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Zwei Reformprozesse: Synodaler Weg und "Heute bei dir"

Zukunftsfähigkeit der Kirche : Wer sagt, wo es langgeht? Bischöfe oder Basis?

Die katholische Kirche steht bundesweit und im Bistum Aachen vor Entscheidungen, die sie nicht ohne Aufruhr treffen kann. Es geht um Reformen und tief sitzende Konflikte, um Macht und Demokratie und nicht zuletzt um den Heiligen Geist.

Angespannte Ruhe – so lässt sich die derzeitige Stimmungslage im Bistum Aachen wahrscheinlich am besten beschreiben. Corona hat aufwallenden Missmut ein wenig gedämpft. Aber die Ruhe wird nicht nur durch die Pandemie verursacht, sondern auch dadurch, dass die sich derzeit abzeichnende – womöglich letzte – Chance genutzt werden soll, zu mehr oder überhaupt zu Gemeinsamkeit im Bistum zu kommen. Das ist jedenfalls aktuell der Wunsch an der Basis wie an der Spitze des Bistums.

Die Strukturfrage

Die Anspannung ergibt sich dadurch, dass jahrelange, sich immer mehr verschärfende Kontroversen allmählich in eine Phase kommen, in der Entscheidungen getroffen und Konsequenzen gezogen oder vermieden werden. Die Anspannung wird dadurch verdoppelt, dass gleich zwei Reform- und Veränderungsprozesse im Laufe des Jahres jeweils in eine entscheidende Phase kommen werden.

Da ist zunächst in der hiesigen Diözese der von Bischof Helmut Dieser initiierte Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“, der von zahlreichen Priestern des Bistums und vielen engagierten Ehrenamtlern weiterhin als intransparent, unkooperativ und unverbindlich kritisiert wird. Die entscheidenden Gremien im Bistum (Diözesanrat der Katholiken, Pastoralrat und Priesterrat) fühlen sich nach wie vor nicht ausreichend eingebunden. Den Stand der Beratungen im „Heute bei dir“-Prozess könne er gar nicht beurteilen, sagt der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken, Karl Weber, unserer Zeitung. „Das ist unübersichtlich. Man bekommt – auch wegen Corona – wenig mit.“

Der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Aachen: Karl Weber.
Der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken im Bistum Aachen: Karl Weber. Foto: ZVA/Harald Krömer

Im „Heute bei dir“-Prozess werden seit September Maßnahmen für die Zukunft der Gemeinden und katholischen Verbände erarbeitet. Nach Auskunft von Bistumssprecher Jürgen Jansen bleibt es trotz Corona beim vorgesehenen Zeitplan, wonach bis Ende Juni konkrete Vorschläge vorliegen sollen. An dem von Generalvikar Andreas Frick formulierten Ziel, „Anfang 2022 mit der Umsetzung von deutlich wirksamen Veränderungen zu beginnen“, habe sich nichts geändert. Wichtige Themen sind dabei unter anderem Gottesdienste, Kommunikationskultur, Frauen in der Kirche, Sozialarbeit, Jugend und Kirche, Ehrenamt. Zunächst will Bischof Dieser die Vorschläge dazu mit der Lenkungsgruppe des Prozesses, den übrigen Prozessbeteiligten und den diözesanen Räten beraten, bevor er Entscheidungen trifft. Was die Räte dann tatsächlich noch beeinflussen und vor allem mitentscheiden können, ist offen.

Und wenn dieser diözesane Veränderungsprozess ab Sommer in seine letzte entscheidende Phase eintritt, werden zudem noch ganz andere Fragen beantwortet werden müssen, die größte Bedeutung haben für jene, die heute in ihren Gemeinden das Pfarrleben lebendig halten und Gottesdienste besuchen: Wie sieht die künftige Pfarreistruktur aus? Wie viele selbstständige Pfarrgemeinden beziehungsweise Gemeinschaften der Gemeinden (GdG) wird es auf Dauer noch geben? Wie viel Verantwortung können/dürfen/sollen/müssen die sogenannten Laien in Gemeindeleitung und Gottesdiensten übernehmen? Antworten sind heikel, zumal es dabei letztlich auch um Geld gehen wird.

Der zweite Reformprozess ist der bundesweite Synodale Weg der deutschen Kirche, auf dessen großer Online-Konferenz in der vorigen Woche angekündigt wurde, dass seine vier Foren zu den hoch umstrittenen Themen Machtausübung, Sexualmoral, priesterliche Lebensform, Rolle der Frau im Herbst erste abstimmungsreife Voten vorlegen werden. Bis dahin sind mächtige Hürden zu überwinden, denn, wie es Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, formuliert: „Sprengstoff liegt in allen vier Foren.“ Es wird spannend, und Beschlüsse kann nur die rund 230 Mitglieder umfassende Synodalversammlung fassen.

