Karneval in Geraardbergen und in Stavelot : Belgische Riten, die den Winter vertreiben sollen
Stavelot Schriller Karneval steht in Geraardsbergen und in Stavelot vor der Tür. Ein winterliches Brauchtum, das unterschiedlicher nicht sein könnte.
Wie unterschiedlich man winterliches Brauchtum begehen kann, lässt sich am Beispiel zweier belgischer Städte ablesen. Im flämischen Geraardsbergen soll dem Winter mit den unterschiedlichen Riten eines Doppelfestes, das zum immateriellen Weltkulturerbe zählt, der Garaus gemacht werden. Ein schriller Karneval steht in Stavelot in der Wallonie im Mittelpunkt des nur noch wenig bekannten Festes des Mittfastens.
Der Name der Stadt Geraardsbergen, die westlich von Brüssel liegt, ist wahrscheinlich nur Radsportfans geläufig. Im einzigen flämischen Ort mit einer erwähnenswerten Erhebung müssen die Sportler die sogenannte Muur bewältigen, den steilen Anstieg zum Oudenberg, der nur wenige Schritte hinter dem Marktplatz „aufragt“. Am vorletzten Sonntag vor dem ersten Montag im März, diesmal also am 23. Februar, ist der 110 Meter hohe Hügel Schauplatz eines ungewöhnlichen Spektakels.
Drei bärtige Druiden
Die Menschenmenge der Teilnehmer und Zuschauer des Festzugs versammelt sich rund um einen Pavillon auf der Spitze des Oudenbergs. Hier treffen bald drei bärtige Druiden in weißen Gewändern und Perücken ein. Sie tragen große, mit Wein gefüllte Glasgefäße. Ihnen folgen kirchliche und weltliche Würdenträger der Stadt in historischer Kleidung sowie Kinder mit bis obenhin gefüllten Brotkörben.
Zu Beginn der Zeremonie im Pavillon trinken die Druiden und danach die Honoratioren jeder einen kleinen Schluck aus den Gläsern, in denen kleine Fische schwimmen, die angeblich verschluckt werden. Dann reicht man ihnen die Brotkörbe, und im Publikum schnellen die Arme in die Höhe. Minutenlang rieseln Gebäckkringel, die Krakelinge, auf die Menge nieder. Es sollen 5000 Stück sein. Aber nur in einem steckt ein Gutschein für einen Krakeling aus Gold, der jedes Jahr von einem Juwelier gestaltet wird. „Dieser seit dem Jahr 1599 dokumentierte Brauch, der nach dem Gebäck Krakelingen benannt ist, symbolisiert durch die Verwendung von Brot und Fisch das Leben, das durch den nun anbrechenden Frühling neu entsteht“, erklärt Frederika Schollaert vom Festkomitee. „Die runde Form der Krakelinge verweist auf den Kreislauf des Lebens.“
Damit der Frühling auch wirklich Einzug halten kann, folgt am Abend der zweite Teil des Doppelfestes, der Tonnekensbrand, dessen Tradition sich bis ins Jahr 1393 zurückverfolgen lässt. Vor der Kapelle auf dem Oudenberg wird ein Tanzboden aufgebaut, drumherum ragen große Fackeln in den Himmel. Zunächst zeigen Fahnenschwinger ihr Können, dann betritt eine folkloristisch gekleidete Tanztruppe die Bühne, die zu Live-Musik einen wilden Reigen traditioneller Tänze aufführt.
Schließlich werden die Fackeln nach und nach entzündet. Ihre Flammen, die dem Winter sozusagen den Rest geben sollen, werden durch Feuer in den umliegenden Dörfern unterstützt. „Bei unserem Doppelfest, das die Unesco 2010 zum Weltkulturerbe erklärt hat, verbinden sich christliche und heidnische Traditionen – und das schon seit Jahrhunderten“, fasst Frederika Schollaert nicht ohne Stolz zusammen. Seit einigen Jahrzehnten wird der Festtag mit einer langen und stimmungsvollen Prozession durch das Städtchen am Fluss Dender eingeleitet. Hunderte Teilnehmer stellen Szenen aus der reichen Geschichte dar.
Vorher trifft man sich in einer Mehrzweckhalle, wo ein gut sortierter Kostümverleih seinen Fundus ausbreitet. Hier kleidet man sich ein, wird geschminkt, sucht die passende Perücke und probt ein paar Tanzschritte. Mit dabei sind neben Fürsten, Edelfrauen und ganz normalen Bürgern auch Goliath, Gerarda und Baba. Diese Reuzen genannten Riesenfiguren, die von in ihrem Inneren versteckten Trägern durch die Straßen getragen werden, gehören in Belgien vielerorts zum Inventar. Goliath ist mit 4,77 Meter einer der größten seiner Zunft.
