Reformprozess „Heute bei dir“ : Bistum im Aufbruch, viel in der Schwebe
Aachen Auf allen Ebenen der Aachener Diözese wird derzeit intensiv über Zukunft, Zahl und Zusammensetzung der Gemeinden beraten. Noch ist viel offen, manches umstritten, aber es gibt auch Konsens.
Das Bistum Aachen treibt seinen Reformprozess voran. Manchen geht es nicht schnell genug, anderen viel zu schnell. Aktuell haben sich die Prozessverantwortlichen selbst unter Zeitdruck gesetzt, den Vertreter der Basis als unzumutbar und unnötig erachten. Zwischendurch stockt das ganze Vorhaben aber auch, weil in dem unüberschaubaren Dickicht von Gremien, Arbeitsgruppen und -aufträgen, Beschlüssen, Ideen und Voten kaum noch jemand durchblickt, es sei denn er oder sie ist vom Generalvikariat verpflichtet worden, durchzublicken. Zudem laufen etliche Beratungen unkoordiniert nebeneinanderher – trotz oder gerade wegen der Fülle von Instanzen in diesem Veränderungsprozess.
Das Hauptthema
Wie viele Pfarreien wird das Bistum Aachen in Zukunft haben? Und was soll in und mit den sogenannten Pastoralen Räumen geschehen, die die Bistumsspitze als neues – und als das zentrale – Element in die Gesamtstruktur der Diözese einfügen will? Diese beiden Fragen stehen nach wie vor im Blickpunkt des Interesses – so auch auf der Synodalversammlung am Wochenende im Aachener Pius-Gymnasium, zu der Mitglieder der diözesanen Räte (Priester und Laien, Pastoral, Caritas und Kirchensteuer), des Domkapitels, der Regionalteams sowie führende Mitarbeiter des Generalvikariats zusammenkamen.
Der Konsens
Dieter Verheyen, Sprecher der Kirchenvorstandsinitiative „Kirche bleibt hier“, hat seit Jahren immer wieder gefordert, möglichst viel Verantwortung und Entscheidungsgewalt bei nach wie vor aktiven Kirchenvorständen in den Gemeinden zu belassen. Er und seine Initiative haben, indem sie zahlreiche Kirchenvorstände mobilisierten und zuletzt eng mit dem Ökonomen des Bistums, Martin Tölle, zusammenarbeiteten, in diesem Punkt für Konsens gesorgt: Eine Arbeitsgruppe unter Tölles Leitung empfiehlt, dass künftig jeder der rund 50 vorgesehenen Pastoralen Räume eine Kirchengemeinde ist (Kirchengemeinde ist im NRW-Staatsrecht der Begriff für Pfarrei; sie beziehungsweise ihr Kirchenvorstand ist zuständig für vermögensrechtliche Entscheidungen). In begründeten Fällen sollen pro Pastoralem Raum sogar bis zu drei Kirchengemeinden möglich sein. Dieser Vorschlag wird von der Basis bis zur Bistumsspitze weitgehend unterstützt.
Mit Blick auf historisch gewachsene Strukturen und kommunale Grenzen geht die Arbeitsgruppe von künftig rund hundert Kirchengemeinden in 50 Pastoralen Räumen aus. Die Mitglieder des Tölle-Gremiums, die nicht zum Generalvikariat gehören, teilen die Skepsis gegenüber wenigen Großpfarreien und empfehlen, dass das Gebiet einer Kirchengemeinde „deckungsgleich mit dem Gebiet einer Pfarrei sein“ sollte. Das heißt: rund hundert Pfarreien.
Die Streitfrage
Während Bischof Helmut Dieser, sein Generalvikar Andreas Frick und beider Führungsteam weiterhin darauf bestehen, dass es ab 1. Januar 2028 nur noch acht (höchstens 13) Pfarreien im gesamten Bistum geben soll, trifft dieser Plan nach wie vor auf erhebliche Widerstände in den Gemeinden und nicht zuletzt auf kirchenrechtliche Bedenken.
