Prozess in Belgien : Hilflose Rechtfertigung für tödliches Aufnahme-Ritual
Hasselt Kälte, Fischöl und ein Aalkopf: Im Prozess um den Tod eines 20-Jährigen beim Aufnahmeritual einer belgischen Studentenverbindung haben am Freitag erstmals die Angeklagten ausgesagt. Die brutale Tradition habe man nie hinterfragt.
Im Prozess um den Tod eines Studenten bei einem Aufnahmeritual einer Studentenverbindung haben die Angeklagten am Freitag erstmals vor Gericht ausgesagt. Der 20-jährige Sanda Dia hatte Mitglied in dem elitären Studentenclub „Reuzegom“ in der Universitätsstadt Löwen werden wollen und sich daher im Dezember 2018 der sogenannten „Taufe“ unterzogen.
18 damalige Mitglieder der inzwischen aufgelösten Verbindung müssen sich vor dem Landgericht Hasselt unter anderem wegen fahrlässiger Tötung, unterlassener Hilfeleistung, Tierquälerei und der Verabreichung schädlicher und tödlicher Substanzen verantworten. Der Prozess hatte im September begonnen, am Freitag wurden vor dem Gericht in Hasselt erstmals die Angeklagten und die Zivilparteien angehört.
Der Vorsitzende des Studentenclubs sagte am Freitag, dass man die Traditionen der Verbindung lange nicht hinterfragt hatte. Man habe es eben so gemacht, wie es immer gemacht wurde. „Wir sind über die Jahre blind geworden für die Risiken“, sagte der heute 25-Jährige. Die „Taufe“ sei ihnen heilig gewesen. Und bis zu dem verhängnisvollen Tag im Dezember 2018 sei immer alles gutgegangen, daher habe es auch keine besonderen Vorsichtsmaßnahmen gegeben.
Das 20-jährige Opfer musste Unmengen Alkohol trinken. „Reuzegom“-Mitglieder urinierten auf ihn und zwei weitere Anwärter. Am nächsten Tag musste das Opfer bei Außentemperaturen von sechs Grad in einer mit Wasser befüllten Grube verharren und Unappetitliches verspeisen, etwa Unmengen an Fischöl. Einem lebenden Aal musste der 20-Jährige laut den Berichten belgischer Medien den Kopf abbeißen.
Der Gesundheitszustand des jungen Mannes verschlechterte sich zunehmend, am Abend des zweiten Tages wurde er bewusstlos und unterkühlt ins Krankenhaus gebracht. Seine Körpertemperatur war auf 27,2 Grad gesunken. Zwei Tage später starb er – mehrere Organe hatten versagt. Ursache war laut eines Gutachtens ein Hirnödem, das durch eine Überdosis Salz – aufgenommen über die große Menge Fischöl – verursacht wurde.
Verbindungen und Klubs sind an den belgischen Universitäten sehr verbreitet. Die Aufnahmerituale einiger weniger Verbindungen sind berüchtigt dafür, besonders brutal und herabwürdigend zu sein. Die Universitäten stehen immer wieder in der Kritik, trotz Bemühungen wie einer Charta, die Grenzen für solche Mutproben aufweist, dem Eigenleben in den Verbindungen nicht Herr zu werden. Erst im Oktober vergangenen Jahres ist ein Student in der Provinz Namur bei einem Ritual ums Leben gekommen.
Neben der Diskussion um die Brutalität des Rituals hat der Fall in Belgien auch eine Debatte über Rassismus ausgelöst, weil das Opfer schwarz war und in einer elitären weißen Verbindung mitmachen wollte.
Der Vater des verstorbenen Studenten zeigte sich am Freitag vor Gericht schockiert darüber, dass belgische Medien am Vortag die letzten Fotos aus dem Leben seines Sohnes veröffentlicht hatten. Die Aufnahmen zeigten Szenen aus dem Aufnahmeritual. Es sei das erste Mal gewesen, dass er selbst die Bilder gesehen hatte, sagte er, und es sei skandalös, dass man die Eltern vor der Veröffentlichung nicht um ihr Einverständnis gebeten habe.
Ein Urteil in dem Prozess wird erst gegen Ende Mai erwartet. Den Angeklagten drohen in der Theorie Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren. Für den Fall von Schuldsprüchen will die Staatsanwaltschaft aber anscheinend Strafen beantragen, die von einem Berufsverbot über eine Geldstrafe bis hin zu Gefängnisstrafen zwischen einem und fünf Jahren reichen, wie das belgische Grenzecho berichtet.