Heerlen : Cultura Nova: Spektakuläres Programm im Jubiläumsjahr
Heerlen Obertongesang unterm Viadukt, Pantomime im Wald, Zirkus im Theater, Konzert im Parkhaus, Jahrmarkt in der Fabrik, Artisten auf dem Kran, Performance in der Brunssumer Heide, möglichst im Regen, Lightshow auf Avantis — und natürlich: Feuerzauber ohne Ende. Das ist Cultura Nova! Im Jubiläumsjahr präsentiert das Heerlener Sommerfestival ein ganz besonderes Programm.
Beim Heerlener Sommerfestival sind die außergewöhnlichsten Spielorte und die schrillsten, aber auch die poetischsten Programmpunkte gerade gut genug. Da muss der Besucher gelegentlich schon einmal damit rechnen, dass ihm wenigstens Wassersalven oder auch Mehlwolken um die Ohren fliegen — schließlich soll er mitmachen und sich nicht auf der behäbigen Zuschauerposition ausruhen.
Feuerwerksspektakel
Gestern ist es wieder losgegangen — mit einem „theatralischen Feuerwerksspektakel“, wie es Cultura Nova noch nicht gesehen hat. Und das will schon etwas heißen, schließlich feiert das Festival sein 25-jähriges Jubiläum. Mann der ersten Stunde ist Fiedel van der Hijden — er gründete Cultura Nova vor 25 Jahren als Straßentheater-Festival und gewann später seinen Mitstreiter Rocco Malherbe hinzu. „Am Anfang hatten wir wenig Erfahrung“, erinnert sich van der Hijden. „Und wir verfügten über wenig Technik.“ Irgendwann kam dann die Idee: „Wir wollten überall in der Stadt etwas aufziehen — und zwar an den besten Plätzen.“ Und so ist es bis heute geblieben.
„Open Air“, sagt van der Hijden, „das kann genauso gut auf einer Wiese sein, in einer Sandgrube oder im Wald.“ Aber am besten, meint er, seien jene Orte geeignet, die bei den Menschen eigentlich schon gut bekannt sind, aber durch eine Inszenierung, ein Spiel plötzlich ganz neu und unbekannt erscheinen. „Auf einmal spürt man, wie es in einer alten Fabrik klingt, oder in einer leeren Kirche.“
In manchen Jahrgängen wuchs Cultura Nova auch über Heerlen hinaus — etwa mit Vorstellungen im Theater Aachen oder 2008 mit Artistik in Baesweiler. Dass diesmal alles in Heerlen und Umgebung beisammen bleibt, hat keinen speziellen Grund, erklärt van der Hijden. „Es hat sich inhaltlich einfach nichts Passendes zwischen Vorstellungen und anderen Orten ergeben.“ 2016 könne das schon wieder ganz anders sein.
Bergbau im Mittelpunkt
Das Jubiläumsfestival wartet bis zum 6. September mit einem gewaltigen Programm auf, das so gut wie keine Sparte auslässt: 176 Veranstaltungen mit Theater, Musik, Zirkus, Akrobatik, Tanz und bildender Kunst. „Am Anfang kommt immer der große Knaller“, sagt van der Hijden lachend. „Da weiß dann alles: Jetzt geht es los.“ Aber selbst beim großen „Knaller“ zeigt sich, dass das Spektakel mit Feuer, Feuerwerk und riesigen Figuren der beiden französischen Gruppen Les Rêveries de Lies et Jean und Groupe F & Plasticiens Volants keineswegs Selbstzweck ist. Die Geschichten der Orte, in diesem Jahr besonders der Bergbau und sein Niedergang, stehen inhaltlich im Mittelpunkt.
Die französischen Gruppen — eine Feuerwerkstruppe und eine Theatercompagnie, die mit riesigen Ballonfiguren arbeitet — hatten sich für ihre Eröffnungsvorstellung gestern das Gelände des ehemaligen Bergwerks Oranje Nassau I ausgesucht — alle Mitwirkenden können sich ihre Aufführungsorte seit jeher selbst auswählen. Hier standen einst zwei berühmte Kamine, die von der Heerlener Bevölkerung liebevoll „Lange Lies“ und „Lange Jan“ genannt wurden, aber längst verschwunden sind. Märchenhafte Ballonfiguren erinnerten in einem Spiel, umrahmt von Feuer und Feuerwerk, an den Aufstieg und Fall der Bergbauindustrie. Die Show mündete in eine Parade des Publikums gemeinsam mit den Mitwirkenden zurück ins Heerlener Zentrum.
So ausgesprochen locker und heiter geht es bei Cultura Nova zu: Erholen kann man sich von all den Spektakeln während des ganzen Festivals im Spiegeltent vor dem Heerlener Stadttheater. Hier kann man speisen und trinken, abends spielt eine Band.