Mechtild Jansen vom Diözesankatholikenrat und Anita Zucketto-Debour vom Aachener Katholikenrat bezweifeln, dass ein bischöfliches Dekret, das die Zahl der heute 326 selbständigen Pfarreien im Bistum auf acht bis 13 reduziert, kirchenrechtlich akzeptabel ist. Beide berufen sich dabei auf den renommierten Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Auch Verheyen warnt: Mit dem Plan – acht bis 13 Pfarreien – werde das Bistum „gegen die Wand fahren“.
Generalvikar Frick ist vom Gegenteil überzeugt, will diese Frage jedoch kirchenrechtlich prüfen lassen – aber nicht nur das. Er werde im Vatikan das gesamte Konzept der neuen Bistumsstruktur zur Prüfung vorlegen. „Dann haben wir eine letzte Absicherung“, sagt er unserer Zeitung.
Das Hauptproblem
Die genannten kirchenrechtlichen Fragen sind nach wie vor nicht geklärt. Welche konkreten Aufgaben die sogenannten Pastoralen Räume – auch und gerade in Abgrenzung zu den Pfarreien – haben werden, wie sie organisiert und geleitet werden, ist nach wie vor offen. Weil die Zahl der Pfarreien noch nicht endgültig beschlossen ist, bleibt bislang in der Schwebe, in welchem Abhängigkeits- beziehungsweise Weisungsverhältnis Pfarrei und Pastoraler Raum zueinander stehen. Wie sollen sie kooperieren und ihre Arbeit koordinieren?
Auf wiederholte Fragen danach gab es auf der Synodalversammlung keine Antwort, konnte es nicht geben. Monsignore Gregor Huben, immerhin Offizial (Chef des Bistumsgerichts), beanstandet, dass nicht nur die rechtliche, sondern auch „die pastorale Grundlage für das Konzept fehlt“. Eng mit diesem Hauptproblem verbunden ist zudem die brisante Frage, wie und von wem Pfarrei und Pastoraler Raum geleitet werden.
Die Leitung
Laut Kirchenrecht muss eine Pfarrei immer von einem Priester, kann aber wegen Priestermangels auch von einem Team aus sogenannten Laien, Haupt- und Ehrenamtlern geleitet werden. Letzteres gilt kirchenrechtlich zwar als Ausnahmefall, ist mittlerweile aber gang und gäbe, zumal Priester in der Regel längst mehrere Pfarreien gleichzeitig leiten müssen.
Dass in Zukunft bei der Leitung von Pastoralen Räumen für Laien mehr möglich ist als in Pfarreien, darauf hoffen manche, andere bezweifeln das. Wenn Bischof Dieser nun auf acht bis 13 Pfarreien beharrt, wird es keinen Mangel an leitenden Priestern geben und damit formal auch keinen Grund, die Ausnahmeregelung mit und für Laien in Anspruch zu nehmen. Bei fünfzig oder gar hundert Pfarreien wäre das natürlich anders.
Frick geht davon aus, dass Pfarreien künftig in der Regel von zwei Priestern geleitet werden, damit das Personalkonzept längerfristig Bestand hat. Die Leitungsfrage wird jedenfalls als entscheidend betrachtet, und die Antwort darauf wird offenbaren, wie viel Beteiligung und echte Gleichberechtigung in der katholischen Kirche möglich ist.
Der Zeitplan
Obwohl die genannten zentralen Fragen nicht geklärt sind, sollen die vom Bischof ernannten Regionalteams (jeweils ein Priester, ein Hauptamtler, ein Ehrenamtler) in den acht Regionen des Bistums dafür sorgen, dass die gewählten Gremien und Kirchenvorstände in den Gemeinden über Zuschnitte und Grenzen der Pastoralen Räume beraten und bis 30. Juni ihrerseits Vorschläge machen.
Bis 30. September erwartet das Generalvikariat die Voten der acht Regionalpastoralräte. An der Basis sorgt das für viel Ärger, weil über etwas entschieden werden soll, was inhaltlich nicht ausgefüllt ist. Heribert Rychert, Co-Vorsitzender des Diözesanrats der Katholiken, vermisst wegen des Zeitdrucks Rücksicht auf die Ehrenamtler. Bischof Dieser will die Pastoralen Räume zum 1. Januar 2024 per Dekret einrichten.