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Umbruch in der Tiermedizin: Großkonzerne kaufen Tierarzt-Praxen auf

Umbruch in der Tiermedizin : Großkonzerne kaufen Tierarzt-Praxen auf

Internationale operierende Unternehmen wie Mars und Nestlé übernehmen immer mehr Tierkliniken in Deutschland. Der Grund: Viele Inhaber finden keine Nachfolger. Für Tierhalter kann das irgendwann teuer werden.

Alle zwei Wochen bekommt Ralf Unna eine telefonische Anfrage, ob er seine gut laufende Tierarztpraxis in Köln nicht verkaufen wolle. Unna will nicht, aber viele seiner Kolleginnen und Kollegen wollen durchaus. Seit einigen Jahren bereits übernehmen Großkonzerne europaweit Tierkliniken und größere Praxen, und ein Ende des Einkaufsbummels scheint nicht in Sicht. Insgesamt mehr als 150 deutsche Kliniken sind aktuell nicht mehr inhabergeführt, sondern Teil eines weltweit operierenden Unternehmens. „In zehn bis 20 Jahren werden wir hierzulande eine Marktbereinigung erleben“, prognostiziert Unna, der auch Vizepräsident des Landestierschutzverbandes NRW ist. „Private Tierarztpraxen werden dann ausgestorben sein – mit erheblichen Konsequenzen.“

Vor allem zwei Unternehmen beackern den hiesigen Markt: Anicura und Evidensia, beide aus Schweden. Hinter ersterem steckt der US-Konzern Mars, an letzterem ist das Schweizer Unternehmen Nestlé beteiligt. Beide Firmen vertreiben auch Tierfutter und setzten damit weltweit Milliarden um. Anicura gehören mittlerweile 64 deutsche Tierkliniken, Evidensia bringt es auf mehr als 60. Die Aufkäufer bieten den Inhabern der Praxen oft einen sanften Übergang an, engagieren diese noch als Geschäftsführer für fünf Jahre, bevor sie sich komplett von ihrer Klinik verabschieden müssen. Unna befürchtet nicht nur, dass damit tierärztliches Engagement verloren geht, sondern auch, dass sich die Konzerne ihre Monopolstellungen gut bezahlen lassen. „Es kann sein, dass die Diagnostik oft unnötig ausgereizt wird und dies auf Kosten der Tierhalter geht“, sagt Unna.

Mit Blick auf die Zukunft deutlich optimistischer ist Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbands praktizierender Tierärzte (bpt). Die Strategie die Konzerne berge nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. „Wenn Kliniken zum Beispiel nicht aufgekauft würden, wäre das für Tierhalter noch dramatischer, weil die Praxen sonst oft schließen müssten“, sagt Färber. Denn eine Hauptursache für den Wandel auf dem veterinärmedizinischen Markt ist ein massives Nachwuchsproblem. Inhaber von Kliniken und Praxen finden immer häufiger niemanden für die Nachfolge. Die Tendenz zur Selbstständigkeit sinkt, viele Jungmediziner scheuen das finanzielle Risiko und den damit verbundenen Arbeitsaufwand. Stattdessen wird Wert gelegt auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance, also ein gesundes Verhältnis von Leben und Arbeit. „Diese spielt den Konzernen in die Hände, weil sie als größere Organisation flexiblere Arbeitsmodelle bieten können“, sagt Färber.

Aber selbst wenn die Großunternehmen in der Lage sind, etwa durch günstigere Konditionen beim Einkauf und ein finanzstarkes Fundament wirtschaftlich schwierige Standorte aufrechtzuerhalten, so besteht doch die Gefahr, dass der Besuch beim Tierarzt künftig teurer wird. „Wenn ein Monopol entstehen würde, könnten natürlich auch Preise für Behandlungen von Tieren vorgegeben werden“, sagt Martin Kramer, Präsident der Deutschen Veterinärmedizinischen Gesellschaft (DVG). „Auch Investorengruppen, die tierärztliche Kliniken aufkaufen, wollen und müssen Geld verdienen und sind nicht primär zum Wohle der Tiere entstanden.“ Andererseits hätten auch die Konzerne einen Ruf zu verlieren und würden sich miteinander im Wettbewerb befinden. Heißt: Tierhalter vergleichen und bewerten, wenn eine Operation völlig überteuert erscheint.

