Gutachterin abgelehnt : Urteil im Prozess um totes Baby unerwartet verschoben
Aachen/Alsdorf Im Prozess um den Tod eines Säuglings aus Alsdorf vor dem Landgericht Aachen gegen den Vater geschah am Dienstag Ungewöhnliches. Erwartet worden war ein Urteil, stattdessen geht der Prozess erneut in die Beweisaufnahme.
Üblicherweise folgt in Gerichtsverfahren den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung das Urteil über den Angeklagten. Nur in seltenen Fällen wird nach den Plädoyers erneut in die Beweisaufnahme eingetreten. So geschieht es momentan in einem Schwurgerichtsverfahren vor dem Aachener Landgericht.
Ein 37-jähriger Kindesvater ist angeklagt, seinen sechseinhalb Monate alten Sohn am Abend des 8. März zu Hause in der Alsdorfer Wohnung des Paares so schwer am Kopf verletzt zu haben, dass das Kind am darauf folgenden Morgen starb.
Am Dienstagmorgen nun hat der Strafverteidiger des Angeklagten, Anwalt Uwe Krechel aus Bonn, zwei neue Beweisanträge gestellt, die zu einer Verlängerung des Prozesses und zu einem erneuten Eintritt in die Beweisaufnahme führen. Sie sollen die Unschuld des 37-Jährigen beweisen. Der Angeklagte bestreitet den Vorwurf der Kindestötung nach wie vor nachdrücklich, sein Leumund ist bestens, er hat sich bislang nichts zu Schulden kommen lassen.
Allerdings wiegt in dem Verfahren vor dem Aachener Schwurgericht mit der Vorsitzenden Richterin Judith Sander das forensische Gutachten der Kölner Rechtsmedizinerin Dr. Sibylle Banaschak schwer. Die Medizinerin stellte bei einer Obduktion drei Tage nach der Einlieferung des toten Jungen massive Schädel-Hirntraumata im Kopf des Babys fest.
Sie seien um so gravierender zu bewerten, sagte die Gutachterin im Verfahren, als die Schädelnähte bei dem an der rechten Kopfseite lokalisierten Bruch ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden, das sei ein Zeichen „massiver Gewalteinwirkung“.
Genau gegen diese Feststellung der Kölner Rechtsmedizinerin wendet sich nun der Befangenheitsantrag des Verteidigers. Ihr, Banaschaks, Gutachten sei einseitig und lasse „weitere wissenschaftliche Erkenntnisse“ völlig außer Acht. Erkenntnisse, die zur Entlastung des Mandanten führen würden.
„Die Gutachterin hat andere Studien völlig außer Acht gelassen, die solche Verletzungen auch bei Stürzen eines Kleinkindes aus geringeren Höhen, sogenannte ,low falls’, belegen“. Er habe den renommierten Münsteraner Rechtsmediziner Prof. Bernd Brinkmann mit einer Expertise beauftragt. Sie bestätige die Einseitigkeit des vorgelegten rechtsmedizinischen Gutachtens.
Gerade die Tatsache, dass bei dem kleinen Ben lange vor dem Vorfall eine Kopfdeformation festgestellt worden war, habe einen Schädelbruch auch bei nur geringer Krafteinwirkung möglich gemacht, beschrieb der Anwalt die Aussagen des Münsteraner Rechtsmediziners. Also sei auch ein anderes Geschehen als in von der Gutachterin unterstellten „massiven Gewalteinwirkung auf den Kopf des Kindes“, wie sie die Privatdozentin Banaschak behauptet habe, denkbar.
Er lehne mit seinem Antrag die Gutachterin „aus der Besorgnis der Befangenheit ab“, führte Krechel vor der Kammer aus und fordere ein neues rechtsmedizinisches Gutachten, da die Anklage wegen Totschlags „sich rein auf die Erkenntnisse von Frau Banaschak“ gründen.
Bevor es möglicherweise doch zu einer Verurteilung des 37-jährigen Angeklagten kommt, will der Verteidiger seinen Mandanten zusätzlich vorsorglich psychiatrisch untersuchen lassen. Hierfür wurde bereits die psychiatrische Sachverständige Dr. Dina Mörth aus Aachen bestellt.
Am Ende der Sitzung, in der eigentlich ein Urteilsspruch erwartet worden war, bestimmte die Kammer drei weitere Verhandlungstage. Der Prozess wird nun am 26. September ab 13 Uhr im Aachener Landgericht, Saal A 0.009, fortgesetzt.