1. Region
  2. Niederlande

Niederländische Provinzwahlen: Historischer Wahlsieg der Bauernbewegung auch in Limburg

Niederländische Provinzwahlen : Historischer Wahlsieg der Bauernbewegung auch in Limburg

Die Auszählung nach den Provinzwahlen in den Niederlanden läuft weiter, die Bauernbewegung kommt aus dem Feiern kaum raus. Voraussichtlich in elf der zwölf Provinzparlamente stellt man zukünftig die größte Fraktion. Wie kann die Koalition von Premier Rutte weiterregieren?

In den Niederlanden hat die dramatische Niederlage der Regierungskoalition bei den Provinzwahlen ein politisches Erdbeben ausgelöst. Die vier Parteien der Mitte-Rechts-Koalition von Ministerpräsident Mark Rutte (VVD) verloren nicht nur in den zwölf Provinzen des Landes deutlich, sondern auch in der Ersten Kammer des nationalen Parlaments, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat. Dort werden sie nach den Hochrechnungen vom Donnerstag nur noch über knapp ein Drittel der Mandate verfügen – sie landeten somit weit entfernt von der für Gesetzesbeschlüsse notwendigen Mehrheit.

Die Verluste gefährden die Stabilität der Regierung des rechtsliberalen Premiers Rutte. Am Tag nach der Wahl sprachen Zeitungen von einem „historischen Denkzettel“ und einer „Abrechnung mit der Regierung Rutte“.

Überragender Sieger ist die neue rechtspopulistische Bauer-Bürger-Bewegung BBB. Sie war erstmals 2021 bei den Parlamentswahlen angetreten und erzielte damals ein Prozent der Stimmen. Nach den vorläufigen Endergebnissen der Provinzwahlen vom Mittwoch wurde die BBB in vielen Provinzen mit Abstand und auf Anhieb stärkste politische Kraft.

Sie gewann aber auch in der Ersten Kammer 15 der 75 Mandate und kam gleichauf mit den Sozialdemokraten und Grünen, die erstmals mit einer gemeinsamen Liste antraten und leichte Gewinne verbuchten. Die mitregierenden Christdemokraten verloren dagegen fast die Hälfte der Mandate.

Die Protestpartei BBB vertritt nach den Worten ihrer Vorsitzenden Caroline van der Plas „die Bürger, die nicht gehört werden“. Der große Wahlsieg sei ein Signal an Den Haag: „Sie können uns nicht länger ignorieren. Wir werden mitregieren.“

Für den rechtsliberalen Rutte, der seit zwölf Jahren Ministerpräsident ist, wird das Regieren nun äußerst schwierig. Beobachter bezweifeln, dass er wichtige Gesetze zum Klimaschutz, zur Reform der Landwirtschaft oder beim Thema Asyl durchbringen kann. Rutte zeigte sich enttäuscht: „Das ist nicht der Sieg, auf den wir gehofft hatten.“ Doch er war zugleich zuversichtlich, dass er Mehrheiten finden werde.

Doch die Konflikte treten bereits deutlich zutage. Die BBB forderte, dass von der Regierung geplanten Eingriffe in die intensive Landwirtschaft vom Tisch müssten. Dagegen bekräftigte die linksliberale Regierungspartei D66, dass sie an der „progressiven Agenda“ etwa beim Klimaschutz und in der Landwirtschaft festhalten werde.

Hauptthema bei diesen Wahlen waren die angekündigten einschneidenden Umweltauflagen für die Landwirtschaft. Die Koalition will den Stickstoff-Eintrag bis 2030 drastisch reduzieren. Die Maßnahmen könnten das Ende für etwa 30 Prozent der Viehbetriebe bedeuten, schätzt die Regierung. Seit Monaten protestieren Bauern – auch mit Gewalt – gegen die Pläne. Die Wut der Bauern wurde aber zum Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit. „BBB ist das Sprachrohr dieses Unmuts“, analysierte das NRC Handelsblad.

Großer Verlierer ist das rechtsextreme Forum für Demokratie. Noch vor vier Jahren war es überraschender Wahlsieger, doch die Partei brach nach internem Streit schnell auseinander. Aber auch der Rechtspopulist Geert Wilders verlor Wähler an die BBB.

