Komplettes Pastoralteam geht : Ein Pfarrer schlägt Alarm
Übach-Palenberg Falsche Unterschriften, lückenhafte Wählerverzeichnisse: Pfarrer Stephan Rüssel ist überzeugt davon, dass die Wahlen zum Kirchenvorstand in Übach-Palenberg manipuliert worden sind. Nun hat der Pfarrer seinen Amtsverzicht erklärt - und mit ihm das komplette Pastoralteam.
Erst ganz am Ende ließ der Pfarrer die Bombe platzen. Rund 30 Minuten lang hatte Stephan Rüssel in der alten Karlskapelle in Übach-Palenberg seine Heilige Messe gehalten, es ging um das Johannes-Evangelium und um den Abschied Jesu von seinen Jüngern – kein ungewöhnliches Thema für die Zeit nach Ostern. Doch dann nahm der Pfarrer selbst Abschied.
Dies sei seine letzte Messe gewesen, erklärte er den entgeisterten Teilnehmern, er habe beim Bistum Amtsverzicht eingereicht. So berichtet es einer der Besucher der Messe, die am Mittwoch stattgefunden hat.
Neben Rüssel haben auch der zweite Pfarrer, Michael Hennen, sowie zwei Gemeindereferentinnen um Versetzung gebeten. Die Gemeinde, die sich aus sechs ehemals eigenständigen Gemeinden zusammensetzt, verlöre so ihr komplettes Pastoralteam.
Manipulation bei der Wahl?
Die Gründe für den unangekündigten Abschied liegen in den Kirchenvorstandswahlen von November vergangenen Jahres. Im Nachgang machten in Übach-Palenberg Gerüchte die Runde, es seien Unregelmäßigkeiten aufgetreten, womöglich sei die ganze Wahl manipuliert worden. Pfarrer Rüssel ging dem Verdacht nach – und gelangte zu der Überzeugung, dass die Behauptungen den Tatsachen entsprechen. So sollen zahlreiche Briefwahlscheine mit falschen Unterschriften versehen worden sein, beispielsweise unterschrieb ein Wahlberechtigter für den Ehepartner oder für Verwandte mit. Das Gutachten eines Schriftforensikers, das durch Rüssel in Auftrag gegeben wurde, erhärtet den Verdacht ausdrücklich. Dennoch wies das Bischöfliche Generalvikariat mehrere Einsprüche, die durch Gemeindemitglieder gegen die Wahl erhoben wurden, als „unbegründet“ zurück. Gegenüber unserer Zeitung stellt das Bistum fest, die Verdachtsfälle „genau geprüft“, jedoch „keine Unregelmäßigkeiten“ festgestellt zu haben. Die Wahl sei rechtskräftig.
Bei Kirchenvorständen handelt es sich um durchaus mächtige Gremien, sie entscheiden beispielsweise über sämtliche Vermögensfragen einer Gemeinde. Im Falle von St. Petrus bedeutet das Kirchensteuerzuweisungen von rund einer halben Million Euro pro Jahr. Bei Grundstücksgeschäften kann es selbst in einer vergleichsweise kleinen Gemeinde wie St. Petrus sogar um siebenstellige Summen gehen. Auch sie gehen durch die Hände des Kirchenvorstands – und wirken sich mitunter ganz weltlich aus.
Im Falle von Übach-Palenberg lässt sich dies am besten anhand des Lidl-Konzerns verdeutlichen, der dort in den vergangenen gut zehn Jahren Milliardensummen in Fabriken investiert hat. Die Stadt war darauf angewiesen, dass die Kirche ihr Grundstücke verkauft, die dann entweder der Schwarz-Gruppe zur Verfügung gestellt oder Landwirten zum Tausch angeboten wurden. Der Kirchenvorstand stimmte diesen Geschäften zu. Ohne ihn hätten die Industrieansiedlungen, die nicht weniger als ein Überlebensgarant für die Stärkungspaktkommune waren, so womöglich nie stattfinden können.
Unserer Zeitung liegt Pfarrer Rüssels schriftlicher Amtsverzicht vor, der mit Datum vom 8. Mai an Bischof Helmut Dieser gerichtet wurde. „Unmittelbarer Auslöser sind die Wahlmanipulationen bei der letzten Kirchenvorstandswahl, die ich Ihnen in mehreren Schreiben (...) dargelegt habe“, heißt es darin. Weiter erklärt Rüssel, schon seit 2011 von Teilen der Gemeinde gemobbt worden zu sein, maßgeblich aus dem Ortsteil Scherpenseel. Die Zahl seiner Unterstützer sei in dem neuen Vorstand leider in der Minderheit. „Da nun (...) auch aus dem Generalvikariat in Person gegen mich gearbeitet wird, stellen sich in den letzten Monaten gesundheitliche Folgen ein. (...) Auf Dauer halte ich diese feindliche Gesinnung nicht durch.“
Rüssel war am Donnerstag unter keiner der unserer Zeitung bekannten Telefonnummern zu erreichen. Von Vertrauten heißt es, er habe bislang keine Reaktion des Bischofs auf seinen Amtsverzicht erhalten und sei nun krankgeschrieben.