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Etwas weniger Kriminalität von Rechts in NRW

Trauer um Opfer von Hanau : Anschläge von Rechts in NRW rückläufig

Die Bluttat von Hanau könnte sich einreihen in eine grauenvolle Kette rechtsextremistisch motivierter Gewalt. „Wir müssen kämpfen“, fordert NRW-Ministerpräsident Laschet. In NRW registriert die Polizei allerdings etwas geringere Fallzahlen aus dem rechten Spektrum.

Das Gewaltverbrechen von Hanau hat auch in Nordrhein-Westfalen Bestürzung ausgelöst und den Ruf nach konsequenterer Bekämpfung rechten Terrors lauter werden lassen. „Wir geloben, alles Menschenmögliche zu tun, um rechtes Denken, Hetzen und Morden zu besiegen“, twitterte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Donnerstag. „Der Feind steht rechts! Er träufelt sein Gift in unsere Gemeinschaft. Wir müssen kämpfen“, schrieb Laschet weiter.

Am Mittwochabend hatte ein 43-jähriger Deutscher im hessischen Hanau zehn Menschen und sich selbst erschossen. Nach Angaben des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) gibt es Hinweise auf ein „fremdenfeindliches Motiv“. Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen Terrorverdachts.

Der stellvertretende NRW-Regierungschef und Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) sieht ein harte Bewährungsprobe für die Demokratie: „Wenn Freunde mit Einwanderungsgeschichte Angst in unserem Land haben, deprimiert mich dies zutiefst“, schrieb er bei Twitter. „Es darf keine Nachsicht mehr geben mit denen, die durch Ressentiments rechtsextremen Mördern den Weg bereiten.“

Ähnlich äußerten sich SPD, Grüne und der Landesintegrationsrat. Der Chef der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, teilte mit: „Das Schüren von Hass und Angst hat erneut zu Terror und Tod geführt.“ Der Anschlag von Hanau gehöre zu einer „inzwischen langen Reihe entsetzlicher und verabscheuungswürdiger Gewalttaten“.

Der Vorsitzende des Integrationsrats NRW, Tayfun Keltek, kritisierte: „Rassistische Aussagen und Denkweisen sind längst wieder salonfähig geworden.“ Eine „einseitige, negative Darstellung“ von Migranten und Muslimen ziehe sich wie ein roter Faden durch die Berichterstattung. „Bilder von "Sozialschmarotzern", Clankriminellen, Islamisten und Integrationsunwilligen werden beschworen. Das leistet der beängstigenden Entwicklung des Rassismus enormen Vorschub.“

Auch SPD-Landtagsfraktionschef Thomas Kutschaty kritisierte, Shisha-Bars seien stigmatisiert und „bewusst zur Polarisierung genutzt worden“. Es müsse „demokratischer Konsens sein, keine Ressentiments zu schüren und nicht dazu beizutragen, das Gift des Rassismus und Rechtsterrorismus zu verbreiten“.

Auch die AfD-Landtagsfraktion äußerte ihre Trauer und Erschütterung. Die Parteispitze der NRW-Grünen unterstrich: „Die geistigen Brandstifter sitzen nicht nur vorm heimischen Computer, sie sitzen auch in Parlamenten.“

Die Türkisch-Islamische Union Ditib hat den mutmaßlich rechtsradikalen und rassistischen Anschlag in Hanau als Angriff auf Migranten und Muslime verurteilt. Die „seelische, emotionale und gesellschaftliche Verwundung“ nach dem tödlichen Terror sei schwer, betonten der Ditib-Bundesverband und der Landesverband Hessen in einer gemeinsamen Erklärung. „Sie trifft Migrantinnen und Migranten, Musliminnen und Muslime bis ins tiefste Mark.“

In den letzten Jahren sei es für die Moscheegemeinden in Deutschland „immer unerträglicher“ geworden, kritisierte der größte Islamverband in Deutschland. In Politik und Gesellschaft seien „rassistische und antimuslimische Statements unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit probates Mittel zur Stimmungsmache“ geworden. Es habe zahlreiche Attacken gegen Muslime gegeben. Nach einer jüngsten Serie von Bombendrohungen stehe man vor dem „traurigsten anzunehmenden Höhepunkt einer gesellschaftlichen Entgleisung“.

Die Ditib forderte: „Die Sicherheitsbehörden sind nun in besonderer Verantwortung, das empfindlich gestörte gesellschaftliche Sicherheitsempfinden wieder herzustellen.“ Neun der zehn Opfer des Todesschützen haben nach Angaben aus Sicherheitskreisen einen Migrationshintergrund, einige sollen türkische Staatsbürger sein.

Nach vorläufigen Daten des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes ist die politisch motivierte Kriminalität aus der rechten Szene in NRW 2019 allerdings leicht zurückgegangen. Demnach sank die Zahl der Verdachtsfälle im Vorjahresvergleich um 135 auf 3632 registrierte Vorkommnisse. Das geht aus einer Antwort von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Verena Schäffer hervor.

Die Zahl der Gewalttaten mutmaßlicher rechter Krimineller ging demnach sogar um gut 30 Prozent auf 151 Verdachtsfälle zurück. Davon sind 133 Körperverletzungsdelikte; 65 Personen wurden verletzt.

Anlass zur Entwarnung sieht Schäffer in den Zahlen nicht. Sollte sich bei der Bluttat von Hanau ein rechtsextremes Motiv bestätigen, zeige sich erneut, „welch große Bedrohung vom Rechtsextremismus für unsere demokratische Gesellschaft ausgeht“, warnte sie.

Die Zahl islamfeindlicher Verdachtsfälle in NRW stieg nach Angaben des Innenministeriums um rund zwölf Prozent auf 174, die der flüchtlingsfeindlichen Vorkommnisse sogar um über 30 Prozent auf 223. Die registrierten Deliktzahlen im Bereich „Hasskriminalität“ gingen dagegen um rund elf Prozent auf knapp 1300 zurück - im gleichen Umfang auch bei antisemitischen Straftaten auf 310 mutmaßliche Straftaten.

In den weitaus meisten Fällen wird nach Angaben des Innenministers niemand verurteilt - häufig, „weil ein Täter nicht ermittelt werden konnte“. Insgesamt seien 2019 von den Staatsanwaltschaften in NRW in 5240 Fällen Ermittlungsverfahren wegen politisch rechts motivierter Straftaten eingeleitet worden.

Nur in 461 solcher Verfahren sei es im vergangenen Jahr zu einer Verurteilung gekommen, 4574 mal hingegen zur Einstellung der Ermittlungen - in fast der Hälfte dieser Fälle, weil kein Täter ausfindig gemacht werden konnte. Die Orte mit den meisten rechts motivierten Verdachtsfällen waren Köln (243), Düsseldorf (234), Dortmund (187), Essen (159) und Bonn (140).

(dpa)