Registrierungspflichtiger Inhalt: Burkhard Freier im Interview : „Daraus kann Terrorismus entstehen“
Interview Düsseldorf Burkhard Freier ist Chef des NRW-Verfassungsschutzes. In den Corona-Protesten sieht er einen Resonanzboden für Extremisten. Immer mehr Rechtsextreme würden die Demonstrationen unterwandern.
Wer zu Burkhard Freier ins Büro möchte, muss vorher Smartphone und andere digitale Geräte ablegen, die in irgendeiner Form senden können. In der 13. Etage des Innenministeriums, wo der Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes seinen Amtssitz hat, herrscht eine hohe Sicherheitsstufe. Nicht einmal seine engsten Mitarbeiter dürfen ihre privaten Handys dort tragen. Der gebürtige Münsterländer leitet den Verfassungschutz in NRW seit 2012. Mit ihm sprach Christian Schwerdtfeger.
Herr Freier, was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie die Bilder von der Besetzung der Treppe des Reichstages in Berlin gesehen haben?
Burkhard Freier: In Berlin ist bestätigt worden, wovor wir seit März und April bereits warnen. Dass nämlich die Corona-Proteste deutlich von Rechtsextremisten beeinflusst und in zunehmender Weise instrumentalisiert werden. Wir haben am Anfang festgestellt, dass Rechtsextremisten versucht haben, das Thema aufzugreifen, und versucht haben, eigene Veranstaltungen zu organisieren.
Was heißt am Anfang?
Freier: Wir haben bereits im März mit Beginn der Pandemie beobachtet, dass aus den ersten einzelnen Kritikern und Leugnern Gruppen entstanden sind. Dort waren auch immer mehr Rechtsextremisten zu finden; anfangs spielten sogar auch der Islamismus und ganz wenig der Linksextremismus eine Rolle in diesen Gruppierungen.
Kann es Szenen wie in Berlin auch in NRW geben?
Freier: Im Moment haben wir keine Erkenntnisse darüber, dass sich Szenen wie in Berlin auch in NRW zutragen könnten. Aber so lange die Pandemie für Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen ein Nährboden ist, müssen wir davon ausgehen, dass auch in NRW etwas passieren kann.
Welche Rolle spielen die Verschwörungstheoretiker?
Freier: Im Laufe der Monate wurden die anfänglichen Proteste der Gegner der Corona-Maßnahmen mehr und mehr durchsetzt von Personen mit Verschwörungsideologien. Diese passen dann sehr genau zu den rechtsextremistischen Ideologien, weil diese wiederum ebenfalls mit Verschwörungsmythen durchsetzt sind. So gibt es bei beiden viele ähnliche Bestandteile wie die Beanspruchung einer Opferposition; die Unterdrückung durch Eliten; dass es demnächst einen Untergang geben würde und man sich jetzt dagegen wehren müsse. Rechtsextremisten sprechen zudem von einem Tag X und Bürgerkriegsszenarien.
Wie hoch ist der Anteil Rechtsextremer an den Protesten?
Freier: In Berlin gehen wir zum Beispiel davon aus, dass bis zu 3000 Rechtsextreme dabei waren. Das ist eine Minderheit in der Minderheit der Corona-Leugner und der Menschen, die die aktuellen Corona-Maßnahmen ablehnen. Aber es ist eine gefährliche und laute Minderheit. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass Rechtextremisten mitlaufen und ein großer Teil der Demonstranten das nicht sieht oder nicht sehen will und sich nicht wirklich abgrenzt. Für Berlin kann man sagen: 38.000 Teilnehmer haben sich nicht wirklich vom Rechtsextremismus distanziert. So entsteht eine Vermischung. Und diese Vermischung wird immer stärker.
Findet die Vermischung auch abseits der Öffentlichkeit statt?
Freier: Ja. Der Einfluss der Rechtsextremisten bei den sogenannten Corona-Rebellen nimmt stark zu. Sie sind mittlerweile nicht nur in dieser Organisation beteiligt, sondern steuern diese auch zunehmend. Die Rechtsextremisten und Reichsbürger werden akzeptiert und sind nicht nur Mitläufer. Wir haben festgestellt, dass rechtsextremistische Argumentationsmuster immer deutlicher von den Corona-Leugnern übernommen werden. Und darum sehen wir darin auch eine Gefahr, weil Verschwörungsmythen, vermischt mit Angst, Unsicherheit und Wut in der Bevölkerung plus Rechtsextremismus eine Mischung ist, die wir auch von Pegida kennen.
Nur harmlose Spinnereien oder besteht ernste Gefahr für die Gesellschaft?
Freier: Dieser Personenkreis hat offensichtlich das Gefühl, dass man sie bedroht. Und sie wollen, dass endlich mal einer was gegen die vermeintliche Bedrohung unternimmt. Daraus kann ein Individual-Terrorismus entstehen – also eine Radikalisierung ohne in einer realweltlichen Gruppe zu sein. Wenn dann noch der Eindruck hinzukommt, nicht mehr alleine zu sein, andere denken genauso, dann führt das zu Christchurch, El Paso, nach Halle und nach Hanau. Bei diesen schwersten terroristischen Anschlägen war immer als ganz wesentliches Motiv eine Verschwörungsideologie im Hintergrund. Und deswegen gehen wir davon aus, dass die aktuellen Proteste nicht nur Ausdruck von Sorge und Unzufriedenheit sind, weil Personen den Eindruck haben, sie sind mit den Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden. Sondern es sind Proteste, die auch deutlich machen, dass es Personen gibt, die unsere Werte nicht teilen. Diese Proteste sind ein Resonanzboden für Extremisten.
Welche Rolle spielt NRW in der Szene?
Freier: Wir haben die „Corona-Rebellen“ und die sogenannten Mischszenen. Dazu gehören die „Bruderschaft Deutschland“, die „Steeler Jungs“ und „Mönchengladbach steht auf“. Sie sind im Kleinen das, was Corona-Demonstrationen im Großen sind: eine Mischung aus Bürgerlichen, Reichsbürgern, Rockern, Hooligans und Rechtsextremisten. Diese Mischszenen nehmen an den Corona-Demonstrationen teil. Zudem gibt es NRW eine nicht unerhebliche Anzahl von Rechtsextremisten, die bei den Protesten steuernd eingreifen. In Berlin waren mindestens 40 Personen aus der NRW-Mischszene.
Was muss sich ändern?
Freier: Eine wesentliche Aufgabe des Verfassungsschutzes wird es sein, den extremistischen Einfluss auf das Protestgeschehen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen zu beobachten, insbesondere dieses Zusammenwirken der Szenen. Wie im Islamismus müssen wir die Ideologie verstehen, die dahintersteht. Wir haben festgestellt, dass Verschwörungsmythen den Rechtsextremismus verstärken und umgekehrt. Diese Szenen haben zwar eine völlig krude Ideologie, aber sie ist zutiefst gefährlich und ihr Einfluss wächst derzeit. Auch wenn nicht jedermann bis ins letzte Detail die Ideologie der Verschwörungstheoretiker kennen und verstehen muss, muss man aber wissen, da besteht eine Gefahr für die Gesellschaft. Deswegen brauchen wir Prävention durch Aufklärung und Erklärung.