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Baurecht in NRW benachteiligt Senioren

Einschätzung von Verbänden : Baurecht in NRW benachteiligt Senioren

Treppen mit auffälligen Streifen machen älteren Menschen das Leben leichter. Neue NRW-Baugesetze sehen das aber dennoch nicht vor. Sozialverbände kritisieren daher die neuen Regelungen.

Die neue Landesbauordnung bringt nach Einschätzung der Sozialverbände gravierende Nachteile für Senioren. „Die Belange älterer Menschen, vor allem mit Seh- und Hörbehinderung, werden in der neuen Landesbauordnung nicht berücksichtigt“, sagte Markus Gerdes, Landesgeschäftsführer des Sozialverbandes Deutschland (SoVD), unserer Redaktion. Die neuerdings geltenden DIN-Normen für Privatwohnungen sähen beispielsweise nicht vor, dass Handläufe von Treppen farblich vom Hintergrund abgesetzt werden müssten, führte Michael Spörke aus, Abteilungsleiter Sozialpolitik beim Sozialverband.

Auch unterschiedliche Farben von Wand und Boden, die Sehbehinderten die Orientierung erleichtern würden, seien nicht vorgeschrieben. Dasselbe gelte für Streifen auf den Trittstufen von Treppen. Hörbehinderten wiederum würde eine Gegensprechanlage mit einem Lämpchen das Leben erleichtern. „Für bettlägerige Menschen wäre zudem wichtig, dass die Verordnung Fenster in Sitzhöhe zwingend auch im Schlafzimmer vorsieht“, so Spörke. Sonst könnten Menschen, die an das Bett gefesselt seien, womöglich nur den Himmel sehen.

NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) zeigt sich gesprächsbereit: „Das Ministerium ist weiter mit Behindertenverbänden im Austausch“, hieß es dort auf Anfrage.

Die neue Landesbauordnung ist zwar bereits im Januar 2019 in Kraft getreten. Die kritisierten Regelungen betreffen aber DIN-Normen, die das NRW-Bauministerium jederzeit in Eigenregie ändern kann – eine DIN-Norm ist eine Verwaltungsvorschrift.

Den Einwand, die Änderungen könnten das Bauen zu teuer machen, lässt Gerdes nicht gelten: „Diese Maßnahmen kosten kein Geld.“ Dem widerspricht auch die nordrhein-westfälische Architektenkammer nicht. Als Vorbild könnte Gerdes zufolge Rheinland-Pfalz dienen. Dort müssten Architekten die Bedürfnisse seh- und hörbehinderter Menschen berücksichtigen. „In Zukunft wird das Bundesland am attraktivsten sein, wo es besonders viele alten- und behindertengerechte Wohnungen geben wird“, prophezeite Gerdes.

Die Architektenkammer NRW bestätigte, dass die Gestaltung von Bodenbelägen oder Treppen in der neuen Landesbauordnung nicht vorgegeben ist, zeigte sich damit aber zufrieden: Die neue Gesetzeslage stelle einen angemessenen Ausgleich dar zwischen den Belangen behinderter Menschen, gestalterischer Freiheit und der Baukostenentwicklung. Zudem werde kein Bauherr gehindert, mehr zu tun als vorgegeben sei. Immerhin nehme das neue Baurecht erstmals in NRW überhaupt die Belange behinderter Menschen ernst. Damit habe das Land NRW – nicht zuletzt auf Drängen der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen – endlich das nachvollzogen, was in sämtlichen anderen Bundesländern seit langem Usus sei, so die Interessenvertretung der Architekten.

Der Unmut bei Sozial- und Behindertenverbänden ist hingegen weiterhin groß. „Der Fachbeirat Barrierefreiheit des Landes hat deshalb sogar eine Sondersitzung anberaumt – das hat es noch nie gegeben“, sagte Spörke, „wir bekommen nicht die Barrierefreiheit, die uns die Landesregierung versprochen hat.“ Die Verbände befürchten, dass so der Standard „barrierefrei“ ausgehöhlt werden könnte. Bauministerin Scharrenbach habe zugesagt, dass Barrierefreiheit als universales Gestaltungsprinzip Einzug in den Wohnungsbau halten werde.

Die neue Landesbauordnung hatte vor ihrem Inkrafttreten bereits Kritik der Sozialverbände hervorgerufen, unter anderem, weil sie keine Quote für rollstuhlgerechte Wohnungen in Neubauten festlegt. Stattdessen stehen Förderprogramme der Kommunen bereit, um im Bedarfsfall Wohnungen so auszustatten, dass sie für Rollstuhlfahrer geeignet sind. Nach Angaben des SoVD wurden in Köln im Jahr 2019 nur 18 rollstuhlgerechte Wohnungen gebaut, landesweite Zahlen lägen noch nicht vor.

Neu ist zudem, dass in Häusern mit bis zu drei Geschossen wieder ein Hochparterre gebaut werden kann. Dies bedeute aber, dass Erdgeschoss-Wohnungen im Unterschied zur früheren Landesbauordnung nun häufig nicht mehr barrierefrei seien, sagte Spörke. Erst ab einer Höhe von drei Geschossen ist auch nach neuer Gesetzeslage ein Aufzug zwingend vorgeschrieben. Das NRW-Bauministerium verteidigte die neue Rechtslage: „In der Bauordnung NRW 2018 wird Barrierefreiheit groß geschrieben, auch wenn darauf verzichtet wird, bei Neubauprojekten einen festen Anteil an rollstuhlgerechten Wohnungen vorzugeben.“