Investitionen in dreistelliger Millionenhöhe : Damit die Region genug Trinkwasser hat
Exklusiv Aachen Dreistellige Millionensummen sollen in den kommenden Jahren in der Region investiert werden, um die Versorgung mit Trinkwasser sicherzustellen. Dazu gehört auch der Bau eines Stollens zwischen zwei Talsperren.
Wie schnell sich alles ändern kann: Vor nicht einmal drei Jahren, im Januar 2019, bestätigte der Aachener Wasserversorger Stawag auf Anfrage unserer Zeitung noch erstmals öffentlich, dass mit dem Eicher Stollen Aachens ältestes Wasserwerk dauerhaft vom Netz genommen werden sollte. Schon seit Mitte 2017 war dort kein Trinkwasser mehr gewonnen worden. Der Wasserverbrauch war in der Region in den Jahren zuvor immer weiter zurückgegangen, man brauchte das 1880 gebaute und sanierungsbedürftige Wasserwerk nicht mehr.
Zwischenzeitlich gab es sogar Überlegungen, den Stollen auf immer und ewig zuzuschütten. Doch zum einen hätte das Millionen gekostet, und zum anderen beschlich die Verantwortlichen nach dem Extremsommer 2018 dann wohl doch ein mulmiges Gefühl: Der Eicher Stollen wurde zwar stillgelegt, aber so, dass er jederzeit als Notreserve wieder aktiviert werden konnte.
Diese Entscheidung war nicht die schlechteste, kann man heute sagen. Denn mittlerweile spricht mit Blick auf den Eicher Stollen niemand mehr von einer Notreserve. Nach Informationen unserer Zeitung sollen in Aachens ältestes Wasserwerk in den nächsten zwei bis drei Jahren jetzt doch drei bis vier Millionen Euro fließen – und zwar nicht um es zuzuschütten, sondern um es aufwendig zu sanieren.
Die Stadtwerke Aachen Aktiengesellschaft (Stawag) und die für die Wasserlieferung zuständige Wassergewinnungs- und -aufbereitungsgesellschaft Nordeifel (WAG) möchten sich auf Anfrage noch nicht zu solch konkreten Details äußern. Sie bestätigen aber, dass man aus Gründen der Vorsorge weiter in die Anlagen zur Wasserversorgung investiere. Recherchen unserer Zeitung zufolge stehen die Sanierungskosten für den Eicher Stollen in einem Investitionsplan, über den die Aufsichtsräte bereits im April kommenden Jahres entscheiden sollen.
Und es handelt sich demnach um einen ausgesprochen großen Investitionsplan, in dem es nicht nur um Aachen und um drei, vier oder fünf Millionen Euro geht, sondern um viel mehr: Um die Wasserversorgung in der hiesigen Region dauerhaft zu sichern, muss in den nächsten 15 bis 20 Jahren wahrscheinlich ein dreistelliger Millionenbetrag investiert werden. Der alte Eicher Stollen in Aachen ist da nur ein ganz kleines Rädchen im Getriebe, aber er taugt sehr gut als Beispiel dafür, wie schnell sich die Dinge ändern können.
Vor ein paar Jahren hielt man das alte Wasserwerk noch für überflüssig, weil der Wasserverbrauch stetig gesunken war. Hatte die Stawag im Jahr 2006 noch 18,9 Millionen Kubikmeter Wasser verkauft, waren es 2017 nur noch 16,9 Millionen Kubikmeter. Doch danach stieg der Verbrauch bald wieder an, dem Vernehmen nach um rund zehn Prozent.
Den Unterschied machten ganze drei Jahre. Drei sehr trockene Jahre, in denen in den Talsperren weniger Wasser verfügbar war als sonst. Und in denen auch noch die Nachfrage anstieg. Was WAG-Sprecherin Eva Wußing auf Anfrage bestätigt: „Allein die heißen Sommer 2018, 2019 und 2020 haben gezeigt, dass der Klimawandel schon erste konkrete Auswirkungen hat und zu einer erhöhten Nachfrage führen kann.“ Deshalb der Vorsorgegedanke, deshalb die Investitionspläne im dreistelligen Millionenbereich, auch wenn sich Wußing zu diesen Zahlen nicht äußern will.
Als verantwortlicher Wassermanager fragt man sich in solchen Zeiten, was wohl wäre, wenn der Klimawandel dafür sorgt, dass es fünf oder sechs solch trockene Sommer in Serie gäbe. Könnte man dann noch an besonders heißen Tagen den Spitzenbedarf überall decken? Oder würde das Wasser manchmal nur stundenweise aus den Hähnen strömen?
In den vergangenen Jahren ist bei den Verantwortlichen jedenfalls die Sorge gewachsen, dass es Zeiten geben könnte, in denen man jeden Kubikmeter Wasser braucht, den man kriegen kann. Und es ist die Erkenntnis gereift, dass dann der vergleichsweise kleine Eicher Stollen, aus dem gerade einmal 800.000 Kubikmeter Trinkwasser pro Jahr gewonnen werden können, nicht ausreicht, selbst wenn er saniert wird. Sondern dass man eine größere, strukturelle Lösung braucht.
Um die Dimensionen nachvollziehen zu können, hilft ein Blick auf den Aufbau der Wasserversorgung in der Aachener Region. Geliefert wird das Trinkwasser von der WAG mit Sitz in Roetgen. Das Unternehmen ist eine Tochter der Aachener Stawag und von Enwor in Herzogenrath. Die WAG beliefert aber nicht nur die Städteregion, sondern auch einige angrenzende Bereiche: Teile des Kreises Heinsberg, die Stadt Düren und die niederländischen Gemeinden Kerkrade und Vaals über dortige Versorger.
