Ein Kampfmittelräumer erzählt : „Bomben-Dieters“ langer Kampf gegen den Sprengstoff
Region Mit Zufällen ist es so eine Sache. Hans-Dieter Falter hat so einige erlebt. Oder besser: überlebt. Das begann schon im Kindesalter, als der heute 71-Jährige einen gefährlichen „Spielplatz“ vorfand. Falter hat die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und seiner Hinterlassenschaften am eigenen Leib gespürt.
In Form von Splittern, die seinen Körper trafen, als eine Granate in unmittelbarer Nähe explodierte. „Der Hürtgenwald und die Dörfer lagen voller Munition und Granaten“, erinnert sich Falter, Jahrgang 1946, an seine Kindheit. „Kann man sich kaum vorstellen, oder? Wir haben da gespielt und alles mögliche an Kriegsmaterial aus dem Waldboden gezogen, als ob es nix wäre“, sagt er heute, gut 60 Jahre später. „Ich hatte ein Riesenglück, dass ich damals überlebt habe.“
Die direkte Nähe zur explosiven Gefahr hat ihn nicht losgelassen, er hat sogar sein Berufsleben darauf ausgerichtet: Falter wurde Kampfmittelräumer, „oder auch Bombenentschärfer — wie immer Sie es nennen wollen“. In dieser Funktion hat er tausende von Kriegsrelikten in der Region zwischen Aachen, Düren und Heinsberg unschädlich gemacht.
Der Vater war Sprengmeister
Falters Sprache ist pragmatisch, ohne dass er dies wohl selbst so nennen würde. Wenn er von den ungezählten gefährlichen Situationen berichtet, klingt es beinahe so, als hätte er irgendwann unterwegs die Angst vor dem Tod verloren. „Die Angst vielleicht. Den Respekt vor der Gefahr nicht“, sagt er bestimmt. „Bomben-Dieter“ nennen ihn manch Ältere noch in seinem Heimatort Schmidt.
„Ich bin eben derjenige, den man mit den Bomben, Granaten, Minen in Verbindung bringt“, sagt Falter. Da ist er wieder, dieser Pragmatismus. Zu dem gefährlichen Beruf kam er aus Familientradition. „Mein Vater war Sprengmeister. Und ich kannte mich ja schon aus ...“ Ende der 1960er Jahre begann der lange Kampf von Hans-Dieter Falter gegen die Bomben, der auch nach seinem offiziellen Ruhestand noch lange nicht beendet ist. „Ich werde immer noch gerufen, wenn es irgendwo heikel wird“, sagt er über die Tatsache, dass er bis heute mehrmals im Jahr als erster vor Ort ist, wenn in der Nord- und Rureifel der Boden Explosives freigibt.
Sein erster Arbeitgeber war die Dürener Firma Röhll. „Damals ging es los mit der systematischen Beseitigung der Kampfmittel im Hürtgenwald“, erinnert sich Falter, damals ein junger Kollege zwischen etlichen alten Haudegen. „Das waren ja zum Teil noch Wehrmachtsangehörige, die nach dem Krieg einen Job gesucht haben. Hier in der Region gab es ja keine Industrie oder sonst was, da waren selbst die gefährlichen Arbeiten begehrt.“
Die Region mit dem Hürtgenwald, von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 blutiges Schlachtfeld für Deutsche und Amerikaner, birgt bis heute unentdeckte Gefahren, aber auch Aachen und Düren, vom Luftkrieg stark in Mitleidenschaft gezogen, sind nicht von allen Hinterlassenschaften befreit. Bei nahezu jedem Bauvorhaben im ehemaligen Kampfgebiet der Eifel wird der Kampfmittelbeseitigungsdienst vorstellig. „Früher haben wir die Munition mit dem Bagger transportiert, das wäre heute undenkbar“, erinnert sich Falter.
Kritik an einem laxen Umgang mit der Sicherheit äußert er nicht. In den vergangenen Monaten hat auch Falter auf das Geschehen in deutschen Großstädten geblickt. Blindgänger-Funde in Köln oder Frankfurt haben der Bundesrepublik unlängst die größten Evakuierungsmaßnahmen seit dem Zweiten Weltkrieg beschert.
Zum Handwerk der Kampfmittelräumer gehört seit jeher das Feuerwerk. Ausbildung, Zertifikate — bei Hans-Dieter Falter kam über die Jahre einiges an Qualifizierung zusammen. „Man hat sich da reingefunden“, erklärt er. „Ich weiß wahrscheinlich mehr über Zündersysteme oder Sprengstoffmischungen als über schöne Gedichte“, sagt er, Augenzwinkern inklusive. Seine Hausaufgaben aus fünf Jahrzehnten hat der 71-Jährige bis heute aufbewahrt — in Form von etlichen Ordnern voller Luftaufnahmen, Bombenzeichnungen und Zeitungsartikeln.
