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Stabilisiert die Pandemie?: Weniger Kirchenaustritte in NRW im vergangenen Jahr

Stabilisiert die Pandemie? : Weniger Kirchenaustritte in NRW im vergangenen Jahr

Die Abwanderung von den Kirchen hat sich im Corona-Jahr 2020 in NRW verlangsamt. Ist die Religion in Pandemie-Zeiten als Sinnstifter vielleicht wieder stärker gefragt?

In Nordrhein-Westfalen sind 2020 weniger Menschen aus der Kirche ausgetreten als 2019. Im vergangenen Jahr habe es in NRW insgesamt 89.694 Kirchenaustritte gegeben, teilte das Justizministerium am Dienstag in Düsseldorf mit. 2019 waren es 120.188. Im Jahr davor, 2018, hatten 88.510 Menschen den Kirchen den Rücken gekehrt. Aus den Zahlen lässt sich nicht ablesen, wie sich die Austritte je nach Konfession aufschlüsseln.

Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sagte dazu, die Zahlen seien schwer zu deuten. Die Vertrauenskrise im Erzbistum Köln rund um das bisher unveröffentlichte Missbrauchsgutachten habe erst gegen Ende 2020 Austrittsdynamiken ausgelöst, die zum Teil erst 2021 relevant würden. „Entscheidend dürfte sein, dass in der schwierigen Pandemiezeit das Thema der Zugehörigkeit zur Kirche keine signifikante Rolle gespielt haben dürfte, sondern andere Themen des täglichen Überlebens vorrangig waren“, sagte Schüller.

Krisen gelten traditionell als „gute Zeiten“ für Kirchen, da sie dann als Sinnstifter gefragt sind. „Vielleicht hat diese existenzielle Erfahrung der Gefährdung des eigenen Lebens auch neue Nachdenklichkeit hinsichtlich des Sinn des Lebens, nach Tod und Sterben ausgelöst“, vermutet Schüller. „Hier traut man den Kirchen vielleicht noch sinnstiftende Potenziale in der Begleitung der Kranken und Sterbenden zu.“ Wenn die Zahlen für 2021 vorlägen, werde man abschließend sagen können, ob durch die Pandemie die dynamische Entwicklung zu immer mehr Kirchenaustritten gebrochen worden sei oder nicht.

Der Religionssoziologe Detlef Pollack sagte, die Entwicklung könne unterschiedliche Ursachen haben. „Ein Grund könnte darin liegen, dass es die Menschen in Krisenzeiten vermeiden, Entscheidungen zu treffen, die aufgeschoben werden können. In solchen Situationen halten die Menschen ihre sozialen Beziehungen oft stabil, um mit den anstehenden aktuellen Herausforderungen fertig werden zu können. Der Kirchenaustritt, selbst wenn man ihn sich vorgenommen haben sollte, kann warten.“

Allgemein hätten Studien gezeigt, dass es in Zeiten der Pandemie bei denjenigen, die mit der Kirche eng verbunden sind, eher zu einer Stärkung ihrer religiösen Bindungen komme, während bei denjenigen, die der Kirche distanziert gegenüberstünden, die Distanz noch zunehme. Ein solches Bild ergebe sich auch aus einer Online-Befragung von 2032 Personen im Rahmen des Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. „Es scheint für einige Kirchenmitglieder also durchaus zuzutreffen, was man vielfach vermutet, dass der Glaube in der Krise eher eine Stärkung als eine Schwächung erfährt“, sagte Pollack.

(dpa)