Dass der Vatikan bei alldem für Anspannung sorgt, weil er den Synodalen Weg mit Argusaugen beobachtet und Reformbeschlüsse so weit wie möglich verhindern möchte, gehört mittlerweile zum katholischen Alltag und stellt das eigentliche Problem dar.

Bischof Helmut Dieser.
Bischof Helmut Dieser. Foto: ZVA/Harald Krömer

In der hiesigen Diözese wird die Atmosphäre derzeit zusätzlich belastet durch die Art und Weise, wie Bischof Dieser nach der Veröffentlichung des Gutachtens zu Missbrauchsfällen im Bistum Aachen reagierte. Das Gutachten der Münchener Rechtsanwaltskanzlei Westpfahl, Spilker, Wastl spart nicht mit Vorwürfen an Bischof Klaus Hemmerle und Diesers unmittelbaren Vorgänger Heinrich Mussinghoff. Dass der heutige Bischof aber da- rüber hinaus Mussinghoff sowohl öffentlich wie intern gemaßregelt hat, stößt bis heute unter den Gläubigen im Bistum und vor allem in der Priesterschaft auf heftige Kritik, weil es als respektlos und alles andere als seelsorgerisch empfunden wird. Am 30. Januar hielt Dieser, der als begabter Homiletiker (Predigtlehrer) gilt, beim Jahrgedächtnis zum Todestag von Hemmerle zudem eine Predigt, in der er zwar rhetorisch gewandt, aber deutlich auf Distanz zu seinem Vorvorgänger ging, was manche Irritationen auslöste.

Die Konferenz

Wie in allen deutschen Diözesen geht es im Bistum Aachen derzeit darum, eine wirklich von kirchlicher Einflussnahme unabhängige Aufarbeitung von Missbrauchsfällen zu gewährleisten, Missbrauchsopfer zu entschädigen und die – unter anderem in dem Münchener Gutachten genannten – systemischen Ursachen für Missbrauch zu analysieren und Konsequenzen daraus zu ziehen. Das betrifft konkret jene hoch umstrittenen Themen des Synodalen Wegs.

Auf diesen Gesamtkomplex kommt es auch dem Diözesanrat
der Katholiken an. Er hatte Mitte November dem Bischof eine Frist von zwei Monaten gesetzt, um einen „Zeit- und Maßnahmenplan“ mit „mess- und überprüfbaren Zielen zur Umsetzung“ zu präsentieren. Die Zeitspanne ist verstrichen. Man habe beim Bistum deshalb nachgefragt, bislang gebe es aber nur eine unverbindliche Eingangsbestätigung, sagt Weber. Allerdings treffen sich am 26. Februar die diözesanen Räte (Katholikenrat, Priesterrat, Pastoralrat) mit Bischof Helmut Dieser auf einer gemeinsamen Konferenz zu diesem Thema. „Wir sind sehr gespannt, was Herr Bischof Dieser dann vorlegt. Wir erwarten, dass es etwas Substanzielles ist“, sagt Weber.

Der Katholikenrat hat die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens immer begrüßt. „Die entscheidende Phase kommt aber jetzt erst. Ich erwarte vom Bischof, dass er klar sagt, wie er eine wirklich unabhängige Aufarbeitung gewährleisten will“, betont Weber. „Gelingt es zudem, die zentralen Forderungen des Gutachtens anzugehen? Da kommt es stark auf die Selbstreflexion der Bistumsspitze an.“ Bei der Ursachenforschung stelle sich nun die Systemfrage. Dem dürfe und könne niemand ausweichen.

Weber bleibt skeptisch, ob seine Kirche auf Dauer bereit ist, Konsequenzen zu ziehen. Dass die auf die lange Bank geschoben werden, ist nach wie vor seine Sorge. Gleichzeitig ist er erkennbar bemüht, das seit Jahren gestörte Verhältnis zwischen den diözesanen Gremien und dem Bischof nicht weiter zu belasten. Eine Entwicklung wie im Erzbistum Köln, wo gewählte Gremien und ganze Priestergruppen Kardinal Rainer Maria Woelki öffentlich das Misstrauen ausgesprochen haben, kann er sich im hiesigen Bistum derzeit nicht vorstellen. Die Bistumsspitze versuche momentan wieder stärker, die gewählten Gremien einzubinden, sagt Weber. „Die Frage ist: unter welchen Bedingungen? Ist das ernst gemeint? Will man sich wirklich rechenschaftspflichtig machen?“ Sein Gremium stimme sich jedenfalls mit Priesterrat und Diözesanpastoralrat eng ab.