„Neue Ideen, Raum für Fantasien — das braucht diese Gegend“, erklärt Fiedel van der Hijden das Grundmotiv, das noch alle der bisherigen 24 Festivals geprägt hat. Damit dieses Motto auch wirksam ankommt, sind rund ein Drittel der Veranstaltungen bei freiem Eintritt zu besuchen, viele davon richten sich an Kinder. Und da werden sogar die ganz Kleinen angesprochen: Die belgische Gruppe Pantalon lässt bei ihrem Musiktheater Kinder im Alter zwischen 18 Monaten und drei Jahren selbst auf der Bühne mitwirken — in einem poetischen Erlebnis aus Klängen, Licht und Stille.
Zum Jubiläum darf zumindest ein Knaller von Weltrang nicht fehlen. Und den setzen keine Geringeren als der berühmte Clown und Pantomime Slava Polunin zusammen mit einem nicht minder bedeutenden Geiger dieser Welt: dem lettischen Maestro Gidon Kremer. Der stand immerhin schon mit Karajan, Bernstein und Harnoncourt auf der Bühne. Das auf den ersten Blick ungleiche Paar verbindet ein sehr sympathischer gemeinsamer Zug: Humor. Und genau dieser bei beiden sehr ausgeprägte Charakterzug führte sie auch zusammen.
Poetischer Wintertraum
Klar, dass bei ihrem Auftritt im Theater Heerlen kein klassisches Konzert, keine „klassische“ Aufführung zu erwarten ist. Stattdessen fliegen hier buchstäblich die Fetzen. Es ist ein poetischer Winternachtstraum, romantisch und melancholisch: „Slavas Snow Show“ fasziniert seit fast 20 Jahren weltweit ein riesiges Publikum. Die mehrfach preisgekrönte Show ist ein Glanzstück der Comedy. Mehr als fünf Millionen Menschen rund um den Globus sahen den Wintertraum bereits.
Auf diese exklusive Version mit Gidon Kremer, die man sonst im Moment nur in Jerusalem, Riga und in der Schweiz sehen kann, darf man also ganz besonders gespannt sein. Die „Snow Show Symphony“, musikalisch begleitet vom Kremerata Baltica Kammerorchester, ist vom 30. August bis zum 1. September dreimal im Theater Heerlen zu sehen.
Auf die Mitarbeiter des Theaters wartet dabei eine beachtliche Herausforderung: Die „Snow Show“ endet nämlich mit einem „Snowstorm“ — ausgelöst von einem Flugzeugpropeller und massenhaft Papierschnitzeln. Das alles muss bis zur nächsten Vorstellung wieder verschwunden — weggeblasen — sein.
Veranstalter aus ganz Europa haben sich laut van der Hijden in Heerlen angesagt, um sich das Gastspiel der jungen ungarischen Zirkustheatergesellschaft Recirquel anzusehen — das erste außerhalb Ungarns. Die angesagte Truppe steht kurz vor ihrem internationalen Durchbruch, ihr eilt der Ruf voraus, dem Nouveau Cirque eine fabelhafte neue Note zu verleihen. „The Naked Clown“ heißt die Show, die Theater, Ästhetik, Musik, Gesang und Tanz mit kunstvoll gestalteten Zirkusauftritten kombiniert.
Cultura Nova hat aber auch eine andere Seite, weit weg von Knallern und Spektakeln. Ort der Veranstaltung ist hier ein Pflegeheim, das Thema: Erinnerungen. Mariel Vaartjes, die im vergangenen Jahr mit „Alice“ eine theatralische Wanderung durch ein Pflegeheim unternahm, präsentiert in diesem Jahr unter dem Titel „Mine“ eine Show für deren Bewohner. Dazu befragte sie ältere Menschen nach ihren Erinnerungen. Sogar die Parkinsonkrankheit kann bei Cultura Nova zum Thema einer Veranstaltung werden.
Die Choreographin Elsa van de Heijdenis hat sich zu einem Tanztheater inspirieren lassen, angekündigt als „ein Tanz über und für alle, die mit Störungen des Körpers zu tun haben“. Das Leben mit Schmerzen, die Veränderung der Lebensqualität und die Fortsetzung des eigenen Lebens bilden die Grundlage für den Tanz, der auf humorvolle Art Trost bieten soll. Die Aufführungen finden statt in der Pflegeeinrichtung Zorgcentrum Oranjehof Sevagram.
Auf Rekordniveau
Bis zu 50.000 Besucher erwartet Fiedel van der Hijden diesmal wieder. „Die meisten kommen aus einem Umkreis von 50 Kilometern.“ Das Budget liegt zum Jubiläum auf Rekordniveau: bei 1,2 Millionen Euro, zusammengetragen von der Stadt, der Provinz, dem Land und Sponsoren.
Und was ist der Tipp des Cultura-Nova-Machers selbst? „Nick Steur“, sagt van der Hijden. Der Absolvent der Theater Academy Maastricht bezeichnet sich selbst als „theatrical performer“. „A Piece Of Time“ heißt seine Performance, die an der Schnittstelle steht von bildender Kunst und Theater. Im Zentrum der Aufführung steht ein von der Decke der Stahlhalle Schinveld hängendes Pendel, das sich in einem riesigen Rahmen in Form einer Pyramide bewegt. Durch Eingriffe Steurs verschmelzen Bild, Bewegung, Klänge und münden schließlich in einer magischen Stille, in der die Zeit stehenzubleiben scheint.