„Es müsste ein Schulfach ‚Klimawandel’ geben“ : Wetterexperte erklärt, warum er von Horrorszenarien absieht
Aachen Den meisten dürfte er wohl aus der Wettersendung „Wetter vor Acht“ bekannt sein – mal mit guten, mal mit schlechten Aussichten. Die Rede ist von Sven Plöger, der 1999 zum ersten Mal die Wettervorhersage im Ersten Deutschen Fernsehen moderierte. Heute ist der Moderator auch in der Pilotenausbildung tätig und vertritt in der aktuellen Klimadebatte eine klare Haltung: „Die oft sehr emotionale Diskussion muss sachlicher werden!“
Der RWTH Aachen hat er jetzt im Rahmenprogramm des Karlspreises einen Besuch abgestattet und vorab mit unseren Mitarbeitern Joel Teichmann und Leon Kirschgens gesprochen. Im Interview erklärt der Diplom-Meteorologe, warum er von Horrorszenarios absieht, den Umweltschutz nicht nur mit Verzicht in Verbindung bringt und der Klimawandel in Unterrichtsplänen Platz finden muss.
Herr Plöger, spätestens seit den „Fridays for future“-Demos hat die Klimaproblematik so gut wie jeden erreicht. Welche Zeit schlägt hinsichtlich des Klimawandels? Fünf vor oder fünf nach Zwölf?
Sven Plöger: Welche Minute wir vor Zwölf haben, weiß ich nicht, aber wir haben etwas vor Zwölf. Wenn die Uhr nach Zwölf stünde, dann wäre es vorbei und alles wäre zu spät. Wir haben also noch Chancen – und die müssen wir nutzen.
Wenn die Menschen so weitermachen wie in den vergangenen Jahren, wie sähe die Welt aus, wenn man zehn bis dreißig Jahre in die Zukunft blickt?
Plöger: Ich mag diese apokalyptischen Dinge nicht sonderlich, denn meine Antwort auf die Frage wäre ein Horrorszenario. Ich finde es viel interessanter, den Leuten zu erklären, was dabei herauskommen kann, wenn wir erfolgreich an den Dingen arbeiten, die wir uns vorgesetzt haben. Uns den ganzen Tag nur Horrorszenarien zu erzählen, haben wir in den 1980er Jahren bereits angefangen – und zwar mit großer Erfolglosigkeit.
Die Wissenschaft thematisiert schon seit Jahrzehnten den Klimawandel. Und dennoch erfährt er jetzt erst eine große Aufmerksamkeit.
Plöger: Ja, weil er haptisch wird, fühlbar. Wir spüren: Da verändert sich etwas! Die Gesellschaft merkt, dass da etwas passiert, schafft es aber noch nicht, sich die Frage zu stellen: Wie handeln wir jetzt? Das muss nun baldmöglichst geschehen. Die Message sollte lauten: Wir haben noch Zeit, aber dann müssen wir jetzt handeln.
Einen Wandel des Klimas beobachten wir in der Geschichte der Erde nicht zum ersten Mal. Woran machen Sie fest, dass er diesmal menschengemacht ist?
Plöger: Vor allem daran, dass die Geschwindigkeit höher ist. Die Erderwärmung und andere klimatische Veränderungen sind zu einem gewissen Zeitpunkt ganz natürlich. Doch wenn sich etwas plötzlich so stark beschleunigt, dann ist der Einfluss des Menschen nicht zu leugnen. Ein Beispiel: Vor etwa 11.000 Jahren lag die globale Temperatur etwa vier Grad unter der jetzigen. Im letzten Jahrhundert stieg die globale Temperatur aber um ein Grad. Vier Grad in 11.000 Jahren, ein Grad im letzten Jahrhundert – eine dramatische Beschleunigung. In unserer aller Köpfe ist der Gedanke verankert: Viel bewirkt viel, wenig bewirkt wenig. Das ist physikalisch gesehen oft nicht richtig. Schon geringste Veränderungen in der Atmosphäre haben einen drastischen Einfluss auf das Klima, und für diese sorgt der Mensch gerade.
Obwohl viele Experten wie Sie über den Klimawandel aufklären, gibt es Politiker, die eine Existenz des Klimawandels anzweifeln oder nicht wahrhaben wollen.
Plöger: Jeder Mensch kann seine eigene Meinung haben. Unsere Meinung interessiert die physikalischen Abläufe aber wenig. Das große Problem ist die Komplexität des Prozesses. Die Wissenschaft und damit auch ich sind gezwungen, die vielen Zusammenhänge zu erklären; das ist aber keine Sache, die man innerhalb von zwei Sätzen schaffen kann. Ziel muss es sein, die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf eine allgemeinverständliche Art rüberzubringen. Und die Leute müssen bereit sein, die Klimathematik verstehen zu wollen.
