. Nationales Denken funktioniert im gemeinsamen Europa nicht.

Dass allerdings Menschen zur Impfung nach Aachen kommen, die Hunderte von Kilometern weit entfernt leben, ist auch in seinen Augen nicht Sinn der Sache. Doch: Einen massenhaften Andrang von Fernreisenden an den Impfzentren habe man noch nicht festgestellt. „Das können wir alles händeln“, sagt Funken. Er gehe davon aus, dass sich die Situation „wieder einpendeln“ werde. Fürs erste werde die Entwicklung weiter beobachtet. „Wir können in Europa die Pandemie nur gemeinsam bewältigen“, ist das Fazit des Pressesprechers. „Das Virus macht an der Grenze nicht Halt.“