Rechtspopulistische Parteien beherrschen in den Niederlanden seit über 20 Jahren die nationale Debatte, und sie werden immer größer. Auch dieses Wahlergebnis zeigt Beobachtern zufolge, dass die Wut der Bürger auf die etablierten Parteien nicht abnimmt. Der Block rechts von Ruttes rechtsliberaler VVD umfasst mittlerweile fünf Parteien, die gemeinsam etwa ein Drittel der Wähler repräsentieren. „Jetzt muss sich endlich etwas ändern“, sagte BBB-Chefin van der Plas.

BBB-Erfolge in allen Provinzen

Der historische Erfolg ihrer Partei legt dafür den Grundstein. Im Nordosten der Niederlande erreicht die BBB teilweise über ein Viertel der Sitze in den Provinzparlamenten. In der traditionell vielfältigen Parteienlandschaft des Landes sind solche Erdrutschtriumphe sehr selten.

Am späten Donnerstagnachmittag waren neun der zwölf Provinzen vollständig ausgezählt, in allen lag die BBB vorne. In den restlichen dreien fehlten zu diesem Zeitpunkt nur noch wenige Gemeinden. In Gelderland lag die BBB uneinholbar auf dem ersten Platz, in Nord-Holland reicht es wohl zu einem knappen Sieg vor der VVD. In Utrecht war es Stand 17.30 Uhr noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Partei Groenlinks.

In der Provinz Limburg lag das vorläufige Endergebnis aller 31 Gemeinden bereits gegen 12 Uhr vor. Die BBB siegt mit 18,5 Prozent in historischem Maße. Dahinter folgen die rechtspopulistische PVV des umstrittenen Geert Wilders (12,7 Prozent) und Ruttes VVD (9,5 Prozent), die im Vergleich zu 2019 beide leichte Verluste hinnehmen müssen. Für die historisch wichtigste Partei Limburgs, den Christdemokraten, ist die Wahl schon jetzt ein völliges Desaster. Von 18,6 Prozent stürzen sie nach aktuellem Stand auf 9,2 Prozent und Platz vier ab.

Dahinter folgen mehrere Parteien des linken Lagers. Härter als die Christdemokraten trifft es in Limburg das rechtsoffene Forum für Demokratie von Thierry Baudet. Nach dem deutlichen Erfolg 2019 (14,5 Prozent) liegt seine Partei, die sich ohnehin im Parlament völlig zerstritten hat, nur noch bei 3,4 Prozent in den aktuellen Hochrechnungen. Die Wahlbeteiligung liegt bei 54 Prozent und steigt damit leicht im Vergleich zur Wahl 2019 (52,6 Prozent).

Die Limburgische BBB-Listenführerin Annetje Schoolmeesters sprach im Vorfeld von möglichen sieben Sitzen im Parlament in Maastricht – und wurde dafür bei einer TV-Debatte belacht. Nun stellt ihre Partei deutlich die größte Fraktion in Maastricht und kann sich ihre Koalitionspartner aussuchen. Voraussichtlich wird sie über zehn Sitze verfügen.

Schmerzhaft ist das für die PVV von Rechtspopulist Geert Wilders. Der hatte sich eine Führungsrolle in Limburg, seiner Herkunftsprovinz, ausgerechnet. Die schien lange ausgemacht – und wird nun an die BBB fallen. Diese ist politisch kaum negativ vorbelastet und könnte sich einer breiteren Masse an Koalitionspartnern bedienen. Von der ebenfalls rechtsgerichteren JA21 – Abspaltung des abgestürzten Forums für Demokratie von Thierry Baudet – bis hin zum linken Parteienspektrum. Sogar die Grünlinken und die Sozialdemokraten schlossen eine Zusammenarbeit mit der BBB in Limburg am Wahlabend laut „De Limburger“ nicht mehr aus, im Gegensatz zu den Linksliberalen der Bewegung D66. Für die unerfahrene Bürgerbewegung wird die Koalitionsbildung in mehreren Provinzen zur ersten großen Belastungsprobe, denn die Erwartungen ihrer Wähler sind hoch.

(dpa/cheb)