Dafür bedarf es einer Wissensgrundlage. Müssen wir also in den Schulen ansetzen?
Plöger: Absolut. Unsere Lehrpläne basieren vielfach noch auf der Gemütlichkeit der 1980er Jahre. Inzwischen müsste der Klimawandel ein eigenes Schulfach sein. Kein ideologisches, sondern ein pragmatisches, in dem auch ganz klar gesagt wird, in welchen Bereichen die Wissenschaft Klarheiten und in welchen Unsicherheiten hat.
Zahlreiche Schülerinnen und Schüler demonstrieren bei der Initiative „Fridays for Future“ für den Klimaschutz. Sie selbst unterstützen den Protest als Teil der „Scientists for Future“. Warum?
Plöger: Weil ich fasziniert davon bin, dass junge Menschen, die viele bisher für unpolitisch hielten, sich derartig engagieren. Sie stellen fest, dass sie von der Klimathematik besonders betroffen sind. Schließlich sind sie noch viele Jahrzehnte auf der Welt. Sicherlich wird es auch Schülerinnen und Schüler geben, die sich wenig für das Thema interessieren und einfach nur freihaben wollen. Aber das Gros, da bin ich sicher, ist nicht so.
Viele Menschen kritisieren den Protest und bezeichnen die Jugendlichen als Schulschwänzer.
Plöger: Na gut, die Schule schwänzen sie ja auch. Aber nur dadurch bekommen sie die Aufmerksamkeit, die sie brauchen. Wenn die Schüler am Samstagnachmittag protestieren würden, wäre die Aufmerksamkeit sehr viel geringer. Das kennt man übrigens auch von Arbeitnehmern: Die streiken fast nie in ihrer Freizeit. (lacht)
Die „Fridays for Future“-Bewegung fordert ganz bestimmte Ziele, unter anderem den Kohleausstieg bis 2030 und die vollständige Energieversorgung durch erneuerbare Technologien bis 2035. Wie realistisch sind diese Forderungen?
Plöger: Erst einmal müssen die Ziele europäisch oder weltweit gesetzt werden. Wenn wir bereit sind, Änderungen in Kauf zu nehmen, sind sie realistisch. Ich bin aber dagegen, Klimawandel immer nur mit Verzicht in Verbindung zu bringen.
Wie dann?
Plöger: Indem wir die positiven Dinge, die wir bereits haben, nach außen transportieren. Das Elektroauto ist noch nicht die endgültige Lösung, aber das Recyceln der Batterien beispielsweise ist viel weiter als die Argumentation der Menschen. Ich selbst habe mir mein Haus umgebaut, Solarzellen angebracht, eine Wärmepumpe eingebaut und produziere seit 2013 meinen eigenen Strom. Zugegeben: Nicht jeder hat das Glück, investieren zu können. Viele Menschen, die bei mir zu Besuch sind, sagen trotzdem: „Das möchte ich auch haben.“ Wir müssen „Leuchtturmprojekte“ haben und uns damit gegenseitig die Erfolge zeigen, die es längst gibt.
Was konkret könnte eine einzelne Person denn unternehmen?
Plöger: Zum Beispiel Bücher kaufen, in denen steht, was sie tun könnte. Gut wäre, diese zu lesen; noch besser, die Sachen darin mal zu probieren. Zum einen sind es Fragestellungen rund um das Heizen und Dämmen sowie den Stromverbrauch in Häusern. Eine riesige Menge wird täglich verbraucht für Geräte, die einfach nur im Standby-Modus verharren. Es sind lauter Kleinigkeiten: Den Kühlschrank nicht neben den Herd stellen, den Deckel auf den Topf setzen. Zum anderen gibt es bei der Mobilität ein großes Potential. Wenn ich in Aachen durch die Straßen laufe, bin ich als Fußgänger mit Abstand der Langsamste. Warum müssen Städte immer auf Autos ausgelegt sein? Warum nicht etwa auf Radfahrer? In so vielen Bereichen kann sich etwas ändern.
Ist das auch die Botschaft, die Sie vermitteln wollen, wenn Sie auf Bühnen auftreten?
Plöger: Natürlich. Ich will die Leute ermutigen, sich zu engagieren. Wenn man sich die Geschichte anschaut, dann gab es immer wieder Ziele, für die sich Menschenmassen eingesetzt haben, nicht zuletzt beim Berliner Mauerfall. Die Summe der Taten eines jeden Einzelnen ist letztlich das globale Ergebnis.