Rettung aus der Luft : Wie funktioniert die Luftrettung in Aachen, Düren und Heinsberg?
Würselen/Nörvenich Schnelle Hilfe aus der Luft gibt es in der Region in Gelb und in Grün: Zur Verfügung steht der ADAC-Heli mit den meisten Einsätzen in NRW und der modernste Rettungshubschrauber der Bundeswehr. Aber wer fliegt eigentlich wann?
Am Himmel über der Region fliegen regelmäßig zwei Helikopter, die sich von anderen unterscheiden. Beide sind Rettungshubschrauber, die einzigen in der Region. Der eine ist ADAC-Gelb, heißt Christoph Europa 1 und startet vom Flugplatz Merzbrück – der andere ist Bundeswehr-Grün mit orangefarbener Tür und der Aufschrift SAR, er hebt vom Fliegerhorst in Nörvenich ab.
Erst vor wenigen Monaten hat dieser Airbus seinen Vorgänger beerbt, das Modell Huey oder auch „Teppichklopfer“. So nennt in die Bundeswehr, weil die Rotoren ein markantes „Flapp, flapp, flapp“ in der Luft erzeugt haben. 50 Jahre lang war das so. Nun steht im Kreis Düren der modernste Rettungshubschrauber, den die Bundeswehr nach eigenen Angaben zu bieten hat, ein „Quantensprung“ für die Luftrettung.
Wie funktioniert die in der Region Aachen, Düren, Heinsberg überhaupt? Und warum fliegt der moderne Rettungshubschrauber der Bundeswehr so selten?
ADAC-Stützpunkt Merzbrück
Die Luftrettung vom Flugplatz Merzbrück im Würselener Stadtteil Broichweiden nahe der A44 aus wurde von 1974 bis 1998 noch von der Bundeswehr betrieben, seitdem ist der Allgemeine Deutsche Automobil Club zuständig. Der ADAC selbst ist gemeinnützig, Hauptträger für diese Luftrettungsaufgaben in der Region ist die Städteregion Aachen.
Der „gelbe Engel“, wie die Hubschrauber des Clubs genannt werden, fliegt nur von Sonnenaufgang (frühestens 7 Uhr) bis Sonnenuntergang (und bis zu 30 Minuten darüber hinaus) zu Einsätzen. Nach Aussagen von Joachim Habers, Ärztlicher Leiter der Städteregion, sei der Bedarf für Einsätze im Dunkeln nur abzuschätzen, aber „nicht völlig abzustreiten“, jedoch „deutlich geringer“ als zu den hellen Tageszeiten. Für nächtliche Intensivtransporte stehe außerdem seit 2011 der Christoph Westfalen vom Flugplatz Münster-Osnabrück zur Verfügung.
Von Würselen aus fliegt Christoph Europa 1 (Typ Airbus H135) auch zu Einsätzen im Grenzgebiet – daher der Zusatz Europa im Namen. Für die 50 Kilometer bis Lüttich zum Beispiel ist der Heli etwa 15 Minuten in der Luft. Auf deutscher Seite liegen Ratingen im Nordosten, Bergisch-Gladbach im Westen und Prüm im Süden in einem Radius, den der ADAC nach eigenen Angaben binnen 20 Minuten erreicht.
Einsatzzahlen
In der Jahresstatistik für 2020 der sechs in NRW stationierten ADAC-Rettungshubschrauber steht Christoph Europa 1 ganz oben. Mit 1579 Einsätzen ist er nach Angaben des Clubs erneut am häufigsten unterwegs gewesen; im Jahr 2019 waren es mit 1706 im Vergleich ebenfalls die meisten Einsätze. Im Schnitt bedeutete das also mindestens vier Einsätze pro Tag im abgelaufenen Jahr. Von 2012 bis 2016 waren es jährlich dagegen jeweils mehr als 2000 Einsätze.
Im vergangenen Jahr ist Christoph Europa 1 für 89 Einsätze ins Ausland geflogen, das waren rund sechs Prozent der Aufträge. Drei Mal ging es nach Belgien, 86 Mal in die Niederlande. Auf deutscher Seite entfielen mit 1475 Flügen 99 Prozent auf Nordrhein-Westfalen, die restlichen 15 Flüge gingen nach Rheinland-Pfalz.
Die drei häufigsten Gründe für einen Einsatz sind mit 31 Prozent Notfälle des Herz-/Kreislaufsystems gewesen. Unfälle im Verkehr, beim Sport oder in der Freizeit sorgten für 23 Prozent. Neurologische Notfälle (wie Schlaganfälle oder Gehirnblutungen) lösten 18 Prozent der Alarmierungen aus.
