Aufenthaltstitel für Geflüchtete : „Der Bund steht da quer im Stall“
Interview Düsseldorf Die NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) spricht über die Kosten der Flüchtlingsunterbringung, Altschulden der Kommunen und die Folgen der Pandemie für die Städte und Gemeinden.
Frau Scharrenbach, die NRW-Kommunen beklagen, dass sie sich in Sachen Flüchtlinge alleingelassen fühlen. Haben Sie Verständnis?
Ina Scharrenbach: Wir brauchen dringend eine schnelle Klärung der Flüchtlingsfinanzierung zwischen dem Bund und den Ländern. Viele Kommunen zahlen den Flüchtlingen jetzt eigenverantwortlich erst einmal ein Handgeld, damit diese klarkommen – und gehen damit ins Risiko. Aber es stellen sich auch längerfristige Fragen nach Kindertageseinrichtungen, Schulen und Wohnungen. Deswegen ist jeder zusätzliche Tag ein Tag zu viel.
Wie stark ist der Bund da in der Pflicht?
Scharrenbach: Der Bund legt ja fest, wie das Ganze bezahlt wird. Ob nun nach Asylbewerberleistungsgesetz oder Sozialgesetzbüchern. Letzteres würde ich bevorzugen, weil wir dann mehr Möglichkeiten hätten, den Menschen Hilfestellung zu geben.
Die Bundesagentur für Arbeit rechnet damit, dass 50 Prozent der Geflüchteten gut ausgebildete Fachkräfte sind. Deckt sich das mit Ihren Erkenntnissen?
Scharrenbach: Wir hören das aus allen Städten und Gemeinde, ob nun von Bürgermeistern oder Handwerksbetrieben, dass die Arbeitskräfte herzlich willkommen sind. Deshalb ist es völlig unverständlich, dass sich der Bund derart behäbig zeigt. Die Menschen brauchen einen vorübergehenden Aufenthaltstitel, um arbeiten zu dürfen. Ich habe schon mal bei der Bundesregierung gefragt, ob sich da nicht eine pauschale Regelung finden lässt. Der Bund steht da aber quer im Stall. Nichts hilft besser bei der Integration als ein Job. Das Aufenthaltsgesetz ließe sich durchaus auch anpassen, wenn man denn will. Wir sollten doch wirklich aus 2015 gelernt haben.
Die Kommunen stehen langfristig vor der gewaltigen Aufgabe, Kita- und Schulplätze und Wohnraum zu schaffen. Wie will das Land dort unterstützen?
Scharrenbach: Wir wissen noch nicht genau, wie lange die Menschen wirklich bleiben wollen bzw. werden. Es gibt Meldungen aus den Kommunen, dass erste Menschen schon wieder in die Ukraine zurückfahren sind. Das macht die Planung sehr schwierig. Bei Kitas und Schulen müssen wir mit dem Bund über die Finanzierung von Investitionen reden. Am Ende kommt es allen zugute. Wir bauen keine ukrainischen Kitas oder Schulen. Beim Thema Wohnen haben wir derzeit zwei Ansätze: Wir schaffen Flüchtlingsunterkünfte. Das wird über die Kfw mit bundesweit 500 Millionen und die NRW-Bank mit landesweit 400 Millionen für 2022 und 2023 finanziert. Eigentlich sind wir uns aber alle einig, dass wir Frauen und Kinder nicht lange in den Unterkünften lassen wollen. Deshalb arbeiten wir daran, gezielt über die öffentliche Wohnraumförderung, Wohnungen ankaufen zu können oder zumindest leerstehenden Wohnräume mobilisieren zu können.
Wie funktioniert denn Ihre digitale Wohnraumkarte?
Scharrenbach: Stand 31. März hatten wir 900 vermietungsfähige Wohnungen. Das wird aber noch einmal mehr werden, weil wir in der vergangenen Woche die Karte auch für die Mitglieder von Haus und Grund geöffnet haben. Wenn wir das System komplett übernehmen, kann es noch mal deutlich gesteigert werden. Wichtig ist, dass wir das ganze über die Städte steuern. Da gehen andere Länder einen anderen Weg.
Vor allem die Kommunen, die unter Altschulden ächzen, dürften mit den Flüchtlingsströmen Probleme bekommen. Müssen Sie nicht selbstkritisch sagen: Bei der von Ihnen versprochene Lösung der Altschulden haben Sie nicht geliefert?
Scharrenbach: Wir hatten und haben mit Corona eine nicht vorhersehbare Pandemie, die Bund, Länder und Kommunen vor große Herausforderungen gestellt hat. Wir haben einen Rettungsschirm in Höhe von 25 Milliarden Euro aufgelegt, der ja auch zurückgezahlt werden muss. Wir haben aber ins Wahlprogramm der CDU geschrieben, dass wir eine Lösung finden wollen, die sowohl die Entschuldung, als auch das Thema Investitionen in den Blick nimmt. Statt der vielen Einzelförderprogramme brauchen wir ein schlankes Programm für alles. Die bauliche Flickschusterei muss ein Ende haben. Es geht darum, dass die Kommunen vor Ort selbst am besten wissen, was sie brauchen: neue Schulen, neues Rathaus oder eben die Ablösung der Kassenkredite.
