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LKA-Chef Frank Hoever im Interview: „Die Frage lautet nicht, ob etwas passiert, sondern wann etwas passiert”

LKA-Chef Frank Hoever im Interview : „Die Frage lautet nicht, ob etwas passiert, sondern wann etwas passiert”

Das Landeskriminalamt in Nordrhein-Westfalen baut ein eigenes Terrorabwehrzentrum auf, in dem Fälle möglicher Gefährder einzeln besprochen werden. Das sagte der Leiter des LKA, Frank Hoever, gegenüber unserer Zeitung. Im Januar solle die neue Koordinierungsstelle ihre Arbeit aufnehmen. Juliane Kinast sprach mit Hoever über weitere Herausforderungen im Land: Organisierte Kriminalität und Clans. Doch er hat auch gute Nachrichten: Die Einbruchszahlen gehen massiv zurück.

Herr Hoever, Sie haben in Ihrer Polizeilaufbahn viele Jahre lang Organisierte Kriminalität (OK) bekämpft. Nach fast einem Jahr an der Spitze des Landeskriminalamtes: Wo sehen Sie in diesem Bereich die großen Herausforderungen in Nordrhein-Westfalen?

Frank Hoever: Natürlich Rockerkriminalität, natürlich Clankriminalität – das sind die wesentlichen Punkte, die uns beschäftigen. Das Thema italienische OK ist aber auch nach wie vor eines. Kennzeichnend ist für Organisierte Kriminalität, dass man sich mit Feldern auseinandersetzt, in denen in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu verdienen ist – und das mit geringem Risiko. Im Falle der Clans haben wir die gesamte Palette dessen, was denkbar ist – das geht bei unverzolltem Tabak in Shisha-Bars los, Betrug mit falschen Polizeibeamten, die ältere Menschen um ihr Erspartes bringen, und natürlich alles, was sich um Rotlicht rankt.

Sind die Clans die große neue Herausforderung in NRW?

Hoever: Das kann man sagen. Weil wir, wie ich glaube, viel zu lange nicht genug gemacht haben.

Das heißt, das Stichwort Clans wurde weggedrückt?

Hoever: Ja, schon. Natürlich auch unter diesem Gesichtspunkt „ethnic profiling“. Aber da gibt es mittlerweile eine deutlich andere Ausrichtung. Wir haben uns im LKA dem Thema mit dem Projekt KEEAS gewidmet – heißt etwas sperrig: Kriminalitäts- und Einsatzbrennpunkte geprägt durch ethnisch abgeschottete Subkulturen. Das wird in unserer Abteilung Organisierte Kriminalität geführt, eingebunden waren Experten aus Berlin und Bremen, die erhebliche Probleme mit Clankriminalität haben, aber auch aus Dänemark und Schweden.

Es sollte auch ein Lagebild Clankriminalität für NRW geben. Liegt das vor?

Hoever: Nein, es ist noch nicht veröffentlicht. Der Überblick, um wie viele kriminelle Großfamilien es geht, ist schwierig. Das können wir abschließend noch nicht sagen. Wir haben zum Teil für einen Familiennamen 15 mögliche Schreibweisen in unseren Datenbeständen – und es sind ja auch nie alle Familienmitglieder kriminell. Was wir wissen, ist, dass es sehr abgeschottete Gemeinschaften sind, bei denen die Familie das tragende Element ist, dass sie den Staat und seine Regeln ablehnen und eine Paralleljustiz schaffen. Dadurch kommt es bei Konflikten immer wieder zu Tumulten mit Clanmitgliedern, die hoch aggressiv und absolut respektlos sind.

Wir hatten vor einigen Wochen den Fall, wo eine Kollegin vor einer Shisha-Bar in Essen zu Fall gebracht und gegen den Kopf getreten wurde – das war eine üble Geschichte. Und prägend für diese Clans. Deshalb müssen wir sehr niederschwellig einschreiten auch schon bei Ruhestörungen – um klar zu machen, wer hier das Sagen hat. Insbesondere in Essen, Dortmund, Duisburg, Gelsenkirchen und Recklinghausen – den Hochburgen der kriminellen Großfamilien – treffen wir massive Maßnahmen etwa zur Kontrolle von Shisha-Bars oder in der Rapperszene, wo Texte für Ansagen gegen andere Clans genutzt werden. Aber es gibt auch Vorfälle in kleineren Landratsbehörden – so vor einigen Wochen im Bereich der Polizeibehörde Mettmann ein Aufeinandertreffen von Clans und Rockern.