„Freue Dich“ heißt das Motto
Ist das Fest in Geraardsbergen eher ruhig, so wird es beim Winterfest im wallonischen Stavelot schrill. An Laetare, am vierten Sonntag nach Aschermittwoch, legt die Fastenzeit in der kleinen Stadt in den Ardennen an einem Wochenende (diesmal vom 21. bis 23. März) eine Pause ein. Laetare, das auch als Mittfasten bekannt war, heißt: Freue Dich. Und diesem Motto frönt man hier auf besondere Weise.
Die Hauptdarsteller des Karnevals sind die Blancs Moussis, die weißen Mönche. Und die sind im Ausnahmezustand. In ihren weißen Gewändern mit großen Kapuzen, ihren Masken mit den langen, roten Nasen necken sie jeden, der nicht Reißaus nimmt, mit Luftballons aus Schweinsblasen, aufgespießten Heringen und langen Ruten. Schon morgens geht es auf den Straßen los mit Tanz und in Gesang der Folkloregruppen. Man freut sich auf den großen Festzug.
In der Mittagszeit ist es dann so weit. 25 kostümierte Gruppen bilden einen bunten Lindwurm voller Überraschungen und Originalitäten. Clowns ulken auf ihren nicht unbedingt verkehrstauglich zusammengeschraubten Fahrrädern, andere versuchen sich artistisch. Dann wird man in die Steinzeit und darauf ins Reich der aufgehenden Sonne entführt. Es ist ein Spiel der Farben und der Rhythmen. Manchmal hat man das Gefühl, dass die Stimmung der Zugteilnehmer noch besser ist als die der Zuschauenden. Und mittendrin und drumherum die Blancs Moussis.
Olivier t‘Serstevens ist seit Jahrzehnten Mitglied in der Bruderschaft der Weißen Mönche, denen man ein Leben lang treu bleibt, wie er versichert. „Sich immer wieder neue Späße ausdenken zu können, ist schon eine feine Sache“, gesteht der Blanc Moussi, der im Hauptberuf Jurist ist. Natürlich kennt er auch die Ursprünge des Laetare-Karneval in Stavelot. „1449 hatte unsere Abtei einen besonders strengen Abt bekommen, der es den Mönchen verbot, mit der Bevölkerung zu feiern. Die fand das gar nicht gut und zog sich weiße Kapuzengewänder an, versteckte ihre Gesichter hinter Masken und trieb Unfug.“
Auch wenn die Abtei längst aufgelöst worden ist und mehrere Museen beherbergt, die Weißen Mönche machen ihre Späße wie eh und je. Und wer meint, dass ein toter Fisch vor der Nase genug des Schabernacks sein müsse, der kennt die Konfetti-Maschine nicht.
Wenn am Ende des Festumzugs zwei knallbunte Wagen, einer im Insekten-Look, mit Geschützen auf den Dächern anrollen, dann sollte man sich auf etwas gefasst machen. Sobald sie die Zuschauenden erreicht haben, wird unaufhörlich aus allen Rohren und in alle Richtungen geschossen. Es regnet Konfetti, und es dauert nicht lange, bis Frisuren und Kleidung bunt gepunktet sind.
Die Weißen Mönche hinter den Kanonen geben ihr Bestes, was das Gekreische im Publikum unterstreicht. Olivier t‘Serstevens legt Wert auf die Feststellung, dass die Konfetti-Maschine ein Eigenbau der
Blancs Moussis sei. „Sie ist so beliebt, dass sie schon Einsätze in anderen Karnevalszügen mitgemacht hat“ – auch in Deutschland und natürlich nur in Begleitung der Weißen Mönche. Die haben am Nachmittag ihren nächsten großen Auftritt beim Rondeau auf dem abschüssigen Platz im Zentrum. Dieser ausgelassene, nicht ganz choreographiesichere Tanz auf grobem Kopfsteinpflaster ist der Schlussakkord des Festumzugs. Er wird begleitet – man ahnt es – von nicht enden wollenden Konfetti-Salven.
Niemand, der den Laetare-Karneval von Stavelot besucht hat, sollte sich wundern, wenn er noch Wochen später Konfetti in den Hosentaschen findet. Auch ein Mittel, um die Erinnerung lange aufrechtzuerhalten. Nimmt man aus Geraardsbergen mit etwas Glück und Geschick einen Krakeling mit, so kann man sich gegen die Souvenirs aus Stavelot kaum wehren.