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Mini-Einstein-Teleskop: Ein Prototyp für den Blick ins Weltall

Mini-Einstein-Teleskop : Ein Prototyp für den Blick ins Weltall

In Maastricht entsteht ein kleines Modell des geplanten Einstein-Teleskops – also der Prototyp des Milliardenprojekts. Das wiederum soll, wenn es gut geht, in der Euregio gebaut werden.

Nichts deutet außen darauf hin, dass hier bald Spitzenforschung betrieben wird. Das Gebäude in Maastricht, im Volksmund „schwarze Dose“ genannt, fällt im Schatten des Veranstaltungszentrums MECC kaum ins Auge. Erbaut wurde es einst als Sitz einer Tageszeitung, momentan wird es von der Universität genutzt und soll künftig der Sitz des ET Pathfinder sein.

Die Chancen stehen gut, die Entscheidung trifft die EU wahrscheinlich 2022. Für das eigentliche Einstein-Teleskop sind derzeit noch zwei Standorte im Gespräch, die italienische Mittelmeerinsel Sardinien und das Dreiländerdreieck Lüttich/Maastricht/Aachen. Geologisch geeignet sind beide Standorte. Für Sardinien spricht, dass dort weniger menschliche Aktivitäten stattfinden (und somit weniger Störquellen für die empfindlichen Messgeräte auszuschalten sind), für die Euregio die bessere wissenschaftliche und technologische Infrastruktur.

„Wir machen hier ein europäisches Projekt, keine 500 Meter von dem Ort entfernt, wo der europäische Vertrag unterzeichnet worden ist“, sagt Professor Stefan Hild, der Leiter von ET Pathfinder. Es ist eine Art Miniaturmodell für die Technik, mit der später in einer gewaltigen unterirdischen Versuchsanordnung gearbeitet werden soll.

Präzise Messanordnungen

Untersucht werden Gravitationswellen, die Aufschluss über die Entstehung des Universums geben können. Dafür sind äußerst präzise Messanordnungen notwendig, für die teilweise neue Techniken entwickelt werden müssen. In 20 Meter langen Behältern werden im ET Pathfinder Laserstrahlen durch Spiegel hin- und hergeschickt. Normalerweise treten dabei keine Abweichungen auf, aber durch die Kollision beispielsweise zweier schwarzer Löcher im Universum können winzige Abweichungen entstehen, durch Krümmungen der von Einstein 1915 vorhergesagten Raumzeit.

Das klingt kompliziert, ist es auch, führt aber zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Entstehung des Weltalls. Hild: „Das Universum ist wie ein Geschichtsbuch. Mit dem Einstein-Teleskop können wir bis an seinen Rand schauen.“ Maximal also 13,8 Milliarden Jahre, zu diesem Zeitpunkt hat nach vorherrschender Theorie der Urknall, der Big Bang, stattgefunden.

Prototyp für den Prototyp: Prof. Stefan Hild umfasst ein Miniaturmodell des ET Pathfinder.
Prototyp für den Prototyp: Prof. Stefan Hild umfasst ein Miniaturmodell des ET Pathfinder. Foto: Henrik Hautermans

Im Prinzip müsse man sich die Entstehung dieser Gravitationswellen beim Aufeinandertreffen zweier Schwarzer Löcher vorstellen wie das Werfen eines Steins in einen See, der ja ebenfalls Wellen schlägt, sagt Hild. Nur ist es sehr viel schwieriger, diese Wellen aus dem Weltall aufzufangen und darzustellen. Dafür braucht es Detektoren mit ungeheurer Präzision, und mit deren Hilfe hat es denn auch Jahrzehnte gedauert, bis der Nachweis 2015 gelang.

Schon als Student in Hannover wurde Hild, geboren in Celle („Ich stamme aus einer Physikerfamilie, mein Großvater hat bei Professor Hans Geiger promoviert.“), vom charismatischen Experimentalphysiker Professor Karsten Danzmann an den Nachweis von Gravitationswellen herangeführt. Weil die Mittel in diesem Forschungsbereich im Zuge der deutschen Einheit knapp wurden, baute er quasi mit eigenen Händen als Hilfswissenschaftler mit an einem Detektor der ersten Generation, strich Wände, legte Bodenplatten und baute Scheiben ein, um so den GEO600 zu schaffen, den ersten deutschen Gravitationswellendetektor. „Jeden Tag haben wir 2000 Wellen gesehen.“ Doch meist stellte sich heraus, dass diese aus der Nordsee stammten, sie waren buchstäblich an den Strand geschwappt: „Gravitationswellen zu messen, ist unglaublich schwer.“