Bei insgesamt rund 600.000 Menschen sprudelt das Wasser der WAG aus den Hähnen, rund 44 Millionen Kubikmeter schickt das Unternehmen jährlich durch die Leitungen. Der Löwenanteil stammt aus den Talsperren in der Nordeifel: Rund 35 Millionen Kubikmeter werden den betriebseigenen Wasserreservoirs Dreilägerbachtalsperre in Roetgen und Kalltalsperre in Simmerath entnommen. Rohwasser bezieht die WAG außerdem aus dem Obersee der Rurtalsperre und der Wehebachtalsperre zwischen Stolberg und Hürtgenwald, die vom Wasserverband Eifel-Rur betrieben werden.
Außerdem werden jährlich etwa neun Millionen Kubikmeter Grundwasser in sechs Wasserwerken an die Oberfläche geholt: Vier davon – Schmithof, Brandenburg, Reichswald und eben der Eicher Stollen – liegen in Aachen, zwei weitere in Stolberg (Binsfeldhammer) und Eschweiler (Hastenrath). Doch dieser Bereich ist nicht ausbaufähig. Es gibt in der Aachen Region schlicht keine weiteren Grundwasserspeicher oder ergiebige Quellen, die man einfach so unproblematisch anzapfen könnte.
Zusätzliche Wasserpotenziale liegen allein in den Talsperren, und sie werden benötigt. Denn die Nachfrage ist nach Informationen unserer Zeitung in den vergangenen „Dürrejahren“ gerade auch aus benachbarten Regionen gestiegen. So hat beispielsweise die Gemeinde Langerwehe bei der WAG angeklopft, wobei es noch um eine kleinere Menge Wasser gehen soll. Größer ist da schon der Durst in Düren. 3,2 Millionen Kubikmeter flossen bislang aus der Eifel dorthin – über eine eigene Leitung von der Wehebachtalsperre aus –, doch zuletzt sollte es eine Million Kubikmeter mehr sein.
Grundsätzlich ist es eigentlich für die WAG auch kein Problem, den großen Durst von 600.000 Menchen und auch noch einigen mehr zu stillen. Denn Wasser gibt es in der Eifel genug. Bloß läuft es nicht immer in die richtigen Talsperren, weswegen man bei der WAG auf eine verwegen klingende Idee gekommen ist.
Der Plan betrifft die Wehebachtalsperre, die eine große Kapazität hat, wo es aber in aller Regel eher zu wenig regnet. Anders sieht es an der Kall aus, wo viel Wasser vorhanden ist, das man am besten irgendwie in die Wehebachtalsperre bringt. Die Idee zur Lösung des Problems: Man baut einen unterirdischen Stollen von der Kalltalsperre zur Wehebachtalsperre. Kostenpunkt: nach aktuellen Schätzungen rund 50 Millionen Euro. Ein Großprojekt, das ebenfalls im April nächsten Jahres den Aufsichtsräten vorgestellt werden soll.
Eine einfache Angelegenheit würde das gleichwohl nicht, denn für so etwas wären wohl etliche Gutachten und Umweltanalysen vonnöten. Die Wehebachtalsperre, die – über ein eigenes Wasserwerk – beispielsweise Düren und Teile von Eschweiler versorgt, sah 2018 schon aus, als hätte jemand den Stöpsel gezogen. Statt möglicher 25,1 Millionen Kubikmeter Wasser war sie seinerzeit nur noch mit 8,8 Millionen Kubikmetern gefüllt, bevor sie sich dann wieder „erholte“. Ausgleichen lässt sich so ein Tiefstand bei der Wehebachtalsperre bisher nicht.
Anders als etwa die Dreilägerbachtalsperre in Roetgen, die jeweils per Stollen mit dem Obersee der Rurtalsperre sowie der Kalltalsperre in Simmerath verbunden ist. Weswegen es nun den Plan einer solchen Verbindung auch hin zur Wehebachtalsperre gibt. Weitere Pläne sehen den Bau von Becken für Notreserven vor. Ein solches wird die Stawag zum Beispiel im Aachener Ortsteil Hitfeld bauen, wo man bereits ein entsprechendes Grundstück gekauft hat.
Noch schwieriger wird das ganze Thema durch eine ganz andere Diskussion. Denn einerseits muss immens investiert werden, um die Trinkwasserversorgung sicherzustellen. Andererseits gibt es seit der Flutkatastrophe im Juli verstärkt – auch politisch – die Forderung, die Talsperren müssten mehr zum Hochwasserschutz beitragen.
Bislang ist es so, dass Talsperren nicht ganz gefüllt werden. Ein gewisser Puffer wird für Hochwasserszenarien freigehalten. Die Forderung geht nun dahin, dass bei Prognosen, nach denen ein solches Hochwasserszenario in erheblichem Umfang bevorsteht, bereits deutlich vorher kontrolliert Wasser aus den Talsperren abgelassen werden soll. Damit diese dann im Fall der Fälle eben viel mehr Wasser zurückhalten können und die Bäche und Flüsse entlastet werden.
Bei den Talsperrenbetreibern kommen solche Forderungen allerdings nicht so gut an. Schließlich würden dann Millionen Kubikmeter – im doppelten Sinn – wertvolles Trinkwasser den Bach hinabgehen.
Im Hollywood-Klassiker „Chinatown“ wurde fürs Geschäft mit knappem Trinkwasser im trockenen Kalifornien sogar gemordet. Hierzulande bietet das Thema zwar keinen Krimistoff. Sicher ist jedoch, dass vor dem Hintergrund des Klimawandels über Wasser in den kommenden Jahren in vielfacher Hinsicht – wie derzeit beispielsweise in Monschau, wo es um den umstrittenen Plan einer Aufstockung der Perlenbachtalsperre geht – heftig diskutiert werden wird.