Auf eine Bilanz, wie der ADAC sie vorzuweisen hat, kommt der Rettungshubschrauber der Bundeswehr nicht ansatzweise. Wie Oberstleutnant Peter Straub vom Transporthubschrauberregiment 30 aus Niederstetten (s. Infobox rechts) erklärt, ist die Crew im Schnitt 70 Mal pro Jahr in den vergangenen drei Jahren zu einem Einsatz geflogen – gut die Hälfte davon nachts. Heißt übersetzt: Rein rechnerisch flog der Airbus H145 wenn überhaupt nur jeden fünften Tag zu einem scharfen Einsatz. Ein außergewöhnlicher ereignete sich Anfang des Jahres, als die Bundeswehr (im Dunkeln) ein Kind aus Aachen zu einer Herztransplantation in die Uniklinik Gießen flog. Überwiegend ist der SAR-Hubschrauber zu Übungsflügen in der Luft.
Fliegerhorst Nörvenich
Der Rettungshubschrauber der Bundeswehr wird für zivile Einsätze wie Verkehrsunfälle nur angefordert, wenn die Rettungsdienste am Boden ausgelastet sind, der ADAC-Heli parallel im Einsatz ist oder ein weiterer Rettungshubschrauber benötigt wird. Zuvorderst rückt die Crew aus, wenn Luftfahrzeuge der Bundeswehr oder zivile Flugzeuge/Hubschrauber abgestürzt sind.
Die Tür-Aufschrift SAR steht für die hoheitliche Aufgabe „Search and Rescue“ – zu deutsch: Such- und Rettungsdienst. Die Tatsache, dass der Bundeswehr-Hubschrauber (Typ Airbus H145) dafür auch nachts zum Einsatz kommt, weil dafür zwei für diese Zwecke ausgebildete Piloten gleichzeitig an Bord sein müssen, unterscheidet ihn wesentlich von dem des ADAC.
In den 1960er Jahren war die Aufgabe „Search and Rescue“ (SAR) aus Mangel an eigenen Kräften vom Bundesverkehrs- an das Verteidigungsministerium übergeben, also an die Bundeswehr. Verantwortlich für die Einsätze des Rettungshubschraubers in Nörvenich ist jedoch nicht das Taktische Luftwaffengeschwader 31 der Boelcke-Kaserne, sondern das Transporthubschrauberregiment 30 aus Niederstetten – das liegt in Baden-Württemberg zwischen Würzburg und Stuttgart.
Von dort werden seit 2016 alle Rettungsflüge über Land koordiniert und die 90 Mann starke Besatzung auf die drei Kommandos in Niederstetten, Nörvenich und Holzdorf (Schleswig-Holstein) verteilt. Die Leitstelle ist wiederum in Münster, einen festen Einsatzradius für die drei verschiedenen Kommandos gibt es nicht. Die Anzahl der in Münster eigehenden Alarme ist fünf- bis sechsmal so hoch wie die Einsatzzahl, die die SAR-Crew aus Nörvenich übernimmt.
Sowohl das Transporthubschrauberregiment 30 aus Niederstetten als auch die SAR-Leitstelle in Münster sind in der Bundeswehr der Division Schnelle Kräfte (DSK) unterstellt. Diese sitzt in der Herrenwald-Kaserne bei Marburg und ist der Träger der Luftbeweglichkeit im niederländischen und deutschen Heer. Der DSK dienen rund 12.000 Soldaten, verteilt auf sieben Bundesländer und zwei Staaten. Rund 2300 davon sind in den Niederlanden stationiert.
Der Luftrettungsbedarfsplan
Dieser legt fest, wie viele und wo Rettungshubschrauber in NRW stationiert sind. Ausschlaggebend dafür sind die Einsatzzahlen und Bedarfe sämtlicher Rettungsdienste am Boden, zu denen auch Organisationen wie das Rote Kreuz, die Malteser und Johanniter zählen. Eigentlich hätte der neue Plan bereits 2018 vorliegen sollen, aus verschiedenen Gründen hat das Landesministerium den Beschluss des Entwurfs mehrfach verschoben – zuletzt wegen der Corona-Pandemie, die die personellen Kapazitäten ausreizen würde. Wann der Plan letztlich veröffentlicht wird, ist ungewiss.
Für die Städteregion ist das Papier wichtig, sagt Habers: „Es werden Modellversuche möglich, die den Effekt von längerer Verfügbarkeit einzelner Rettungshubschrauber gerade für die Nachmittags- und Abendstunden im Winterhalbjahr ermitteln sollen.“ Zudem solle sich die Ausstattung der zivil betriebenen Rettungshubschrauber stärker am vorhersehbaren Bedarf der einzelnen Stationen orientieren. Zum Beispiel könnten sie mit Rettungswinden ausgestattet werden oder so, dass sie auch nachts fliegen können. Die ADAC-Luftrettung sei nach eigenen Angaben dazu in der Lage, die Technik anzupassen, sollte dies vom Aufgabenträger gewünscht sein.
Weil der Bundeswehr-Hubschrauber die genannten Möglichkeiten bereits hat, ist er bislang eine nützliche Unterstützung für die zivile Luftrettung. Mit Blick in die Zukunft sagt Habers aber: „Die im Luftrettungsbedarfsplan vorgesehenen Erweiterungen der Fähigkeiten von öffentlich-rechtlichen Rettungshubschraubern wie dem Christoph Europa 1 wird den Bedarf von SAR-Hubschraubern der Bundeswehr tendenziell reduzieren.“