Haupt- und Realschüler unter Druck : Das Abi wird zum Nadelöhr
Düsseldorf Haupt- und Realschulabsolventen in NRW haben laut einer Studie immer größere Schwierigkeiten, eine Lehrstelle zu finden.
NRW hat in Sachen Bildung zwar aufholen können, doch das bevölkerungsreichste Bundesland steht vor immensen Problemen, die schnelles Handeln erfordern. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, die unserer Redaktion vorliegt.
Auf der Habenseite kann NRW demnach verbuchen, dass mehr unter Dreijährige und auch ältere Kinder in die Kita gehen, dass sich der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen, leicht verringert hat und sich die Schulleistung der 15-Jährigen gegenüber der letzten Erhebung zu Beginn des Jahrzehnts verbessert hat.
Dem gegenüber stehen jedoch gravierende Probleme. So ist es für Haupt- und Realschulabsolventen in NRW im bundesweiten Vergleich ungleich schwieriger, eine Lehrstelle zu bekommen: „Das Abitur ist der einzige Schulabschluss, der mit Sicherheit eine Zukunftschance eröffnet. Für alle anderen Abschlüsse gilt das nur mit erheblichen Einschränkungen, auch und gerade in NRW“, schreiben die Autoren um den Soziologen Dieter Dohmen.
In NRW beginnen demnach 60 Prozent der Real- und Hauptschulabsolventinnen und ein Drittel derjenigen ohne Abschluss eine Ausbildung, während dieser Wert bundesweit bei 90 Prozent liege. Gleichzeitig beginnen 55 Prozent der Abiturienten in NRW eine Ausbildung, bundesweit sind es nur 45 Prozent. Zugleich hat sich die Zahl der Plätze verringert. Auch das spielt Bewerbern mit einem höheren Abschluss in die Hände. Der Übergang von der Schule in die Ausbildung werde zu einem immer enger werdenden Nadelöhr, so die Autoren.
Probleme diagnostiziert die Studie bereits in den Kitas. Dort seien Kinder mit Migrationshintergrund deutlich unterrepräsentiert. Bei den unter Dreijährigen betragen die Quoten 17 Prozent im Vergleich zu 37 Prozent bei Kindern ohne Migrationshintergrund. Dabei sei die Kita gerade für Erstere in Sachen Sprachentwicklung so wichtig. Zudem gehen die Autoren davon aus, dass die Schaffung von Kitaplätzen nur langsam vorankomme, sodass weder im U3-Bereich noch bei den drei- bis fünfjährigen Kindern der Bedarf gedeckt werden könne. Verschärft wird die Situation dadurch, dass im Zuge von Corona mehr Kinder von der Einschulung zurückgestellt wurden.
Der Schulbereich steht derweil vor einer Verschärfung des Lehrermangels. So sei mit einem Anwachsen der Schülerzahlen bis in die 2030er-Jahre hinein zu rechnen. Dem gegenüber steht allerdings das absehbare Ausscheiden von Lehrern der Babyboomer-Generation. „Der daraus insgesamt resultierende Lehrkräftebedarf kann nach den Berechnungen der vorliegenden Studie nicht gedeckt werden.“
Um die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern, schlagen die Autoren Maßnahmen vor, die bei zügiger Einführung innerhalb von fünf Jahren erste Effekte entfalteten und dauerhaft bessere Chancen schafften. Um den Sprung von der Schule in die Ausbildung zu meistern, solle etwa die Einführung einer Ausbildungsprämie für zusätzliche Stellen sorgen. Zugleich soll das Schulsystem verbessert werden, etwa durch eine stärkere Praxisorientierung der Lehrerausbildung, eine umfassende Digitalisierung der Schulen, einen beschleunigten Ausbau gebundener Ganztagsschulen und den Abbau des Sanierungsstaus. Zudem verlangen sie den Ausbau des Kitaplatzangebots um 25.000 pro Jahr bis 2030 sowie den Ausbau von Ausbildungskapazitäten für Erzieher und eine weitere Qualitätsoffensive für die Kitas.
Für diese Maßnahmen seien Investitionen von rund 20 Milliarden Euro und sukzessive von 2,5 auf fünf Milliarden Euro ansteigende laufende Ausgaben erforderlich, die jedoch langfristig zu fiskalischen Erträgen von mindestens neun Euro je eingesetztem Euro führen werden, rechnen die Autoren vor. Die Verbesserung bei der Ausbildung führe nach knapp fünf Jahren zu ersten Rückflüssen in die öffentlichen Haushalte und habe sich nach zehn Jahren vollständig refinanziert.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Jochen Ott, sagte: „Die Ergebnisse zeichnen ein verheerendes Bild vom Zustand der dualen Bildung in Nordrhein-Westfalen und der ,Agenda zur Stärkung der beruflichen Bildung‘ der Landesregierung.“ Die Schüler von heute seien die Fachkräfte von morgen. „Aber der Landesregierung ist es nicht gelungen, die duale Ausbildung zu stärken und mehr Jugendlichen ohne Abitur zu einem Ausbildungsplatz zu verhelfen.“ Es dürfe nicht sein, dass in NRW allein das Abitur noch ein sicherer Garant für einen Ausbildungsplatz sei.