So hat es Falschmeldungen über die angebliche Jahrhundertentdeckung bereits in den 1960er Jahren gegeben, die aber wieder zurückgezogen wurden: „Danach wurden alle sehr vorsichtig.“ Überhaupt ist der Nachweis der Gravitationswellen, die auch seinem Mentor Danzmann gelang, einem einzelnen Forscher kaum möglich: „Die einzige Möglichkeit, die man hat, ist, wenn man die Daten von einem Detektor auf einem Kontinent mit den Daten von einem anderen Kontinent vergleicht und die dieselben Ergebnisse zeigen.“

Erst dann sei sicher, dass die Spuren aus dem Kosmos stammten. Als 2017 die Fusion von zwei Neutronensternen beobachtet wurde, waren neben allen Gravitationswellenwissenschaftlern der Welt auch ein Drittel aller Astronomen beteiligt, zusammen 4000 Menschen: „Das ist fantastisch.“ Großverbünde Hunderter oder sogar Tausender Wissenschaftler seien zwangsläufig auf Zusammenarbeit angewiesen, Hild bezeichnet das als „freundliche Konkurrenz“: „Man muss den anderen vertrauen.“ Dieser soziologische Aspekt der „Big Community“ sei ihm sehr wichtig.

Wegen Brexit nach Deutschland

Nach seiner Promotion erhielt Stefan Hild verschiedene Angebote, etwa vom MIT in den USA, entschied sich aber zunächst für die Universität in Birmingham und später für die Universität in Glasgow, wo er eine feste Anstellung als Juniorprofessor bekam und sich mit den im Lauf der Zeit geborenen zwei Kindern in der wunderbaren Landschaft wohl fühlte. In Schottland wäre er wohl auch jetzt noch, gäbe es nicht den Brexit und die Pläne für das Einstein-Teleskop. Die Unsicherheit in der politischen Entwicklung Großbritanniens wurde ihm zu groß: Was wäre, wenn sein inzwischen 77-jähriger Vater pflegebedürftig würde oder die Kinder im Ausland studieren wollten?

Außerdem reizte die Aufgabe beim Einstein-Teleskop. Das führt die Forscher nämlich in eine neue Dimension von Forschung, Fragen und Herausforderungen. Die als Triangel mit einer Kantenlänge von zehn Kilometern Länge in 200 bis 300 Metern unter der Erde verlegten Röhren und die durch sie geschickten Strahlen ermöglichen das Eindringen in die Tiefen des Universums, die bisherigen Forschungseinrichtungen waren nicht einmal halb so groß, ihre Genauigkeit und Empfindlichkeit wesentlich geringer. Um andere Wellen zu erfassen, müssen völlig neue Wege beschritten werden, etwa ultramoderne Laser oder neue Vakuumsysteme entwickelt, riesige Mengen von Daten ausgewertet werden.

Und ET Pathfinder, das Miniaturmodell so groß wie eine ganze Lagerhalle, ist nicht nur der Übergangsprototyp, der beim Start des Riesenprojekts wieder abgebaut wird, sondern das Forschungslabor, in dem neue Techniken entwickelt und angewendet werden. Einmal geht es um Messungen bei großer Kälte (bis zu minus 260 Grad, knapp über dem absoluten Nullpunkt), bei denen Glas für die notwendigen Spiegel kein geeignetes Material ist.

Silizium ist nun das Mittel der Wahl, das ist nun mal nicht durchsichtig und macht physikalisch einen Riesenunterschied: „Wir müssen von vorne anfangen.“ Das gleiche gilt für die künftig zu verwendenden Laserstrahlen, ganz zu schweigen von den Quantentricks, die die im Zuge der Heisenbergschen Unschärferelation auftretenden Probleme im Messprozess ausräumen sollen. Doch das sind Details für Fortgeschrittene.

Ist einem Gravitationswellenwissenschaftler, der sich mit Milliarden von Jahren, unfassbaren Entfernungen, Schwarzen Löchern, Neutronensternen oder dem Urknall beschäftigt, egal, wenn beispielsweise ein Mitarbeiter sich eine Viertelstunde beim Dienstantritt verspätet, geht er anders mit Zeit um? Stefan Hild winkt ab: „Die Zahlen sind so riesengroß, dass man sie sich im Alltag nicht vorstellen kann.“ Um nach kurzem Zögern hinzuzufügen: „Wenn man nachts die Milchstraße sieht, ist das ein erhabener Moment, in dem man sich sehr klein vorkommt.“

Bewusst hat er sich nun für einen Wohnsitz in Deutschland entschieden, damit seine Kinder sich nicht (neben Englisch und Deutsch) mit noch einer dritten Sprache herumplagen müssen und auf eine öffentliche Schule gehen können. In Herzogenrath wohnt der Wissenschaftler jetzt auf dem Land, mit Blick auf den idyllischen Kirchturm und einen Pferdestall mit Misthaufen: „Für mich privat finde ich das super.“

Hild ist sicher, dass die nächsten Jahre spannend werden. Sein Antrieb? „Wir wollen die urmenschlichen Fragen beantworten. Wo kommen wir her, wo gehen wir hin?“