Unglück des besten Freundes
„Komm doch zu uns“ — dieser Satz war 1976 Mitauslöser für „Bomben-Dieters“ Schritt in den öffentlichen Dienst. „Ich mochte diese Idee von einer gewissen Sicherheit. Wenn schon der Beruf Gefahren mit sich bringt, dann sollte das Drumherum doch einigermaßen geordnet sein, auch für die Familie.“ Fortan fuhr Falter im Namen der Bezirksregierung Düsseldorf zu seinen gefährlichen Missionen.
Von der gefährlichen Bergung einer gewaltigen britischen „Tallboy“-Bombe im Urftsee bis zur nervenaufreibenden Entschärfung komplizierter chemischer Zünder reicht Falters Anekdotenschatz. Was ihm geholfen hat? „Erfahrung, aber immer wieder auch Glück.“ Da sind sie wieder, die Zufälle im Leben von Hans-Dieter Falter.
Sein Anekdotenschatz birgt aber auch düstere Aspekte. In den frühen 1980er Jahren verlor der Mann, der mit nüchterner Faszination von seinem Job als einer Lebensaufgabe erzählt, seinen besten Freund an eines der gefährlichen Kriegsrelikte. Der tödliche Unfall habe ihm zeitweise den Boden unter den Füßen weggezogen, so viel Einblicke in sein Inneres lässt Falter zu. „Ich habe noch gesagt: Die springt uns ins Gesicht“, erinnert sich Falter und atmet tief aus.
„Danach ging es mir richtig schlecht, ich hatte keine Lust mehr auf gar nichts.“ Nach einer Auszeit kehrt er allerdings zurück in eine Wirklichkeit, die ihm neben körperlichen Schmerzen in der Kindheit auch seelische Wunden zugefügt hat. „Ich musste weitermachen. Das war ich ihm schuldig, und mir selbst auch.“ Seine Frau habe ihm auch in dieser Situation beigestanden, sagt Falter, „ich bin dankbar.“ Seit einigen Jahren ist er allerdings Witwer und lebt nun allein in Schmidt in dem Haus, das immer auch ein bisschen Asservatenkammer für Funde aus Kriegszeiten war, die weniger direkte Gefahr versprühten.
Rostige Stahlhelme, Uniformteile, deutsche und amerikanische Ausrüstungsgegenstände hat er aufgehoben. „Ich bin kein Militarist“, winkt Falter ab. Aber eine gewisse Faszination würde er wohl kaum leugnen können. „Das hat nichts mit Politik zu tun“, versichert er. Es scheint, als würde sich seine Aufarbeitung des von Deutschland entfesselten Weltkriegs vor allem auf die Beseitigung der mehr als sieben Jahrzehnte alten Gefahren beschränken.
„Finger weg“
Völlig verständnislos begegnet er denen, die sich als Laien auf die Suche nach Kriegsmaterial machen oder bei explosiven Zufallsfunden selbst Hand anlegen. „Finger weg“, lautet seine Ansage. „Und die Experten rufen“. Die Suche nach den Überbleibseln des Bombenkriegs, der das vorzeitige Kriegsende auch in der Region beschleunigt hat, führte den Ur-Schmidter Falter auch bis an den Rhein oder in die sanften Höhen des Bergischen Landes. Anerkennung habe er reichlich erfahren, sagt Falter. Besonders gefreut habe ihn die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1982.
Der Job sei heute in Teilen leichter, aber nicht minder gefährlich, glaubt Falter. „Heutzutage gibt es ja technische Möglichkeiten, von denen wir nicht zu träumen wagten“. Er spielt auf geomagnetische Messverfahren an, mit denen Gegenstände geortet und im Idealfall bestimmt werden können, ohne sie gleich ausgraben zu müssen. Eine Garantie für einen Nachweis kann auch die Technik nicht immer leisten. Gerade erst hat ein verdächtiger Metallgegenstand bei Vorarbeiten zum Neubau der Leverkusener Rheinbrücke für Alarmstimmung und Verkehrschaos gesorgt.
Das Messverfahren brachte keine Klarheit, erst eine Ausgrabung. Das Ergebnis: kein Blindgänger, sondern eine Eisenstange. Auch wenn Falter nicht mehr vorn dabei ist, beschäftigen ihn die Zahlen. Auch er sieht, dass in den letzten Jahren die in NRW gefundene reine Sprengstoffmenge zugenommen hat, auch wenn die Stückzahlfunde dabei leicht zurückgehen. „Da sieht man, wie viele von den dicken Dingern noch im Boden liegen“. Gefahren noch für Jahrzehnte, sagt einer, der seinen Kampf offenbar fortzusetzen gedenkt.