Eine weitere große Herausforderung für die Sicherheit in NRW ist das Thema Islamismus. Nach dem Fall Amri wurde viel darüber diskutiert, ob der Staat früher hätte eingreifen müssen. Glauben Sie, wir haben aus dem Fall gelernt? Sind wir sicher?

Hoever: Die Frage lautet nicht, ob etwas in NRW passiert, sondern wann etwas passiert. Das müssen wir leider so nüchtern sehen. Aber wir tun alles, um das zu verhindern. Und da kommt der Früherkennung eine besondere Bedeutung zu. Es ist unsere absolut herausragende Herausforderung bei der Polizei, eingebunden sind aber auch Psychologen und Islamwissenschaftler. Wir haben im LKA eine „Koordinierungsstelle Gefährder“ eingerichtet, wo wir aktuell eine Aufsichtsfunktion über die Kreispolizeibehörden ausüben. Ziel ist es, Gefährder entweder in Haft zu bringen oder auszuweisen.

Durch die Koordinierungsstelle wird von allen Behörden, die mit einer Person zu tun haben, zusammengetragen, was wir wissen, damit wir ein ganzheitliches Bild von dem Gefährder haben. Das war ein Punkt bei Amri, wo ich sage, wir waren in NRW nicht hundertprozentig aufgestellt: Es gab ja verschiedene Straftaten, die aber nie so gebündelt bearbeitet wurden, dass ein Ermittler über alles drübergeguckt und die Verantwortung gehabt hätte. Das ist jetzt anders: Wir bekommen als erstes Landeskriminalamt in Deutschland eine eigene Abteilung Terrorismusbekämpfung.

Was bedeutet das konkret?

Hoever: Wir bauen die Koordinierungsstelle Gefährder weiter aus. Zudem bekommen wir ein eigenes GTAZ NRW – quasi als kleiner Bruder des Terrorabwehrzentrums in Berlin, wo die Fälle einzeln besprochen werden. Wir verändern darüber hinaus die Fallbearbeitung: Wir übernehmen im LKA die Sachbearbeitung für die kleine Gruppe der „High-Risk-Fälle“. Dann gibt es sechs große Polizeibehörden – Köln, Düsseldorf, Dortmund, Essen, Bielefeld und Münster –, die die aktionsfähigen Gefährder in den Blick nehmen. Wir wollen, dass es ein Gesicht gibt, das für einen Gefährder verantwortlich ist und alles über ihn weiß. Und einheitliche Standards für die Sachbearbeitung. Zumindest für NRW. Ansonsten ist Deutschland ja ein Flickenteppich bei den rechtlichen Voraussetzungen – etwa bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Es gab schon den Fall, wo ein Gefährder von Bayern nach Norddeutschland umgezogen ist und plötzlich war es vorbei mit den Maßnahmen. Das darf nicht sein.

Wie sieht der Zeitplan für diese neue Abteilung aus?

Hoever: Eine Arbeitsgruppe wurde eingerichtet, die jetzt Standards erarbeitet. Und wir suchen das Personal – wir bekommen also Zuwachs. Im Januar, so die Überlegung, wollen wir beginnen.

Ein ganz anderes Thema: Lange war die Bevölkerung in NRW besonders belastet durch Rekordzahlen bei den Einbrüchen. Und über Jahre hieß es, da könne die Polizei fast nichts tun, weil die Banden so mobil und international tätig seien. Jetzt sinken und sinken die Fallzahlen. Wieso das?

Hoever: Ganz ehrlich ist es wohl so, dass die derzeit verstärkte Grenzkontrolle und die nicht mehr ungehinderte Durchreise vom Balkan ein entscheidender Faktor ist. Es kommen einfach weniger von den sehr aktiven, hochqualifizierten Tätern. Ich glaube aber auch, das was konzeptionell möglich war, haben wir ausgereizt. Das kann ich aus Polizeibehörden, aus dem Ministerium und auch hier im LKA sagen. Wir haben eine Qualitätsoffensive ins Leben gerufen, bei der wir in die Kreispolizeibehörden fahren, kleine Inspektionen der Arbeit durchführen und auch Vergleiche unter den Behörden anstellen.

Unser LKA-Projekt „Motiv“ gegen mobile Banden mit einer zentralisierten Sachbearbeitung hat Vorbildcharakter, wurde von der Innenministerkonferenz auch anderen Bundesländern empfohlen. Und natürlich machen wir präventiv viel – die Versuchsquote bei Einbrüchen hat sich immer weiter erhöht und liegt aktuell bei 46 Prozent. Aber auch die Fallzahlen generell sinken weiter – auch dieses Jahr werden wir wohl mehr als 20 Prozent Rückgang haben.