Aus alldem ergibt sich also die genannte Anspannung. Irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft müssen hier wie dort Entscheidungen getroffen werden. In seinen bisherigen Aussagen – zuletzt bei der Online-Konferenz des Synodalen Wegs und erst vor drei Tagen in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur – lässt Bischof Dieser erkennen, dass er deutliche Veränderungen in Sexualmoral und Sexuallehre seiner Kirche befürwortet und sich dafür einsetzen will. Das betrifft insbesondere die Haltung seiner Kirche zur Homosexualität. Zwar hat sich Dieser als Leiter des für diese Themen zuständigen Forums beim Synodalen Weg verbale Zurückhaltung auferlegt, aber er hält Reformen hier für unumgänglich. Bei Fragen, die Macht und Stellung des Bischofs oder des Priesters berühren, bleibt er eher auf dem alten konservativen Kurs.

Wie kommt es in der katholischen Kirche nun zu Beschlüssen, die auf Akzeptanz stoßen? Es gehe nicht um das Ergebnis von Abstimmungen wie im parlamentarischen Verfahren, sondern um die Wahrheit, stellen Papst, Kurienkardinäle und Bischöfe in formvollendeter katholischer Tradition fest. Theologisch kommt man an einen heiklen und komplizierten, aber entscheidenden Punkt, nämlich zur ignatianischen Methode, der sogenannten Unterscheidung der Geister. Damit untermauern Bischöfe gerne ihren Machtanspruch, indem sie Mehrheitsentscheidungen diskreditieren und darauf warten, dass man zur Einmütigkeit unter der Schirmherrschaft des Heiligen Geistes gelangt.

Die Trumpfkarte

Bischof Dieser hat es im Interview mit unserer Zeitung im November so formuliert: „Wir setzen unser Vertrauen nicht darein, dass die Mehrheit die Wahrheit weiß, sondern dass wir vom Heiligen Geist geführt werden, dass eine Mehrheit und eine immer größer werdende Mehrheit übereinstimmen, welcher Schritt der nächste und richtige ist. Der Priester und der Bischof müssen das offene Ringen darum gewährleisten. Alle Teilnehmenden beraten einander und haben Verantwortung dafür, dass die anderen mitkommen, und nicht dafür, dass ich für meine Sache eine Mehrheit finde. Das ist der Unterschied zur Demokratie.“ Wenn das nicht akzeptiert werde, „haben wir ein großes Problem mit dem Grundvertrauen in die Botschaft Jesu, dessen Geist uns in die Wahrheit einführt. Sein Geist wirkt in uns. Nicht das Volk Gottes wählt sich seinen Weg, sondern Gott führt sein Volk auf einen guten Weg.“

In der Diskussion und vor der Entscheidung über strittige Themen den Heiligen Geist quasi als Trumpfkarte auszuspielen, ist eine unter vielen Klerikern beliebte Methode, wird aber von Gläubigen, die für Reformen kämpfen, zunehmend als Versuch erkannt, den eigenen Machtanspruch zu wahren und spirituell zu ummanteln. Denn schließlich kommt es darauf an, wer die Kompetenz hat zu definieren, was im Sinne des Heiligen Geistes ist.

Der Theologe Daniel Bogner, der an der Universität im schweizerischen Fribourg lehrt, nennt seine Kirche „eine lupenreine absolutistische Monarchie“, die weder in die Zeit noch zu der von Gott gegebenen „geschöpflichen Freiheit des Menschen“ passe. Die Mitwirkung aller Gläubigen sei nur gewährt und geduldet, jederzeit widerrufbar und beschränke sich auf reine Beratung. Verbindliche Formen für die Beteiligung von Laien gebe es nicht. Genau das wollen Letztere nicht länger hinnehmen, und deshalb geht es auf dem Synodalen Weg hoch her.

Wenn die beiden großen Veränderungsprozesse Synodaler Weg und „Heute bei dir“ allmählich in ihre Entscheidungsphasen kommen, wird ein gravierendes Problem da- rin liegen, dass das Wahrheitsprinzip dem Demokratieprinzip entgegengehalten wird. Viele Bischöfe praktizieren das, immer mehr Laien sind nicht bereit, dies länger zu akzeptieren. Die deutsche katholische Kirche und das Bistum Aachen stehen vor ereignisreichen Monaten.