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Mediziner und Umweltfachleute streiten über Stickstoffdioxid-Gefahren

Experten streiten vor Gericht : Wie böse ist der Diesel wirklich?

Am zweiten Tag einer Expertenanhörung zur Luftreinhaltung sind vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster am Freitag die unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansichten über Gesundheitsgefahren durch den Stickstoffdioxidausstoß von Dieselfahrzeugen hart aufeinander geprallt. Vorerst bleibt unklar, was dies für die erwarteten Urteile zu Dieselfahrverboten in insgesamt 14 beklagten NRW-Städten bedeutet.

Insbesondere der Internist Dieter Köhler, der mit seinem Anfang des Jahres veröffentlichten Positionspapier die öffentliche Debatte über den Sinn der EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub befeuert hatte, blieb seiner Linie treu und bestritt einen direkten Wirkungszusammenhang zwischen erhöhten Luftschadstoffwerten und steigenden Sterblichkeitsraten.

Aus den bislang vorliegenden epidemiologischen Studien lasse sich seiner Meinung nach kein kausaler Zusammenhang nachweisen, erklärte er vor Gericht. Auch würden in der derzeit geführten Debatte Analysen außer acht gelassen, wonach Stickstoffdioxid keine erkennbaren Effekte für die Sterblichkeit habe. Stickstoffe kämen in großen Mengen auch als körpereigene Substanzen in menschlichen Zellen vor und könnten somit „per se gar nicht giftig sein“, sagte er. Den geltenden Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft, der in vielen Städten zu Fahrverboten führen kann, hält er für falsch. „Eine Gesundheitsgefahr beginnt erst über 100 Mikrogramm, wahrscheinlich erst ab 500 Mikrogramm.“

Die Studien, auf die sich seine Fachkollegen und auch das Umweltbundesamt berufen, würden mit der These „Stickstoffdioxid ist riskant“ alle den gleichen Grundfehler mit sich herumschleppen, ist er überzeugt. Eben deshalb kämen sie alle zu seiner Überzeugung nach „falschen Ergebnissen“. Dabei ließen sie die Faktoren außer acht, die vor allem auch bei Menschen mit einem niedrigeren Sozialstatus zu einem vorzeitigen Tod führen können: Rauchen, Alkohol, schlechte Ernährung, mangelnde Bewegung.

Heftiger Widerspruch kam insbesondere von der Fachärztin und Epidemiologin Barbara Hoffmann, Uni Düsseldorf, und von Marion Wichmann-Fiebig, Abteilungsleiterin beim Bundesumweltamt. Schon Untersuchungen aus den 1990er Jahren, die auch Grundlage für die Grenzwertempfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO waren, würden die gesundheitsschädliche Wirkung des Luftschadstoffs belegen. „Es kommt zu Entzündungen im Körper, das Immunsystem wird angegriffen, verstärkt gibt es allergische Reaktionen. Bei Kindern ist ein verringertes Lungenwachstum festgestellt worden“, so Hoffmann.

Jüngere Studien belegen laut Hoffmann, dass das Risiko für Herzkreislauferkrankungen bei steigender Stickstoffdioxidbelastung linear zunehme: pro zehn Mikrogramm um drei Prozent. Laut einer vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen Studie gehen wegen der gegenwärtigen Grenzwertüberschreitung alleine in Deutschland derzeit etwa 50.000 Lebensjahre verloren. Umgerechnet heiße dies, dass es jährlich rund 6000 vorzeitige Todesfälle gebe.

Hoffmann ging auch auf die von Köhler angeführten weitaus höheren zulässigen Grenzwerte von 950 Mikrogramm am Arbeitsplatz ein. Dort seien in der Regel nur gesunde Menschen der hohen Belastung ausgesetzt, und dies auch nur vorübergehend. Der Grenzwert von 40 Mikrogramm soll hingegen auch die Gesundheit von Säuglingen, Alten oder Kranken gewährleisten, die in ihrer Wohnumgebung dauerhaft dieser Belastung ausgesetzt sind.

