EuGH-Urteil zugunsten von Mitarbeitern : Katholische Kirche fürchtet neue Vorgaben im Arbeitsrecht
Luxemburg/Aachen/Düsseldorf Ein seit 18 Jahren in einem katholischen Krankenhaus tätiger Chefarzt darf auf Weiterbeschäftigung hoffen, obwohl er eine kirchenrechtlich ungültige Ehe eingegangen ist. Das folgt aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Dienstag.
Die Luxemburger Richter schlagen sich weitgehend auf die Seite des Arztes; denn dass seine Arbeit genug mit der katholischen Ehelehrezu tun hat, um die Entlassung zu rechtfertigen, bezweifeln sie. Das Urteil könnte weit über den konkreten Fall hinausweisen und das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen relativieren.
Die Kirchen genießen in Deutschland eine vom Grundgesetz geschützte Selbstbestimmung. Der Lissabon-Vertrag der EU wiederum achtet die besondere Stellung der Glaubensgemeinschaften in allen EU-Mitgliedsstaaten. Die katholische Kirche pocht deshalb auf das Grundgesetz.
Die verfassungsrechtliche Position der Kirchen sei vom EuGH „nicht ausreichend berücksichtigt“, heißt es in einer Erklärung des Sekretärs der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer. Es sei Sache der Kirche, nicht der Gerichte, „aus ihrer religiösen Überzeugung heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellt.“ Dazu gehöre auch die Feststellung, was die Glaubwürdigkeit der Kirche erfordere.
Allerdings ist die Frage der Kirche selbst gar nicht mehr so wichtig. Die sogenannte kirchliche Grundordnung zu den Arbeitsverhältnissen wurde nämlich 2015 geändert. Nach der neuen Grundordnung wäre der Fall „anders zu beurteilen“, betont die Bischofskonferenz. In der katholischen Kirche gibt es zwei entgegengesetzte Positionen: Auf der einen Seite jene, die dazu raten, den Trend in der Rechtsprechung zugunsten der Arbeitnehmerrechte nicht zu ignorieren, und andere, die meinen, der EuGH missachte die Sonderrechte der Kirchen im deutschen Recht.
So oder so hat die EuGH-Entscheidung zumindest vorerst keine Konsequenzen für den arbeitsrechtlichen Alltag im Bistum Aachen wie in den anderen deutschen Diözesen. Denn zunächst muss das Bundesarbeitsgericht jetzt ein neues Urteil fällen, in dem es die Maßgaben aus Luxemburg berücksichtigt. Zudem hat das hiesige Bistum jene Empfehlungen umgesetzt, die die Deutsche Bischofskonferenz vor drei Jahren für eine Reform der sogenannten kirchlichen Grundordnung verabschiedet hat.
Demnach sind arbeitsrechtliche Folgen zum Beispiel einer Wiederverheiratung oder einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auf schwerwiegende Fälle beschränkt, die nach Auffassung des kirchlichen Arbeitgebers die Integrität und Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigen oder die „ein erhebliches Ärgernis in der Dienstgemeinschaft oder im beruflichen Wirkungskreis erregen“. Dass ein kirchlicher Angestellter zum zweiten Mal heiratet oder mit einem Partner in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, kommt auch im Bistum Aachen vor. Die Kirche reagiert darauf in einem abgestuften Verfahren; auf jeden Fall wird geprüft, ob der Betreffende weiterhin geeignet ist, im kirchlichen Dienst zu bleiben.
Priester sowie pastorale und bischöflich besonders beauftragte Mitarbeiter unterliegen demgegenüber erhöhten Loyalitätserforder-nissen, müssen also bei Wiederheirat oder Eingehen einer Lebenspartnerschaft mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung rechnen.
Nach Auffassung von Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), muss die katholische Kirche ihre arbeitsrechtlichen Sonderregeln besser begründen und vermitteln. Statt nur auf die persönliche Lebensführung der Mitarbeiter und dabei etwa auf die „leidige Frage“ nach Scheidung und Wiederheirat zu achten, sollten christliche Krankenhäuser genauer erklären, was das spezifisch Christliche der Arbeit ausmache und was daher von den Mitarbeitern erwartet werde.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sieht das Recht der Religionsgemeinschaften auf ein eigenes Arbeitsrecht durch das EuGH bestätigt. Der evangelische Kirchenrechtler Hans-Michael Heinig (Göttingen) meint, die katholische Kirche sei schlecht beraten gewesen, „den Fall durch alle Instanzen zu treiben“. In der Praxis werde sich zwar nicht sehr viel ändern, denn der Fachkräftemangel im Gesundheits- und Pflegewesen zwinge die Kirchen ohnehin, bei ihren „arbeitsrechtlichen Idealvorstellungen“ Abstriche zu machen. Dem EuGH mangele es aber auch „am Sinn dafür, dass im kirchlichen Arbeitsrecht implizit theologische Fragen verhandelt werden, die zu beantworten der säkulare Staat sich nicht anmaßen darf“. Das Bundesverfassungsgericht habe darauf immer Rücksicht genommen.
Geschlossen sind die Akten mit dem Luxemburger Urteil also nicht. Jetzt muss das Bundesarbeitsgericht über den konkreten Fall entscheiden; denkbar ist ein erneuter Gang zum Verfassungsgericht. Dann könnte es sogar zu einem noch nie dagewesenen Konflikt zwischen den höchsten deutschen Richtern und der Europäischen Union kommen.