Falsche Nachweise : In den Apotheken tauchen immer mehr gefälschte Impfpässe auf
Aachen Wer geimpft ist, darf mehr. Das wird immer häufiger der Fall sein. Was auch dazu führt, dass in den Apotheken immer häufiger gefälschte Impfnachweise auftauchen. Die Methoden sind vielfältig.
Jutta Engelsing von der Engelsing-Apotheke in Herzogenrath-Kohlscheid kann ein Lied von gefälschten Impfpässen singen, mit denen mancher Zeitgenosse an ein digitales Zertifikat kommen will. Die erste „Welle“ der Fälschungen trat auf, als in den benachbarten Niederlanden alles komplett auf Digitalzertifikat umgestellt wurden. Und nun gewinnt der Begriff 2G angesichts explodierender Coronavirus-Fallzahlen und wieder verstärkt einsetzender Gegenmaßnahmen immer mehr an Bedeutung.
Mancher, der sich nicht impfen lassen will, greift dann zum illegalen Mittel des falschen Impfnachweises. Die werden unter anderem im Internet feilgeboten und kosten je nach „Güte“ bis zu mehreren Hundert Euro.
Gearbeitet werde da mit vielfältigen Methoden, weiß Jutta Engelsing aus Erfahrung. Denn auch in ihrer Apotheke sind solche Fälschungen schon aufgetaucht. Mal sei zum Beispiel der Arztstempel gefälscht, mal der Aufkleber, der in den Impfpass gepappt wird. In apothekeninternen Kommunikationsplattformen in der Städteregion Aachen werde mittlerweile täglich von solchen Fällen berichtet, sagt sie.
Manche Fälschung ist dabei leicht erkennbar, manche aber auch nicht. So gebe es Fälle, bei denen in einem Impfbuch, in dem schon mehrere „reguläre“ Impfungen stehen, nun die gefälschte hinzugefügt werde. „Da ist es schwierig nachzuvollziehen“, so die Apothekerin. Schon etwas einfacher ist es, wenn Impfnachweise angeblich von einer Praxis stammen, die derzeit gar nicht arbeitet. So passiert mit angeblichen Impfungen in einer Praxis in Stolberg, die Opfer des Hochwassers wurde. Auch habe es Fälschungen von Mitarbeitenden in Apotheken selbst gegeben, erzählt Jutta Engelsing.
Sie sieht bei dem Ganzen unter dem Strich einen Fehler im System: „Es wäre sinnvoller, die Ärzte würden direkt bei der Impfung das digitale Zertifikat ausstellen“, sagt sie. Das würde die Fälschungssicherheit deutlich erhöhen. Doch da mache nur ein Teil der Ärzteschaft mit. „Wir finden das System, wie es jetzt ist, unbefriedigend“, so Jutta Engelsing.
Bei Markus Schlicke ist bisher noch kein Fälschungsfall aufgetreten. Jedenfalls kein offensichtlicher. Und da liegt auch für den Inhaber der Bergrath-Apotheke in Eschweiler das Problem. „Es gibt Fälschungen, die dilettantisch sind und die man auf den ersten Blick erkennt“, sagt er. Aber es gibt eben auch jene, bei denen dies nicht auf den ersten Blick klar ist. In solchen Zweifelsfällen müsste man in die Prüfung einsteigen, etwa mit einem Anruf in der ausgewiesenen Arztpraxis. „Das ist aber nicht zu leisten, weil dafür das Personal und die Zeit fehlt“, so der Apotheker. Zumal bei ihm noch hinzukommt, dass es durch die Flutfolgen in Eschweiler enorm viel mehr zu tun gebe und man alleine schon deshalb Zusatzpersonal akquiriert habe.
Wie viele Fälschungsfälle schon aufgefallen sind, ist schwer zu sagen. „Darüber haben wir keine Erkenntnisse“, heißt es dazu beim Apothekerverband Nordrhein in Düsseldorf. Entsprechende Vorkommnisse würden von den Apotheken direkt an die Behörden gemeldet.
In der Städteregion seien hierzu aktuell etwa 20 Ermittlungsverfahren anhängig, sagt Andreas Müller von der Pressestelle der Aachener Polizei auf Anfrage. Beim Landeskriminalamt wiederum erkennt man in Sachen gefälschte Impfnachweise eine klare Tendenz: Es geht nach oben. Die Zahlen steigen stetig und lägen derzeit im mittleren dreistelligen Bereich, heißt es. Wobei das nur die Fälle sind, die übermittelt wurden. Es sei dabei nicht alles erfasst.
NRW-Innenminister Herbert Reul und sein Kollege Franz-Josef Laumann aus dem Gesundheitsressort (beide CDU) haben sich bereits veranlasst gesehen, eine deutliche Warnung an die Fälscher und die Nutzer der Fälschungen auszusprechen: „Fälschungen von Impfnachweisen sind keine Kavaliersdelikte, sondern zum Teil handelt es sich dabei um handfeste Straftaten“, sagen sie. Die Ermittler würden entsprechenden Hinweisen konsequent nachgehen. „Hier kann sich auch niemand herausreden. Jeder muss wissen: Auch wer den Ausweis nicht selbst fälscht, sondern ihn ‚nur’ benutzt, kann sich strafbar machen“, betont Reul.
