Kein Anspruch auf Corona-Tests : Grenzpendler-Testfrust durch neu interpretierte Verordnung
Aachen Die Entrüstung ist riesig, weil Grenzgänger mit deutscher Krankenversicherung keinen Gratis-Test auf Corona mehr erhalten. Ursache ist, dass ein Begriff vom Bundesgesundheitsministerium in der Testverordnung neu interpretiert wird. Politiker setzen sich für eine schnelle Rücknahme der Entscheidung ein.
Dass das Land NRW nur noch Menschen mit einem Wohnsitz in Deutschland einen Gratis-Test zugestehen, liegt offenbar an einer engeren Auslegung eines Begriffes, der auf Seite 4 der Coronatestverordnung des Bundes zu finden ist. Dort werden unter Paragraph 1 als Anspruchsberechtigte für alle Tests auf das Coronavirus „Versicherte" genannt. Dementsprechend wären alle Menschen, die in den Niederlanden oder Belgien leben, aber in Deutschland versichert sind, anspruchsberechtigt.
Doch in einem späteren Paragraphen der gleichen Verordnung wird dieser Anspruch eingeschränkt auf Personen, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben. Bis Mittwoch wurde nach Angaben aller Beteiligter in Aachen, Düren und Heinsberg die pragmatische Lösung gewählt, eine deutsche Krankenversicherung als Nachweis dieses „gewöhnlichen Aufenthalts“ zu akzeptieren. Genau das änderte sich am Mittwoch.
Das Bundesgesundheitsministerium widersprach dieser Auslegung und stellte fest, dass der Arbeitsplatz nicht mehr als gewöhnlicher Aufenthaltsort gewertet werden dürfe. Kurzfristig wurden alle Testzentren in der Region angewiesen, niemanden mehr zu testen, der in den Niederlanden oder Belgien wohne. Sie hätten nun kein Anrecht mehr auf die kostenfreien Bürgertests auf das Coronavirus. Damit sind auch deutsche Staatsbürger von den Gratis-Tests ausgenommen, wenn sie im Ausland wohnen.
Die Neuigkeit verbreitete sich am Donnerstag rasant in der Grenzregion. Für viele Pendler und Grenzgänger mit Wohnsitz in den Niederlanden ist das kostspielig. Denn: Wer aus den Niederlanden nach Deutschland einreist, der braucht ein negatives Corona-Testergebnis. Angebote für kostenfreie Corona-Tests gibt es in den Niederlanden jedoch nicht. Warum sie, trotz Arbeitsstelle und Krankenversicherung in Deutschland, die Tests hier nun selbst bezahlen müssen, ist für sie kaum nachzuvollziehen.
Heike Xhonneux, Leiterin des Grenzinfopunkts Aachen-Eurode, rechnet das Problem vor: „Wenn man sich zwei Mal in der Woche testen lassen muss, sind das schon 60 Euro in der Woche, die man da hinlegt – pro Person. Es gibt ja auch Familien, wo Frau, Mann und Kinder über die Grenze müssen. Das sind dann vier oder fünf Personen und einer kann nur dafür arbeiten, um die Tests zu bezahlen.”
Nicht nur der städteregionale Gesundheitsdezernent Michael Ziemons findet das „schlicht falsch“. Sein direkter Vorgesetzter, Städteregionsrat Tim Grüttemeier (CDU) teilte in einer Stellungnahme am Donnerstag mit: „Die Lebenswirklichkeit unserer Region ist ein grenzüberschreitendes Leben und Arbeiten. Für die betroffenen Menschen würde dies faktisch zu einer Grenzschließung führen, da die regelmäßigen kostenpflichtigen Tests für viele Menschen nicht finanzierbar sind.“ Er habe Kontakt zu NRW-Ministerpräsident Armin Laschet aufgenommen, um eine Lösung für die vielen Grenzgänger zu finden.
Bemerkenswert ist in seinen Augen, dass zur gleichen Zeit, zu der die Testzentren die neue Anweisung erreichte, das Team „Coronatestung“ des Ministeriums über die Sozialen Medien verbreitete, dass eine Krankenversicherung ausreiche. Grüttemeier fordert eine rechtssichere Klarstellung, was nun gelte und die Lebenswirklichkeit an der Grenze berücksichtigt werde. Eine Rückmeldung aus Düsseldorf habe er jedoch noch nicht erhalten, teilte Detlef Funken, Pressesprecher der Städteregion um 17 Uhr am Donnerstag mit. Eine Anfrage unserer Zeitung beim NRW- und beim Bundesgesundheitsministerium zur Begründung der Anweisung und der generellen Formulierung der Verordnung läuft ebenfalls.
Eine Wohngemeinschaft aus dem Vaalser Viergrenzenweg hatte sich noch am Mittwoch entsetzt an NRW-Ministerpräsident Laschet gewandt. Anwohnerin Monika Schneiders schreibt darin: „Wir bezahlen Steuern in Deutschland. Wir sind in Deutschland krankenversichert. Wir wählen in Deutschland. Und wir wohnen in einem an Deutschland angrenzenden Land des angeblich Vereinten Europa. Aber: wir werden massiv benachteiligt.“
Grüttemeiers und dieser Appell waren nicht die einzigen Schreiben, die zu dem Thema am Donnerstag in Richtung Laschet gingen. Die drei SPD-Landtagsabgeordneten aus der Städteregion Aachen, Eva-Maria Voigt-Küppers, Stefan Kämmerling und Karl Schultheis forderten den CDU-Parteivorsitzenden in einem offenen Brief ebenso zu einer schnellen Rücknahme des Erlasses auf, wie auch die stellvertretende Aachener SPD-Fraktionsvorsitzende Ye-One Rhie.
„Wir fordern die Landesregierung auf, die alte Testregelung unverzüglich wieder herzustellen und die bereits entstandenen Kosten den betroffenen Bürger und Bürgerinnen zu erstatten“, teilt Rhie in einer Stellungnahme mit. Die SPD werde eine gemeinsame Position des Aachener Stadtrates anstreben. Eine solche gibt es bereits auf Städteregions-Ebene. Die Fraktionen der CDU, SPD, Grünen, FDP, Linken und der UPP forderten Laschet gemeinsam auf, die alte Situation an der Grenze wieder herzustellen.
Unmut gibt es auch im benachbarten Kreis Heinsberg: Pressesprecherin Jennifer Grünter bestätigte auf Nachfrage ein stark erhöhtes Anruferaufkommen von verunsicherten Grenzpendlern.
Auch Herzogenraths Bürgermeister Benjamin Fadavian pflichtete dem bei: „Wir bekommen Nachrichten und E-Mails ohne Ende, in den allermeisten Fällen von Deutschen, die in Kerkrade wohnen und sich jetzt natürlich fragen: Was passiert da? Ich persönlich verstehe diese Regelung auch nicht.“