Grundlegende Zweifel an diesen Betrachtungen hat jedoch auch der Medizinprofessor Alexander S. Kekulé. Ähnlich wie Köhler sieht auch er keine Belege dafür, dass Stickstoffdioxid für eine höhere Sterblichkeit verantwortlich ist. Man wisse oft nicht, wie die Probanden der Studien zuvor gelebt hätten und welchen Belastungen sie sonst noch ausgesetzt waren. Die 1999 erstmals festgelegten Grenzwerte hält er für politisch motiviert, wissenschaftlich belegt seien sie nicht. Dienen sollten sie auch nicht nur dem Gesundheitsschutz der Menschen, sondern auch dem allgemeinen Umweltschutz. Der Unterschied sei wichtig, weil er harte Eingriffe wie Fahrverbote nicht rechtfertige, um den gesetzten Zielen möglichst schnell nahezukommen.

Max-Jürgen Seibert, Vorsitzender Richter am OVG, betonte, dass er den Streit zwischen den Wissenschaftlern nicht entscheiden werde. „Aber es ist wichtig, das gesamte Spektrum zu kennen, um es besser einschätzen zu können.“

In der von Seibert angesetzten zweitägigen Anhörung geht es nur um die Vorbereitung der Entscheidungen über mögliche Dieselfahrverbote in insgesamt 14 von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) verklagten Städte. Darunter sind Aachen, Köln, Bonn, Düsseldorf und Düren. Die entscheidende Frage, die der Jurist in diesem Zusammenhang beantworten muss, lautet: Wie gefährlich ist Stickstoffdioxid? Er stellte diese Frage auch im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass der Grenzwert im Grunde schon vor 15 Jahren gesetzt wurde, Überschreitungen jedoch angesichts hoher Kosten und mangelhafter technischer Möglichkeiten bis heute geduldet werden. „Man könnte auf die Idee kommen, dann auch noch weiter zu warten“, gab Seibert zu bedenken.

Marion Wichmann-Fiebig vom Bundesumweltamt widersprach heftig: „In der Zwischenzeit erkranken und sterben Menschen.“ Sie setzte hinzu: „Es desillusioniert mich, dass man solange nichts unternommen hat.“ In dem vom OVG für Ende Juli angesetzten Berufungstermin über Fahrverbote in Aachen und Bonn wird es auch um die Frage der Verhältnismäßigkeit und dem von der Bundesregierung festgelegten Schwellenwert von 50 Mikrogramm gehen, unter dem keine Fahrverbote verfügt werden sollten. Für Aachen würde dies Entwarnung bedeuten. Da dies aber einem EU-Gesetz entgegenstehe, machte Seibert bereits deutlich, dass „sich keine Stadt entspannt zurücklegen soll, nur weil sie unter 50 Mikrogramm liegt“. Entscheidend werde sein, was die betroffenen Städte bisher getan haben, um den geltenden Grenzwert, der vom Gericht ausdrücklich nicht infrage gestellt wird, einzuhalten.

In einer Verhandlungspause zog Bernd Büttgens, Sprecher der Stadt Aachen, vor Ort noch am Freitag ein erstes Fazit: „Diese beiden intensiven und ausgesprochen informativen Tage stärken unsere Zuversicht, dass das Oberverwaltungsgericht um ein Ergebnis ringt, das inhaltlich ausgewogen ist und alle Aspekte beleuchtet. Die Anhörung der Experten zeigt uns, dass wir mit unserem überarbeiteten Luftreinhalteplan für die Stadt Aachen und den bereits in der Umsetzung befindlichen Maßnahmen gut aufgestellt sind.“ Ob es am Ende in Aachen zu Dieselfahrverboten kommen wird, vermochte allerdings auch er noch nicht abzuschätzen. „Aus den beiden Tagen in Münster ist noch keine Tendenz für das Urteil abzuleiten.“