Auch Färber hält es für schwierig, überhöhte Preise am Markt durchzusetzen. Das Beispiel USA zeige, dass kleinere Praxen nicht verschwinden, sondern auch weiterhin mit den Klinik-Ketten konkurrieren. Tierarzt Unna aber kann sich vorstellen, dass die Konzerne in den nächtlichen Notdiensten irgendwann die Sätze ausreizen, also höchstmögliche Tarife verlangen. Viele private Tierärzte würden heute davor zurückscheuen, das zu tun. Auch Buchhaltung, Software und Apparatemedizin würden innerhalb der Konzerne sicher vorgegeben, was aber nicht von Nachteil sein müsste. Färber wiederum sieht eher eine qualitative Veränderung des Wettbewerbs als eine quantitative – an der Zahl der Praxen habe sich durch die Übernahmen bislang ja nichts geändert.

Obwohl gerade das von Vorteil wäre. Nimmt doch die Zahl der potenziellen Patienten ständig zu. So wurden allein 2020 bundesweit rund eine Million mehr Haustiere angeschafft. Die Zahl der Tierärzte aber sinkt. „Das liegt allerdings nicht daran, dass wir zu wenige haben“, sagt Kramer. „Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels wollen auch viele junge Tierärztinnen nicht mehr 40 Stunden und mehr pro Woche arbeiten, sondern gestalten ihre Arbeitszeit und Freizeit neu.“

Für eine tiermedizinische Vollzeitstelle brauche es mittlerweile rechnerisch drei Veterinäre. Dies habe laut Unna und Kramer auch mit einer Feminisierung des Berufsstandes zu tun. Rund 85 Prozent der Studierenden der Tiermedizin sind Frauen. Bei ihnen sei aber etwa die Gründungsquote niedriger als bei Männern, zudem würden sich viele Frauen der Erziehung ihrer Kinder widmen und im Beruf nicht ankommen. Sowohl Färber als auch Kramer plädieren daher dafür, mehr Tierärzte auszubilden. Bislang gibt es bundesweit rund 1000 bis 1500 Studienplätze, die Zahl ist seit Jahren konstant. Die Zahl der Bewerber liegt aber mit 4000 deutlich höher. „Eigentlich bräuchten wir noch eine tiermedizinische Fakultät“, sagt Färber, „und die müsste sinnvollerweise in NRW liegen.“ In NRW gibt es bislang keine veterinärmedizinische Fakultät.

Färber weiß aber, dass es schwierig sein wird, dafür finanzielle Mittel im Landeshaushalt aufzubringen. Deshalb müsse seiner Meinung nach vor allen bei der Auswahl der Studierenden besser darauf geachtet werden, wer eine realistische Einschätzung von Tiermedizin hat und beabsichtige, den Beruf später wirklich ausüben zu wollen. „Wenn wir es nicht schaffen zu steuern, wer in den Studiengang hineinkommt, wird sich an der Personalsituation nichts ändern“, sagt Färber. Zwar glaubt DVG-Präsident Kramer, dass das System des Haustierarztes am Ende erhalten bleibt. Aus seiner Sicht ist es den Tierhaltern aber egal, wer die geliebten vierbeinigen Familienmitglieder verarztet. Hauptsache, jemand kümmert sich um sie. Nach den Kosten werde da nicht mehr gefragt. Kramer: „Für das Wohlbefinden ihres Tieres sind Halter bereit, jeden Preis zu zahlen.“