Mit welchem Volumen?
Scharrenbach: Auf jeden Fall eine ordentliche Summe, wenn man sowohl die Altschulden als auch die Investitionen adressieren will.
Zahlreiche OBs des Aktionsbündnisses „Für die Würde unserer Städte“ wollen am Mittwochmorgen vor dem Landtag demonstrieren. Werden Sie mit Ihnen dort ins Gespräch kommen?
Scharrenbach: Ich spreche regelmäßig mit allen 427 Hauptverwaltungsbeamten in NRW. Wenn die Plenarordnung es zulässt, werde ich die Gelegenheit vor dem Landtag aber gerne nutzen.
Der Stärkungspakt Stadtfinanzen ist ausgelaufen. Wieso setzen Sie das Programm nicht fort?
Scharrenbach: In den letzten Jahren haben wir die Gemeindefinanzierung gestärkt. 2017 haben die kommunalen Haushalte erstmals in der Summe eine schwarze Zahl geschafft. Seitdem steigt der Anteil der Investitionen. Die Kassenkredite gehen kontinuierlich zurück – selbst im Corona-Jahr 2021. Die Gewerbesteuereinnahmen 2021 sind sogar besser als 2019, also auf einem Vor-Corona-Niveau. Wir haben zudem als Land NRW viel Geld in die Städte umgeleitet. Allein der Landeshaushalt 2022 geht zu 34,3 Prozent an die Städte und Gemeinden. Das zeigt: Die Landesregierung steht an der Seite unserer Städte und Gemeinden.
Um sich zu entschulden, haben aber viel Kommunen massiv die Grundsteuer B erhöht und freiwillige Leistungen gestrichen.
Scharrenbach: Stimmt so nicht. Wir haben keine massiven Steuererhöhungen gesehen. Aber Sie haben recht: Es gibt noch einige Städte mit drückender Altschuldenproblematik. Wir müssen das Thema deshalb in der nächsten Legislaturperiode angehen, bevor die EZB die Zinsen im Zuge der Inflationsbekämpfung erhöht.
Wie ist der Stand bei den in den kommunalen Haushalten ausgegliederten Corona-Kosten?
Scharrenbach: Bislang liegen uns nur die Daten von 2020 vor. Damals haben von den 427 Gebietskörperschaften 157 die Corona-Kosten isoliert. Das sind 760 Millionen Euro für 2020. Und wir müssen uns die Werte für 2021 anschauen. Wir werden dann bei Bedarf als Land die Kommunen noch einmal zusätzlich entlasten. Denn die Folgekosten des Kriegs in der Ukraine werden ja auch noch einmal für zusätzliche Belastungen sorgen: Kommunen mit Automobilzulieferern sagen jetzt schon, dass die Gewerbesteuervorauszahlung herabgesetzt werden.
All dies klingt nicht danach, als könnten die Kommunen bei der Bewältigung der Zukunftsprobleme aus dem Vollen schöpfen.
Scharrenbach: Die Kommunen müssen alles gleichzeitig erledigen: Klimaanpassung, Veränderung von Stadtentwicklung, Mobilität, Digitalisierung und Co. Deshalb müssen die Verwaltungen auch bereit sein, lieb gewonnene Zöpfe abzuschneiden. Gemeinsam mit den Städten und Gemeinden wollen wir deshalb die „Kommune 2030“ entwickeln.
Was meinen Sie damit konkret?
Scharrenbach: Wir müssen effizienter in der Verwaltung werden. Nehmen Sie das Thema Baugenehmigungen: Immer noch laufen da zu viele Schritte nacheinander ab. Wieso setzen wir die Mitarbeiter der verschiedenen beteiligten Behörden nicht an einen Tisch mit dem Bauherrn und dem Architekten? Statt unnütz Papier hin- und herzuschicken, sollten wir für gegenseitiges Verständnis sorgen.
Sie sind mitten im Wahlkampf. Was wäre Ihre Wunschkoalition?
Scharrenbach: Da bin ich offen. Die CDU-geführte Landesregierung hat in den vergangenen fünf Jahren NRW wieder auf Kurs gebracht. Wir haben etwa die Sicherheit erhöht, den Wohnungsbau angekurbelt, Land und Stadt wieder versöhnt. Die Richtung müssen wir halten. Deshalb werbe ich dafür, dass die CDU wieder mit dem Regierungsauftrag von den Wählerinnen und Wähler beauftragt wird.
Wie schwierig kann die Causa Ursula Heinen-Esser im Wahlkampf werden?
Scharrenbach: Die Kollegin Heinen-Esser ist eine absolut integre Person. Sie arbeitet rund um die Uhr. Das ist das Entscheidende. Und die Opposition, die sich jetzt moralisch über sie erhebt, versucht ihr weiter krampfhaft Fehler anzudichten. Wir müssen auch in der Politik wieder dahinkommen, dass eine Entschuldigung etwas zählt.