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Köln: Die Kölner Silvesternacht und ihre Folgen: 100 Tage nach dem Schock

Köln : Die Kölner Silvesternacht und ihre Folgen: 100 Tage nach dem Schock

Eine Silvesternacht wühlt ein Land auf. Hunderte Übergriffe auf Frauen in Köln, begangen mutmaßlich vor allem von Männern nordafrikanischer Herkunft und trotz Anwesenheit der Polizei - haben ein Beben ausgelöst.

Die Erschütterungen reichen weit über die Domstadt und Nordrhein-Westfalen hinaus. Die Ausschreitungen haben international Entsetzen hervorgerufen. Im Bund sind Verschärfungen im Asyl- und Sexualstrafrecht auf den Weg gebracht. In NRW durchleuchtet ein Untersuchungsausschuss des Parlaments die Vorfälle. Ermittler arbeiten auf Hochtouren. Das Klima hat sich verändert. Eine „Spaltung in unserer Gesellschaft” befürchten nicht nur prominente Kölner wie Schriftsteller Navid Kermani, Musiker Wolfgang Niedecken oder Kardinal Rainer Woelki.

Was ist passiert in der Horrornacht vor hundert Tagen? Frauen waren am Hauptbahnhof massenhaft von Männergruppen - Opfern und Zeugen zufolge nordafrikanisch oder arabisch aussehend - umzingelt, sexuell bedrängt, bestohlen worden. Auch in anderen Städten kam es zu Attacken, aber nicht in der zuvor ungekannten Dimension wie in Köln.

Nach einem Bericht des Innenministeriums hat die Kölner „Ermittlungsgruppe Neujahr” bis Ende März 1527 Straftaten mit 1218 Opfern erfasst - etwa die Hälfte von ihnen wurden Opfer von Sexualdelikten. 185 von 529 Opfern zeigten gleichzeitig mit der Sexualstraftat auch ein Diebstahlsdelikt an. Dazu wurden bislang 153 Tatverdächtige ermittelt, darunter 149 Ausländer - viele von ihnen Asylbewerber und Migranten mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus. Die meisten stammen aus Marokko und Algerien.

Drei Täter - Asylbewerber aus Nordafrika - wurden wegen Diebstahls zu Bewährungsstrafen verurteilt, ein vierter Schuldspruch folgte gerade. Wegen sexueller Nötigung ist in Köln bisher erst ein Verdächtiger (Algerier) angeklagt. In Düsseldorf muss sich jetzt ein Marokkaner wegen sexueller Belästigung verantworten.

Das Image der Millionenstadt hat gelitten. „Wir haben uns unmittelbar bemüht, dem durch schnelles und entschiedenes Handeln in Sachen Sicherheit und nachhaltige Maßnahmen entgegenzuwirken”, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) der dpa. „Das hat dazu beigetragen, Vertrauen zurückzugewinnen.”

Im Land ist vor allem NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) unter Druck - auch wenn Rücktrittsforderungen der Opposition inzwischen verstummt sind. Jäger sieht die Fehler bei der Polizeiführung. Er schickte Kölns Polizeipräsidenten Wolfgang Albers in den vorzeitigen Ruhestand. Mit dem Praktiker Jürgen Mathies an der Spitze soll ein Neuanfang gelingen. Die Polizei in NRW bekommt mehr Personal. Und der Untersuchungsausschuss soll Licht ins Dunkel bringen. Auch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) wird wohl aussagen müssen.

Tagelang schwieg sie, das Bild der „Kümmerin” bekam Kratzer. Heute räumt Kraft ein: Dass sie erst später vor die Kameras trat und zunächst nur einer Zeitung ein Statement gab, sei nicht ausreichend gewesen. Mit Blick auf den Ausschuss sagte sie der Deutschen Presse-Agentur: „Es ist gut, dass wir wegkommen (...) von der Suche nach dem einen Schuldigen und die Abläufe genau analysieren. Dabei zeigt sich: Es gab vor Ort eine Verkettung von falschen Einschätzungen und fehlender Abstimmung.”

Die Folgen im Bund: Ende Februar beschloss der Bundestag eine Verschärfung des Asylrechts, mit dem auch das Ausweisen straffälliger Ausländer erleichtert werden soll. Das Kabinett schob zudem eine Verschärfung des Sexualstrafrechts an, um Opfer künftig besser zu schützen.

Integrationsexpertin Lale Akgün fordert: „Ein Einwanderungsland muss klare Regeln haben.” Eine laute: „Patriarchat und seine Auswüchse werden nicht geduldet.” Es sei falsch, „kulturelle Besonderheiten” mit Nachsicht zu behandeln, so die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. Phänomene wie „Vielweiberei” oder Gewalt gegen Frauen und Kinder bei zugewanderten Männern dürften keinesfalls weiter geduldet werden.

(dpa)