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Vor Prozess aus Untersuchungshaft entlassen: Justizminister verteidigt Freilassungen nach langer Verfahrensdauer

Vor Prozess aus Untersuchungshaft entlassen : Justizminister verteidigt Freilassungen nach langer Verfahrensdauer

Wie kommt es dazu, dass Verdächtige noch vor ihrem Prozess aus der Untersuchungshaft entlassen werden? Gibt es tatsächlich Belege für Bezüge von Barbershops zur Clan-Kriminalität? Die Opposition hat dringliche Fragen an NRW-Justizminister Biesenbach.

Nordrhein-Westfalens Justizminister Peter Biesenbach (CDU) hat Entlassungen aus der Untersuchungshaft nach zu langer Verfahrensdauer als rechtsstaatlich begründete Einzelfälle verteidigt. In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass 2019 in NRW sieben mutmaßliche Straftäter aus der U-Haft freigelassen werden mussten, weil die Mühlen der Justiz zu langsam mahlten.

Gemessen an rund 7500 vollstreckten Untersuchungshaftbefehlen seien das aber nur 0,09 Prozent, sagte Biesenbach am Mittwoch im Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags. Zwar seien auch sieben Fälle „unbefriedigend“, räumte Biesenbach ein. Wo Juristen arbeiteten, komme es aber nun einmal zu Meinungsverschiedenheiten.

In den Fällen im vergangenen Jahr hatten Oberlandesgerichte (OLG) aus verschiedenen Gründen eingetretene Verzögerungen als vorhersehbar und damit vermeidbar eingestuft. Für Haftsachen gilt ein Beschleunigungsgebot. Nach sechs Monaten U-Haft ist bei jedem Gefangenen von einem Gericht zu prüfen, ob die Fortdauer gerechtfertigt ist.

Wie Biesenbach berichtete, waren die Ursachen für die Entlassungen unter anderem: zu späte Begutachtungen von Untersuchungshäftlingen in Betäubungsmittelverfahren, die versäumte Einweisung eines zwischenzeitlich geflohenen Angeklagten in ein Justizvollzugskrankenhaus und eine wegen Urlaubs eines Amtsrichters „zu knapp auf Kante genähte Terminplanung“ mit geplatzter Hauptverhandlung.

Der SPD-Abgeordnete Hans-Willi Körfges fragte, ob nicht die hohe Arbeitsverdichtung und der Personalmangel in der Justiz dazu führten, dass „gefährliche Straftäter“ freigelassen werden müssten. Der Minister wies dies zurück. Es sei schlicht nicht vermeidbar, dass Gerichte sich nicht einig seien oder etwa Richter krank würden.

Wenig konkrete Antworten erhielt die SPD-Opposition auf ihre als dringlich angemeldeten Fragen zur Clankriminalität - speziell zu einem von der Essener Polizei behaupteten Zusammenhang mit Barbershops. Wegen der Kurzfristigkeit der Anfragen habe er das mit den 19 Staatsanwaltschaften in NRW nicht klären können, antwortete Biesenbach. Dazu werde er keinen Schnellschuss abgeben. „Sie kriegen Informationen, wenn sie abgesichert sind.“

SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty hatte zuvor vor allem NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) vorgeworfen, keine Fakten zu liefern und so die Stimmung in der Bevölkerung anzuheizen. „Man holt sich die Sympathie der Stammtische“, kritisierte er im Landtag.

Biesenbach erklärte, „Clankriminalität“ werde in den amtlichen Statistiken nicht ausdrücklich ausgewiesen. Im Januar hatte der Minister allerdings berichtet, in den beiden Sonderdezernaten der Staatsanwaltschaften Essen und Duisburg seien zwischen Sommer 2018 und Dezember 2019 rund 900 Ermittlungsverfahren mit Bezug zur Clankriminalität bearbeitet worden. Die Zahlen seien jedoch „mit Vorsicht zu genießen“, da die Einstufung der Verfahren im Ermessen der jeweiligen Dezernenten liege, erklärte Ministerialdirektor Christian Burr im Ausschuss.

(dpa)