Laumann ergänzt: „Wenn Impfnachweise gefälscht werden und damit womöglich sogar noch Geld verdient wird, ist das eine Riesensauerei.“ Denn das gefährde Erfolge im Kampf gegen die Pandemie. Auf den Intensivstationen würden derzeit fast ausschließlich ungeimpfte Patienten versorgt. „Hier kann es deshalb auch keine zwei Meinungen geben. Wer Impfnachweise fälscht oder gefälschte Impfnachweise benutzt, muss die Konsequenzen spüren“, so der Gesundheitsminister.
Apothekerin Jutta Engelsings Erfahrung ist allerdings, dass die entsprechenden Personen offenbar auf derlei Strafandrohung pfeifen: „Entweder ist ihnen nicht bewusst, dass sie hier eine Straftat begehen, oder es ist ihnen einfach egal.“ Dabei werde jeder Fall zur Anzeige gebracht, was entsprechende Ermittlungen wegen Urkundenfälschung nach sich zieht.
Allerdings haben die Aussagen der NRW-Minister einen kleinen, aber gewichtigen Haken. Zwischenzeitlich hat nämlich das Landgericht Osnabrück geurteilt, dass die Vorlage eines gefälschten Impfnachweises in einer Apotheke keine Straftat darstelle. Es sei hier vielmehr von einer „Strafbarkeitslücke“ auszugehen. Strafbar sei die Vorlage des Impfnachweises, der ein Gesundheitszeugnis darstelle, bei einer Behörde. Eine Apotheke sei jedoch nun mal keine Behörde, sondern ein Privatunternehmen. Strafbar mache sich bei einer Fälschung lediglich eine „impfberechtigte Person“, sprich vor allem ein Arzt.
Das Landgericht weist allerdings darauf hin, das eine Sicherstellung eines gefälschten Impfausweises dennoch möglich sei: Das Gebrauchen eines unechten oder gefälschten Impfausweises stelle – unabhängig von der Frage, ob ein solches Verhalten strafbar sei – „aufgrund der bestehenden Ansteckungsgefahr eine gegenwärtige Gefahr für die Allgemeinheit dar“.
Dieses Urteil hat die Generalstaatsanwaltschaften in Niedersachsen wiederum aufgebracht, die mit Widerspruch reagieren. Sie gehen weiter davon aus, dass es sich um Urkundenfälschung und damit eine Straftat handelt und lassen dies nun vom Oberlandesgericht klären. So etwas kann erfahrungsgemäß dauern, zumal dann auch noch in höchster Instanz der Bundesgerichtshof ins Spiel kommen könnte.
Womöglich geht es aber doch viel schneller. Denn nach einem Gesetzentwurf der Ampel-Parteien, der am Donnerstag im Bundestag beschlossen werden soll, sollen Fälschern von Corona-Tests sowie Impf- und Genesenennachweisen künftig im schlimmsten Fall bis zu fünf Jahre Haft drohen. Unter anderem soll damit auch der wissentliche Gebrauch eines falschen Test- oder Impfnachweises „mit dem Zweck der Täuschung“ eindeutig strafbar werden.
Auch beim Apothekerverband Nordrhein ist man über die aktuellen juristischen Unklarheiten unglücklich. „Leider ist die Gesetzeslage nicht eindeutig genug“, sagt ein Sprecher. „Da werden die Apotheken in einer eminent wichtigen Situation vom Gesetzgeber nicht ausreichend unterstützt.“
Schließlich hätten die Apotheken in kürzester Zeit die digitale Infrastruktur zur Ausstellung der Impffzertifikate geschaffen und umgesetzt, außerdem seien Akzeptanz und Zufriedenheit der Bürger mit diesem Angebot sehr hoch: „Die Zahl von mittlerweile 40 Millionen in den Apotheken ausgestellten digitalen Impfzertifikaten spricht da eine eindeutige Sprache.“
Den Vorschlag, die Ärzte sollten auch das Digitalisieren übernehmen, um Fälschungsmöglichkeiten auszuschließen, hält man im Verband eher nicht für praktikabel. „Immer mehr Ärzte bieten das schon an, aber eben noch längst nicht alle“, sagt der Sprecher. Und gerade jetzt, wo man sich in den Arztpraxen auf die Booster-Impfungen konzentriere, werde für die Digitalisierung weniger Zeit verfügbar sein. Beim Apothekerverband befürwortet man deshalb eine andere Lösung, mit der man das Problem der Fälschungen in den Griff kriegen könnte: „Wir brauchen ein zentrales Impfregister in Deutschland, auf das Apotheken und andere Fachkreise Zugriff haben müssen.“ Dies sei in anderen Ländern auch üblich.
Diskutiert wurde ein solches Zentralregister in den vergangenen Monaten vermehrt, doch selbst wenn eine Umsetzung beschlossen würde, käme dies für die aktuelle Pandemie wohl zu spät. Womit sich die Apothekerinnen und Apotheker wie Jutta Engelsing erst einmal weiter mit den Fälschungen herumplagen müssen. Mit steigender Tendenz.